Monat für Monat sparte eine Rentnerin mühsam von ihrer geringen Rente und zahlte einen festen Betrag auf zwei Sparkonten der Enkel ein. Jedoch: Die Mühe war vergebens. Denn weil die Frau pflegebedürftig wurde und weil ihre Rente nicht für die hohen Heimkosten reichte, kann der Sozialhilfeträger nun das Ersparte von den Familienangehörigen einfordern. Der Versicherungsbote stellt ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle vor, das zeigt: Pflegekosten bringen sogar das Ersparte für Enkel in Gefahr.
Pflegeversicherung als Teilkasko: Es drohen hohe Kosten
In 1995 wurde die Pflegeversicherung als zusätzliche Säule der gesetzlichen Sozialversicherung durch das sogenannte Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) eingeführt. Keineswegs aber deckt die Pflegeversicherung alle Leistungen für Pflegebedürftige ab – sie galt stattdessen seit Einführung stets nur als „Teilkasko“ mit ergänzendem Charakter. Denn werden Menschen tatsächlich pflegebedürftig, müssen sie einen einrichtungseinheitlichen Eigenanteil zu pflegebedingten Aufwendungen (EEE) und müssen Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie einen monatlichen Betrag für nicht öffentlich geförderte Investitionskosten des Heims selbst zahlen.
In einer alternden Gesellschaft werden diese Eigenkosten für die stationäre Pflege aber zunehmend zum Problem: Sie belasten Pflegebedürftige immer stärker. Bei Einführung der Pflegeversicherung in 1995 mussten unter 100 Euro monatlich im Bundesschnitt für den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil gezahlt werden. Dieser Betrag kletterte mittlerweile auf durchschnittlich 731 Euro monatlich. Hinzu kommen durchschnittlich 756 Euro im Monat für Unterkunft und Verpflegung sowie durchschnittlich 453 Euro im Monat für Investitionskosten, so dass mittlerweile Pflegebedürftige 1.940 Euro monatlich im bundesweiten Durchschnitt für die Heimunterbringung selbst zahlen (der Versicherungsbote berichtete). Sozialverbände wie Deutschlands größer Sozialverband VdK warnen deswegen vor einem hohen Armutsrisiko aufgrund der Eigenkosten für die Pflege (der Versicherungsbote berichtete).
Pflegebedürftigkeit: Kinder haften für die Eltern
Das finanzielle Risiko der Pflegebedürftigkeit aber bedroht nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Familienangehörige. Denn laut Paragraph 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Zwar stehen zunächst Ehepartner für den Unterhalt ein. Reicht aber deren Einkommen nicht aus oder ist der Partner gar schon verstorben (was nicht selten ist), ermitteln die Sozialämter die unterhaltspflichtigen Verwandten und nehmen diese folglich in die Unterhaltspflicht. Und das sind in der Regel die leiblichen Kinder.
Nach aktuellem Gesetzstand wird unterhaltspflichtig, wer mehr als 100.000 Euro Bruttoeinkommen erzielt. Die Unterhaltspflichtigen mit einem solchen Einkommen haben dann zwar Anspruch auf einen angemessenen Selbstbehalt – Richtwerte gibt die Düsseldorfer Tabelle vor (der Versicherungsbote berichtete). Mit allem aber, was den angemessenen Selbstbehalt übersteigt, haften die Familienangehörigen in gerader Linie für die Pflegebedürftigkeit der Eltern.
… und die Enkel haften mit
Dass sogar Enkel von einer solchen Mithaftung betroffen sind, zeigte nun ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Celle mit Datum vom 13. Februar 2020 (Az. 6 U 76/19). Was wurde vor dem 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle, der zuständig ist für Erbrecht und Schenkungsrecht, verhandelt? Eine Großmutter wollte für ihre mit zwei Jahren Abstand geborenen Enkel finanziell vorsorgen, eröffnete aus diesem Grund für jeden Enkel ein für 25 Jahre angelegtes Sparkonto. Die Konten wurden auf den Namen der Enkel angelegt. Solange die Rentnerin in einer eigenen Wohnung lebte, reichten Rente und Witwenrente in Höhe von insgesamt 1.250 Euro auch aus zur Bestreitung des Lebensunterhalts und die karge Rente reichte zudem zum Sparen für die Enkel.
Denn monatlich 50 Euro zahlte die Großmutter für die Dauer von immerhin elf Jahren auf das Konto des ersten Enkels ein. Und mit dem gleichen monatlichen Betrag konnte sie immerhin neun Jahre lang auch das Sparkonto des zweiten Enkels bedienen.
Durch Pflegebedürftigkeit: Rente reichte nicht mehr
Ab Januar 2015 aber war die Frau pflegebedürftig. Und ab da reichte ihr Geld nicht mehr, da Eigenanteile für die stationäre Unterbringung zu hoch waren. Aus diesem Grund musste der Sozialhilfeträger bis zum Tod der Frau in 2017 auch Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 25.041 Euro zuschießen. Schon 2015 forderte der Sozialhilfeträger deswegen auch mit zwei Bescheiden – über die Eltern – die Schenkung an die Kinder ein: 6.000 Euro sollten für das erste Konto und 5.850 für das zweite Konto an den Träger fließen für die Pflegekosten der Großmutter. Als sich die Eltern der Kinder weigerten, die Beträge vom Sparkonto der Kinder zu zahlen, klagte der Sozialhilfeträger vor dem Landgericht (LG) Hannover.
