Versicherungsbote: Die seit letzten Jahr zugelassenen eScooter müssen Fahrradwege nutzen, wenn es einen gibt. Vielfach wurde bei der Einführung gemutmaßt, das könnte die Unfallzahlen weiter hochtreiben. Eine erste Bilanz: Beobachten Sie vermehrt Konflikte zwischen Radfahrern und Scooter-Fahrern? Oder wurde da vieles argumentativ hochgekocht?
Konrad Krause: Nach Aussagen der Polizei ist die Zahl der Unfälle mit eScootern relativ hoch. Auffällig viele davon stünden in Zusammenhang mit alkoholisierten Fahrern und der Verwendung des eScooters als Spaßvehikel. Es ist wie bei allen neuen Erfindungen: Sie werden erstmal ausprobiert bis an die Grenzen und darüber hinaus. Der gesellschaftliche Lernprozess, was sinnvoll ist und was nicht, der folgt mit etwas geringerer Geschwindigkeit. Ein großes Problem sind die kleinen Räder der Scooter in Verbindung mit der großen Kraft des Antriebs. Ich bin überzeugt, dass die Scooterhersteller über kurz oder lang größere Räder einsetzen werden, weil dann so ein Fahrzeug natürlich einen besseren Geradeauslauf hat. Aber insgesamt muss man auch die Kirche im Dorf lassen: Die Konflikte sind überschaubar und am meisten tun sich die Scooterfahrer bei ihren Stürzen ja selbst weh.
In den Medien wird viel über eine Verkehrswende debattiert, was vor allem bedeutet: weniger Autos in den Innenstädten, mehr Rad- und Nahverkehr. Schnell ist von Verboten die Rede, sogar von Einschränkung der individuellen Freiheit: das Thema wird emotional diskutiert. Ich vermute, Sie befürworten eine solche Verkehrswende? Wie kann dafür Akzeptanz geschaffen werden — gerade in einer vermeintlichen Autonation wie Deutschland?
Nun, Deutschland ist ja zuerst einmal Fahrradnation - immerhin wurde hier auch das Fahrrad erfunden! Aber mal Spaß beiseite: Nur über eine Verbotsdebatte werden wir natürlich keine nach vorn gerichtete Debatte über die Verkehrswende hinbekommen und wir werden so auch nicht das Dilemma lösen, dass die Verkehrsflächen für den Autoverkehr immer weiter anwachsen und in gleicher Weise das System Autoverkehr immer weniger gut funktioniert. Man muss ja nur einen Blick auf die wachsenden Zeiten werfen, die die Deutschen im Stau stehen, auf die galoppierenden Kosten des Straßenbaus. Da ist klar: Irgendwas kann da nicht stimmen. Mit einem effizienten System hat das nicht mehr viel zu tun.
Was wir in Deutschland vor allem brauchen, ist eine Debatte darüber, wie moderne Mobilität aussehen kann. Und ich glaube, da sind wir mit unserer Idee des Fahrrads im Mittelpunkt moderner Mobilität näher an den Leuten dran, als sich das weite Teile der Politik vorstellen können. Ich erlebe immer wieder bei neugebauten Radwegen, dass die Leute noch vor der Eröffnung die Absperrungen zur Seite schubsen und die Wege in Besitz nehmen, schneller als sich das vielleicht der eine oder andere Verkehrspolitiker oder Bürgermeister vorstellen kann. Die Leute wollen ihre Wege gern mit dem Rad zurücklegen. Was fehlt, ist ein flächendeckendes und sicher benutzbares Rad-Netz. Und da sind wir beim Begriff der individuellen Freiheit: Dass das Auto beim alltäglichen Verkehr in unseren Städten individuelle Freiheit bringt, das ist doch Murks. Wir sehen ganz genau - in Holland und in vielen Fahrradstädten rund um die Welt - dass sehr viele Leute ins Auto gezwungen werden, weil die Alternativen nicht funktionieren. Weil der ÖPNV überlastet ist und weil eben auch dieses lückenhafte Radwegenetz an vielen Stellen noch nicht funktioniert. Wo es aber funktioniert, da steigen die Leute um, quer durch alle Altersgruppen.
