In vielen Patientenverfügungen wird festgelegt, dass zum Beispiel ein Patient bzw. eine Patientin keine intensivmedizinische Beatmung wünscht: Szenarien wie in der aktuellen Corona-Pandemie, wo eine Beatmung überlebenswichtig sein kann, werden dabei mitunter nicht mitbedacht. Müssen Patientenverfügungen nun angesichts von COVID-19 angepasst werden? Diese frage stellt in seiner aktuellen Kolumne Steffen Moser, Coach und Inhaber von Professionelle Generationenberatung.
Grundsätzlich ist eine Patientenverfügung dafür ausgelegt, wenn sich ein Patient am Lebensende im sogenannten unmittelbaren und unumkehrbaren Sterbeprozess befindet und seinen eigenen Willen selbst nicht mehr bilden kann, im Vorhinein Festlegungen zur eigenen medizinischen Behandlung zu treffen.
Diesen Willen umzusetzen und zu organisieren, ist dann Aufgabe der Bevollmächtigten im Rahmen einer Vorsorgevollmacht - gemeinsam mit den Ärzten und Pflegepersonal. Wer keine Vorsorgevollmacht hat, bekommt im Falle einer dauernden oder vorübergehenden Geschäftsunfähigkeit einen Betreuer gestellt. Auch dieser kann die Festlegungen in der Patientenverfügung durchsetzen.
In einer wirksamen Patientenverfügung müssen unter anderem die Situationen benannt werden, für die diese gelten soll. Dies kann zum Beispiel eine nicht behandelbare tödlich verlaufende Krankheit sein.
Keine Erfahrungen zu COVID-19-Erkrankungen
Hinsichtlich der Erkrankung an COVID-19 liegen noch keinerlei Erfahrungswerte aus der Praxis vor, ob der in den bisherigen Patientenverfügungen zum Ausdruck gebrachte Willen ausreichend ist oder nicht.
Wenn ein Patient an Covid-19 erkrankt, muss er unter Umständen bei einem schweren Verlauf beatmet werden. Durch die künstliche Beatmung können viele Patienten geheilt werden. Viele Menschen haben in ihrer Patientenverfügung aber angeben, dass sie intensivmedizinische Maßnahmen wie etwa die künstliche Beatmung ablehnen.
Folgende Problematik kann sich nun ergeben
Eine COVID 19-Erkrankung ist grundsätzlich erstmal keine unheilbar tödlich verlaufende Krankheit und damit nicht durch eine in Patientenverfügungen genannte Situation erfasst. Weil die Erkrankung in den meisten Situationen heilbar ist, möchten natürlich auch die meisten Menschen eine vollumfängliche Intensivbehandlung erhalten.
Nun kann man anhand dieser beiden Gesichtspunkte wie die Stiftung Warentest argumentieren, es muss wegen des Coronavirus nichts an der Verfügung geändert werden. Es stellt sich allerdings die Frage nach der Wirksamkeit bzw. Auslegung bestehender Dokumente. Viele Menschen besitzen inzwischen eine Patientenverfügung. Vermutlich ist in keiner der vor März 2020 erstellten Patientenverfügungen die COVID-19-Pandemie inklusive speziell darauf abgestellter Behandlungswünsche thematisiert.
Für die Abwägung, welcher intensivpflichtige Patient beispielsweise die in vielen Fällen lebenserhaltende Beatmung erhält, spielt auch die eventuell vorliegende Patientenverfügung eine Rolle. Wird darin eine intensivmedizinische Therapie abgelehnt, kann dies in dramatischen Ausnahmesituationen zum Versagen der Behandlung führen.
Einwilligung des Patienten gefragt
Am 25.03.2020 wurde von sieben deutschen medizinischen Fachgesellschaften die „Entscheidung über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und Intensivmedizin im Kontext der Covid-19-Pandemie“ herausgegeben, welche der Entscheidungsfindung bei nicht ausreichenden Intensiv-Ressourcen dient.