LG Hannover urteilte noch zugunsten der Enkel
Freilich: In erster Instanz neigte sich Justitias Waage noch für die Enkel. Denn das Landgericht wies die Klage mit Urteil vom 13. September 2019 ab, da das Gericht die monatlichen Zahlungen der Großmutter an die Enkel als Anstandsschenkungen deutete (Az: 6 O 270/18). Laut Paragraph 534 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unterliegen Pflicht- und Anstandsschenkungen nicht der Rückforderung und dem Widerruf.
Ein solches Urteil aber wollte der Sozialhilfeträger der Großmutter nicht hinnehmen und ging in Berufung vor dem Oberlandesgericht Celle. Mit Erfolg: Das Urteil des Landgerichts Hannover wurde abgeändert. Die Enkel wurden dazu verurteilt, das Geld herauszugeben.
OLG Celle: Langjährige Zahlungen auf ein Sparkonto keine „Anstandsschenkungen“
Warum aber wurden nun die Enkel dazu verurteilt, das Geld der Sparkonten an den Träger der Großmutter zu zahlen? Der Grund ist: Regelmäßige Zahlungen können nicht als Anstandszahlungen gemäß Paragraph 534 BGB und ebenso wenig als Pflichtzahlungen im Sinne des Paragraphen gedeutet werden. Denn Anstandsschenkungen entsprechen einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht. Es handelt sich laut Gericht um „gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke des täglichen Lebens, kleinere Zuwendungen wie die üblichen Gelegenheitsgaben zu besonderen Tagen oder Anlässen und das Trinkgeld“. Auch Geschenke zu Anlässen wie Weihnachten fallen darunter. Zwar können solche Zahlungen regelmäßig erfolgen – zum Beispiel zu Geburtstagen. Auch kann das Zahlen von Taschengeld darunter fallen, solange das Geld zum Verbrauchen bestimmt ist.
Die regelmäßige Zahlungen auf ein langjähriges Sparkonto aber erfüllen einen anderen Zweck: Sie dienen dem Kapitalaufbau für die Enkelkinder. Gerade das Mühsame des langjährigen Sparens durch die Großmutter bei geringer Rente könnte vor Gericht ihrem Ziel zum Verhängnis geworden sein. Denn das Gericht stellt mehrfach die finanziellen Verhältnisse der Großmutter vor ihrer Pflegebedürftigkeit heraus.
So wären Anstandsschenkungen unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sie „nicht übermäßig wertvoll“ sind. In Anbetracht der finanziellen Verhältnisse der Großmutter aber übersteigt der jährliche Wert der Schenkung auf dem Sparkonto den Wert eines Gelegenheitsgeschenkes. Auch deswegen kann nicht von einem Geschenk im Sinne von Paragraph 534 BGB gesprochen werden, dass die Kinder hätten behalten dürfen.
Mit Pflegebedürftigkeit: Ist zu rechnen
Das Oberlandesgericht verurteilte also die Enkel zur Herausgabe jener Gelder auf dem Sparkonto, die zuvor mühsam durch die Großmutter angespart wurden. Und mehr noch: Auch die Kosten des Rechtsstreits gehen zulasten der Enkel. Somit hat die Sparerin nicht erreicht, was sie erreichen wollte: Die finanzielle Absicherung der Enkel. Das mühsame Sparen war aus dieser Sicht vergebens – durch die Pflegekosten wurde das Geld aufgebraucht. Und die Eltern der Enkel hatten zudem einen Rechtsstreit durchzustehen. Was aber ist die Lehre aus dieser Beobachtung? Diese Frage könnte durch eine Ausführung des Oberlandesgerichts beantwortet werden.
Denn anders als das Landgericht rechnete es das Oberlandesgericht der Großmutter nicht positiv an, dass sie ihre Pflegebedürftigkeit nicht voraussah. So heißt es in den Urteilsgründen des Gerichts: Dass „bei Beginn der Zuwendungen nicht absehbar gewesen sei“, dass „der Zuwendende einmal pflegebedürftig werden würde“, hält der Senat „nicht für entscheidend“. Denn darauf komme es für die Anwendung von Paragraph 534 BGB nicht an.
Ein solches Argument aber lässt sich zu einer Beobachtung umdeuten: Wer für die Familie und für die Nachkommen sparen will, der sollte hierbei auch mit einer möglichen Pflegebedürftigkeit rechnen. Denn ansonsten könnte es passieren, dass alles Sparen umsonst war.
So zeigen Umfragen immer wieder: Bundesbürger blicken recht sorglos auf das Thema Pflege und unterschätzen die drohenden Kosten. Und 43 Prozent der Deutschen glauben sogar, die gesetzliche Pflegeversicherung würde die Kosten für einen vollstationären Pflegeplatz in voller Höhe übernehmen. Wer aber die wirkliche Gesetzeslage kennt, der kann auch privat vorsorgen – und sichert dadurch, dass Familienangehörige nicht durch Elternunterhalt oder durch die Herausgabe von Lang-Erspartem belastet werden. Das Urteil des Oberlandesgerichts Celle ist beim Justizportal Niedersachsens verfügbar.