Im Streit um Betriebsschließungs-Versicherungen bringt erneut eine Deckungszusage einen Versicherer in Erklärungsnot. Laut Medienberichten soll die Versicherungskammer Bayern (VKB) in einem Schreiben an Vertriebspartner noch Anfang März eine Deckungszusage für das neue Coronavirus COVID-19 erteilt haben: Und will nun Hoteliers und Gaststätten dennoch nicht voll entschädigen, wenn sie ihren Betrieb aufgrund des Virus dicht machen mussten.
Im Streit um Betriebsschließungs-Policen bringt ein Schreiben an Vertriebspartner die Versicherungskammer Bayern (VKB) in Erklärungsnöte. Laut einem Bericht des Versicherungsjournals (Mittwoch) hat der Versicherer am 4. März eine Vertriebsinformation Gewerbe versendet, in dem eine Deckungszusage für das neue Coronavirus erteilt wurde. Dennoch wolle der öffentliche Versicherer nun seine Gewerbekundinnen und Kunden nicht voll entschädigen, wenn sie den Betrieb zur Virus-Prophylaxe schließen mussten.
Zwei Botschaften an Vertriebspartner
Konkret enthalte das Schreiben zwei wichtige Infos für Versicherungsmakler, berichtet das Fachmagazin. Zum einen werden die Vermittler über einen Annahmestopp für das Neugeschäft mit gewerblichen Betriebsschließungs-Policen informiert. Auch sollen Erhöhungen der Versicherungssumme im Bestand nicht mehr akzeptiert werden.
Die zweite Botschaft aber hat es in sich. „Coronavirus im Deckungsumfang der bestehenden gewerblichen Betriebsschließungs-Versicherung enthalten“, zitiert das Versicherungsjournal aus dem Schreiben. Weiter werde berichtet, dass das neue Coronavirus „2019-nCoV“ den „namentlich genannten Krankheitserregern“ laut Versicherungvertrag gleichgestellt sei und somit „behördlich angeordnete Betriebsschließungen aufgrund des neuartigen Coronavirus“ mitversichert seien.
Dennoch will der Versicherer nun die geschädigten Hoteliers und Gaststätten-Betreiber nicht voll entschädigen. Das Argument: Nur wenn eine konkrete Coronavirus-Erkrankung im Betrieb aufgetreten sei und deshalb das Unternehmen zu 100 Prozent schließen musste, bestehe laut Vertrag voller Leistungsanspruch der Versicherungsnehmer. Das aber dürfte bei kaum einem betroffenen Betrieb der Fall sein. Kein Wunder: Nach dem Lockdown Mitte März, der von Bund und Ländern durchgesetzt wurde, waren die Betriebe ja ohnehin dicht. Prophylaktisch, um eine Ausbreitung der Krankheit und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern.
Stephan Michaelis von der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte aber sieht den Versicherer in der vollen Leistungspflicht. „Meines Erachtens hat die Versicherungskammer Bayern aufgrund dieses Schreibens die getätigten Zusagen einzuhalten und die versicherungs-vertraglichen Leistungen vollständig zu erbringen. Obwohl es eigentlich vorher im Versicherungsvertrag vielleicht sogar anders stand!“, sagte er dem Versicherungsjournal. Der Jurist vertritt selbst Geschädigte gegen den öffentlichen Versicherer.
Allgemeinverfügungen mitversichert?
Als Leistung erbringen will die Versicherungskammer maximal 15 Prozent der versicherten Tagessumme für 30 Tage: ein Bruchteil dessen, was sie zahlen müsste, wenn die volle Leistungspflicht besteht. Der Versicherer saß mit am Tisch, als die Bayrische Staatsregierung gemeinsam mit dem bayrischen Regionalverband des Hotel- und Gaststättengewerbe und anderen Assekuranzen den sogenannten Bayrischen Kompromiss ausgearbeitet hat. Demnach wollen die Versicherer den Schaden nur bis zu dieser Höhe ersetzen: angeblich aus Kulanzgründen, in der Leistungspflicht sehen sie sich nicht.
Viele Versicherer beharren darauf, dass sie nur voll zahlen müssten, wenn eine "zuständige Behörde" nach einem Coronafall die Schließung genau diesen Unternehmens nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) angeordnet hat. Nicht aber bei flächendeckenden präventiven Schließungen ganzer Gewerbe durch eine Allgemeinverfügung. Rechtsexperten bewerten das jedoch anders. So kommt ein Gutachten des Juristen Walter Seitz, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, zu dem Schluss, dass die Versicherer in den meisten Fällen voll zahlungspflichtig sein dürften: und zwar auch dann, wenn kein konkreter Corona-Fall im Unternehmen zu beklagen war (der Versicherungsbote berichtete).
Laut Rechtswissenschaftler Zeitz sind auch Allgemeinverfügungen oder Verordnungen eines zuständigen Ministeriums als „Schließung durch die zuständige Behörde" anzusehen, da die Formulierungen in den AGB der Versicherer oft sehr vage seien. Versicherungsbedingungen aber müssen so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstehen würde, wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach hervorhob (Az. IV ZR 104/17 oder Az. IV ZR 302/16).
Versicherungsmakler raus aus der Haftungsfalle
Rechtsanwalt Stephan Michaelis rät nun Versicherungsmaklern, das Corona-Gewerbeschreiben der BVK "zu den Akten" zu nehmen und betroffene Kundinnen und Kunden darüber zu informieren. Der Grund: Sonst könnten Makler selbst in der Haftungsfalle sitzen und ihre Kunden entschädigen müssen. Wenn andere Versicherer ähnliche Vertriebsschreiben verschickten, seien auch diese im Sinne des Kunden aufzubewahren.
Der BVK-Fall erinnert an einen ganz ähnlichen Vorgang beim hessischen Versicherer Die Haftpflichtkasse. Auch die Darmstädter weigern sich, Hoteliers und Gastronomen voll zu entschädigen, die eine Betriebsschließungs-Versicherung bei abgeschlossen haben: obwohl sie Anfang März auf ihrer Webseite damit warben, das neue Coronavirus COVID-19 sei im Rahmen der Betriebsschließungs-Policen mitversichert. Dieses Statement war dann plötzlich von der Webseite entfernt wurden - sehr zum Ärger von betroffenen Kundinnen und Kunden sowie der Vertriebspartner (der Versicherungsbote berichtete).