Was tun, wenn ein Makler gegen die Dokumentationspflicht verstieß und ein Kunde nun eine Falschberatung behauptet? Wie ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm zeigt, muss der Beratungsfehler dennoch bewiesen werden. Der Versicherungsbote stellt das wichtige Urteil vor.
Paragraph 63 VVG: Die gefürchtete Schadensersatzpflicht
Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) definiert über Paragraph 61 ff. weitgehende Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers. So gibt es nicht nur eine anlassbezogene Fragepflicht, um den Bedarf des Kunden zu erfragen und gibt es eine umfangreiche Informationspflicht zu allen Umständen der Kundenentscheidung. Sondern der Versicherungsvermittler hat die Beratung auch „unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags“ zu dokumentieren.
Nur eine gesonderte schriftliche Erklärung des Kunden kann den Versicherungsvermittler aus dieser weitreichenden Beratungs- und Dokumentationspflicht entlassen. Hat aber ein Versicherungsvermittler seine Pflichten gemäß Paragraph 61 VVG verletzt, wird er gemäß Paragraph 63 VVG zum Ersatz jenes Schadens verpflichtet, der dem Kunden entsteht. Und Haftungsrisiken bei Verstoß gegen die Beratungs- und Dokumentationspflichten sind in der Branche gefürchtet.
So gesehen droht Ungemach, wenn eine Beratungsdokumentation fehlt und ein Vermittler schon dadurch seine Pflichten gemäß VVG verletzte. Und doch: Trotz der strengen Vorgaben kann ein Versicherungsnehmer nicht einfach im Gegenzug behaupten, er sei falsch beraten worden und hätte bei besserer Beratung ein anderes Produkt gewählt. Denn ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Datum vom 28.06.2019 zeigt: Der Versicherungsnehmer steht hierfür auch in der Beweispflicht (Az. 20 U 70/19).
Klägerin fühlte sich durch Fehlberatung um bAV gebracht
Um was ging es in dem Rechtsstreit? Eine Frau hatte sich bei einem Makler zur Altersvorsorge beraten lassen – und entschloss sich aufgrund der Beratung zum Abschluss einer privaten Rentenversicherung. Der Vertrag wurde im Mai 2017 gezeichnet. In der Folge leistete die Klägerin eine Einmalzahlung von 10.000 Euro und zahlte außerdem sieben Prämien in Höhe von je 150 Euro.
Freilich: Etwas führte die Versicherungsnehmerin zum Zweifel an dem Geschäft, sodass sie ihren Widerruf erklärte. Der Widerruf erfolgte allerdings erst im Mai 2018 – die durch Paragraph 152 VVG in Verbindung mit Paragraph 8 VVG definierte Widerrufsfrist von 30 Tagen nach Erhalt der Vertragsunterlagen war also längst überschritten.
Die Frau aber berief sich auf ein vermeintliches Rücktrittsrecht, da sie unzureichend über die Möglichkeit anderer Vertragsgestaltungen beraten worden sei. Insbesondere über Möglichkeiten einer betrieblichen Altersvorsorge (bAV) sah sich die Versicherungsnehmerin nicht ausreichend informiert – ein entsprechender Vertrag hätte der Frau nach eigener Aussage eine höhere monatliche Rente eingebracht und hätten weitere Vorteile wie größere Flexibilität sowie einen Hinterbliebenenschutz bedeutet. Weil der Makler die Frau zu dieser Möglichkeit aber nicht beriet, forderte sie nun von ihm ihre 11.050 Euro zurück.
Makler hatte Beratung nicht dokumentiert
Da der Makler der Forderung freilich nicht nachkam, reichte die Kundin Klage gegen ihn ein – erfolglos zunächst vor dem Landgericht (LG) Essen, denn dieses wies die Klage ab (Az. 18 O 162/18). Die Versicherungsnehmerin ging in Berufung vor dem Oberlandesgericht Hamm. Hier forderte sie erneut ihre 11.050 Euro nebst Zinsen und wollte außerdem ihre Anwaltskosten geltend machen.
Und die Frau meinte einen Trumpf im Ärmel. Denn der Makler hatte seine Beratungstätigkeit nicht dokumentiert, was einen Verstoß gegen Paragraph 60 VVG darstellt. Demnach meinte sich die Klägerin schon dadurch im Vorteil, dass der Makler seine sachgemäße Beratung nicht beweisen kann.