Ist es überhaupt realistisch, dass jede Stadt oder Region vermehrt auf das Fahrrad setzt? Ich denke zum Beispiel an hochgelegene bergige Gegenden, Städte mit vielen engen Pflasterstein-Straßen oder mit viel Schnee und Niederschlag.
Klar gibt es irgendwo Grenzen und nicht jedes letzte Schweizer Bergdorf wird eine Fahrradmetropole werden. Dennoch ist das Potential auch außerhalb flacher Regionen groß. In Zeiten von E-Bikes sind Berge ja eigentlich kein Thema mehr. Und das sieht man auch an den Verkaufszahlen von Fahrrädern: Jedes dritte neu verkaufte Rad ist ein E-Bike.
Ein Problem sind eher die "Berge in den Köpfen". Das heißt, dass Kommunalpolitiker und Verkehrsplaner fest davon ausgehen, dass in ihrer Kommune sowieso keiner Rad fährt - zu bergig. Das führt dann dazu, dass das Fahrrad bei der Infrastruktur nicht mitgedacht wird. Ein schönes Beispiel ist Wuppertal: Dort wurde vor ein paar Jahren eine alte Eisenbahntrasse zu einem wunderbaren Radschnellweg umgewandelt - plötzlich stiegen die Wuppertaler aufs Rad! Und dort mag es ja an dem einen oder anderen mangeln - Berge gibt es wahrlich genug. Die Frage nach der Topografie spielt natürlich zum Schluss auch eine Rolle, aber viel bedeutender ist es, ob sich die Menschen in einer Stadt gefährdet fühlen oder ob sie eine realistische Chance sehen, mit dem Rad am Ende des Tages heil zuhause anzukommen. In den Nierlanden müssen die Leute ja auch mit heftigem Wind und nasskaltem Wetter klarkommen - und dort haben wir Anteile des Radverkehrs von über einem Viertel aller Wege!
Viele Kommunen sind klamm und haben kaum Geld, um selbst die nötigsten Aufgaben zu erfüllen, wie man auch an Schlaglöchern und kaputten Radwegen sieht. Ganz banal gefragt: Ist es da überhaupt realistisch, von den Städten mehr Investitionen in den Radverkehr zu fordern? Oder muss die komplette Finanzierung der Radinfrastruktur neu aufgestellt werden?
Der ADFC ist ja am Thema der Finanzierung moderner und sicherer Radwegenetze schon einige Jahre am Ball. Und man muss sagen: Für Ortsumgehungen und große Parkplätze für Autos kommt das Geld ja auch irgendwoher. In Sachsen haben wir für den Radwegebau eine Förderquote von 90% - da braucht es fast keine Eigenmittel mehr. Auf Bundesebene ein ähnliches Bild: Bundesverkehrsminister Scheuer hat den Radverkehrsetat des Bundes ab 2020 von knapp über 100 auf 325 Mio. Euro pro Jahr verdreifacht - da kann wirklich keiner mehr erzählen, dass es am Geld hängt.
Was wir aber brauchen sind mehr Verkehrsplaner, mehr Know-how und einen Bewusstseinswandel auf der kommunalen Ebene, dass sie für den Umbau der Städte auch Verantwortung übernehmen müssen. Da ist etwas in Bewegung, aber dem ADFC geht das natürlich alles noch ein bisschen zu zäh. Ein Problem ist auch, dass die Länder und Kommunen jahrzehntelang ihre Schubladen mit Ortsumgehungen und Straßenverbreiterungen für den Autoverkehr gefüllt haben - und in diesen Schubladen heute praktisch kein Radverkehrsprojekt liegt, was man jetzt im Angesicht des Geldregens mal eben ausrollen könnte.