Ziel ist es, damit den behandelnden Ärzten Hilfestellung für diese schwerwiegenden, dramatischen Entscheidungen an die Hand zu geben und diese zu entlasten. Ein entscheidender Fakt bei der Zuteilung entsprechender intensivmedizinischer Ressourcen ist die Klärung des Patientenwillens. Eine intensivmedizinische Behandlung darf nur erfolgen, wenn der Patient in diese Therapie unter Berücksichtigung der Prognose einwilligt bzw. dies getan hätte oder in einer Patientenverfügung vorausverfügt hat.
Der Ansatz ist, in deutschen Krankenhäusern die Intensivbetten und Beatmungsplätze nach der Wahrscheinlichkeit zu belegen, ob der Patient die Intensivbehandlung überleben wird. Das tritt spätestens in dem Moment in Kraft, wenn die Ressourcen für intensivmedizinische Behandlungen auch nach strenger Indikationsstellung nicht mehr für alle Patienten ausreichen. Eine entscheidende Rolle spielt, dass für eine intensivmedizinische Therapie inklusive der damit verbundenen Szenarien und Behandlungsmaßnahmen in Folge einer COVID-19 Erkrankung eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten vorliegt.
Unser Tipp
Unabhängig vom Vorhandensein einer Patientenverfügung empfehlen wir unseren Kunden das Erstellen einer speziellen Willenserklärung für den Fall einer Erkrankung wie COVID-19. Diese sollte vorsorglich und vorab schriftlich erfolgen, falls der Patient bei Aufnahme ins Krankenhaus nicht mehr in der Lage sein sollte, dies persönlich zu äußern.
Gemeinsam mit unseren Partnern und Rechtsanwälten können wir unsere Kunden, Familie und Freunde bei der kostenfreien Erstellung einer speziellen Willenserklärung für den Fall einer COVID19-Erkrankung unterstützen.
In der Hoffnung, dass diese persönliche Willenserklärung nie zum Einsatz kommen möge, möchten wir jedoch Klarheit geben. Und wünschen allen Menschen, dass sie gesund bleiben.
Vordrucke reichen nicht aus
Generell empfehlen wir, genauso wir das Bundesjustizministerium von sogenannten „Ankreuzformularen“ zur Patientenverfügung abzusehen, wie sie derzeit noch z.B. vom Bayerischen Justizministerium, der Stiftung Warentest und anderen Einrichtungen in Broschüren zur Verfügung gestellt werden. Wir teilen auch hier die Ansicht des Bundesjustizministeriums, dass es kein einheitliches Muster geben kann, das für jeden Menschen gleichermaßen geeignet ist. Weil es einerseits so vielfältige Wertvorstellungen, religiöse oder ethische Glaubensüberzeugungen der Menschen gibt.
Und weil andererseits auch die individuellen Entscheidungen jedes Einzelnen zur medizinischen und pflegerischen Versorgung so unterschiedlich sein können, die sich daraus ergeben und die dann ihren Ausdruck in einer Patientenverfügung finden müssen. All dies kann auch unter Berücksichtigung der letzten Bundesgerichtshofs-Urteile (BGH) nicht in einem einheitlichen Formular dargestellt werden, so dass es jeder problemlos nutzen kann.
Gerade die Abwägung, welche medizinischen Behandlungen durchgeführt werden sollen und welche nicht, und ob diese dann auch in der Praxis umsetzbar sind und sich nicht gegenseitig widersprechen, setzt viele Menschen gleich welchen Alters vor Herausforderungen, die sie ohne Beratung und Begleitung nicht bewältigen können. Die Folge, und das zeigen die vielen Gespräche, die wir jeden Tag führen: Dass die Menschen doch keine Patientenverfügung aufsetzen, aus Angst, etwas falsch zu machen.
Es muss funktionieren
Für uns ist absolut wichtig, dass die Vollmachten und Verfügungen dann, wenn sie gebraucht werden, auch funktionieren und die Wünsche berücksichtigt werden. Sollte sich herausstellen, dass aufgrund von unzureichenden Formulierungen oder widersprüchlichen Angaben eine Patientenverfügung nicht anerkannt wird, ist es zu spät, dies zu korrigieren. Die Angehörigen stehen dann leider nur hilflos daneben. Dies darf nicht passieren. Gleiches gilt auch für Vorsorgevollmachten, Sorgerechtsverfügungen und weitere Verfügungen.