OLG Hamm entschied dennoch im Sinne des Maklers
Jedoch: Das OLG Hamm wies die Berufung – auf Kosten der Klägerin – zurück und entschied so dennoch im Sinne des Maklers. Und dies hat mehrere Gründe. Zum einen wäre schon die Annahme der Klägerin falsch, sie könne die komplette Summe der Prämien zurückverlangen. Zwar ermöglichen bestimmte Umstände tatsächlich, so gestellt zu werden wie ohne Vertragsabschluss. Das trifft aber nur dann zu, wenn ohne die Fehlberatung überhaupt kein Vertrag wäre abgeschlossen worden. Die Frau aber wünschte zwar im Nachhinein einen anderen Vertrag, wollte aber einen Vertrag abschließen.
Selbst für den Fall also, dass die Klägerin eine Fehlberatung hätte beweisen können, wäre hierfür nur ein Berufen auf Paragraph 63 VVG möglich. Demnach hätte die Klägerin zwar Anspruch auf Ersatz des Schadens durch das unpassendere Produkt. Anspruch auf Rückzahlung der kompletten Prämie besteht jedoch nicht.
Trotz fehlender Dokumentation: Die Beweislast liegt bei der Klägerin
Sehr deutlich aber stellt hierfür das Gericht heraus: Die Beweislast für die unterstellte Fehlberatung liegt bei der Klägerin – und zwar trotz fehlender Beratungsdokumentation durch den Makler. Das ist durch die konkreten Umstände des Falls begründet. Denn zwar dient eine Beratungsdokumentation der Beweiserleichterung des Kunden bei Geltendmachung von Schadenansprüchen. Auch kann die Beweispflicht unter anderen Umständen tatsächlich beim Makler liegen. Behauptet aber eine Versicherungsnehmerin wie im vorliegenden Fall, der Vermittler hätte die Rechtspflicht gehabt, sie zu einem anderen als den gewählten Produkt zu beraten, ist die Kundin hierfür in der Beweispflicht.
Konkrete Vorteile eines anderen Vertrags müssen bewiesen werden – und die daraus entstehende Beratungspflicht
Denn die pauschale Behauptung, es hätte „deutlich bessere Formen der Altersvorsorge“ gegeben, reiche zum Beweis einer Fehlberatung nicht aus. Stattdessen müsse die Klägerin „nachvollziehbar darlegen, welcher konkrete andere Versicherungsvertrag ihr welche konkreten Vorteile gebracht hätte“.
Auch müsse sich aus dieser Darlegung „eine Verpflichtung des Beklagten ableiten“, hierüber „zu informieren und zu beraten“. Eine solche Darlegung aber ist der Versicherungsnehmerin als Klägerin nicht gelungen. Zwar versprach die Privatrente für die Klägerin tatsächlich eine geringere Rente als die bAV. Jedoch: Zugleich standen diesem Nachteil wirtschaftliche Vorteile in der Ansparphase gegenüber, die auch durch die Klägerin zugegeben wurden.
Klägerin wollte Berufstätigkeit unterbrechen
Noch wichtiger aber ist: Die Klägerin erwähnte im Beratungsgespräch, dass sie zum Zwecke der Familiengründung ihre Berufstätigkeit zumindest zeitweise unterbrechen wolle. Solche Tatsachen aber machen wahrscheinlich, dass aus Sicht des Maklers eine bAV trotz höherer Rente nicht das geeignete Produkt war. Die Klägerin hätte nun also zunächst konkret darlegen müssen, wie Bedingungen eines konkreten bAV-Vertrags besser zu ihrer Lebensplanung gepasst hätten als die abgeschlossene Privatrente – was ihr nicht gelang.
Zudem fehlten „weitere wirtschaftliche Betrachtungen im Vortrag der Klägerin völlig", wie das Gericht formulierte. Zumal die Klägerin gegenüber dem Makler äußerte, ihr Ziel sei eine möglichst hohe Rente. Andere Ziele wie die Verfügbarkeit des angesparten Kapitals oder der Hinterbliebenenschutz – von der Klägerin als Vorteil der bVA genannt – standen diesem Ziel „naturgemäß“ entgegen. Der Makler hatte aus Sicht des Gerichts also gar keine Veranlassung gehabt, derartige Ziele zu erfragen.
Verletzung der Dokumentationspflicht führte nicht zu Schaden
Der Klägerin also gelang nicht der Beweis, der Makler hätte ihr statt der Privatrente einen konkreten anderen (bAV-) Vertrag empfehlen müssen. Zudem führte die Verletzung der Dokumentationspflicht auch nicht kausal zu einem Schaden der Klägerin. Demnach steht laut Urteil des OLG Hamm der Klägerin auch kein Anspruch auf Schadenersatz zu: Die Berufung wurde auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.