Versicherungsbote: Sie plädieren für ein Zusammenführen der privaten und der gesetzlichen Versicherung in eine Pflegebürgervollversicherung. Welche Schritte sind für eine solche Reform notwendig?
Dominik Domhoff: In Bezug auf eine Bürgerversicherung in der Krankenversicherung herrscht Uneinigkeit darüber, wie eine solche Zusammenlegung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung genau gestaltet werden könnte. Dies liegt zum einen an unterschiedlichen Leistungsansprüchen in den beiden Versicherungszweigen. Hierdurch ist eine einfache Fusion der Versicherungsverhältnisse nicht möglich. Zusätzlich sind der Umgang mit dem Bestand in der privaten Versicherung und den vorhandenen Rücklagen besondere Streitpunkte. In der Pflegepflichtversicherung ist das deutlich einfacher: Da die Leistungsansprüche in SPV und PPV identisch sind, würden für die Leistungserbringenden keine Einbußen durch einen möglichen Wegfall der PPV einhergehen.
Welche Vorteile für Pflegebedürftige hätte eine Pflegebürgervollversicherung gegenüber dem derzeitigen Status Quo? Und welche Nachteile drohen?
Für die Pflegebedürftige in stationärer Versorgung ergibt sich bei Einführung einer Vollversicherung unmittelbar eine große finanzielle Entlastung durch den Wegfall des EEE. Profitieren können auch Pflegebedürftige im ambulanten Sektor, bei denen derzeit die Sachleistungen zur Sicherstellung der Pflege nicht ausreichen. Bei welchem Anteil von Personen und in welchem Umfang dies zutrifft, ist jedoch umstritten. Wir gehen hier von durchschnittlich 150 Euro bei den Personen aus, die ausschließlich und vollständig Pflegesachleistungen erhalten. Diese machen jedoch weniger als 10 Prozent aller ambulant versorgten Pflegebedürftigen aus. Die vollständige Abschaffung der Eigenanteile ist auch einer der Diskussionspunkte einer Vollversicherung. Es besteht die Befürchtung, dass hierdurch Leistungen häufiger in Anspruch genommen würden als dies bedarfsgerecht wäre und somit ungerechtfertigte Kosten entstünden. Dem könnte allerdings mit einer individuellen Leistungszumessung und einem anschließenden Case Management vorgebeugt werden.
…und was ist die Idee hinter einem Sockel-Spitze-Tausch?
Der Sockel-Spitze-Tausch zielt auf eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zu einem bedarfsorientierten Leistungssystem – so wie es die Krankenversicherung vormacht. Anstatt die Eigenanteile zu den pflegebedingten Aufwendungen allerdings komplett abzuschaffen, würde hier ein bestimmter Betrag als Eigenanteilssockel festgeschrieben. Damit werden die privaten Zuzahlungen bei Pflegebedürftigkeit kalkulier- und somit planbar. Steigerungen bei den Pflegekosten würden somit nicht an die Pflegebedürftigen weitergegeben, sondern von der Pflegeversicherung gedeckt werden. Die steigenden Kosten trägt dann also die Versichertengemeinschaft, nicht mehr der einzelne Pflegebedürftige.
Wie würde sich die Einführung einer Pflegebürgervollversicherung auf den Beitrag der Versicherten und den Beitragszuschuss der Arbeitgeber auswirken?
Die Wirkungen der einzelnen Elemente sind komplex und stehen auch in wechselseitiger Abhängigkeit. Kurz gesagt: sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit höherem Verdienst und deren Arbeitgeber könnten höhere Beiträge erwarten. Bei den Privatversicherten zeigt sich so unabhängig vom Einkommen eine höhere Belastung von durchschnittlich etwa 530 Euro im Jahr – bedingt durch die derzeit außerordentlich geringen Prämien. Ebenfalls würden bei Arbeitnehmer auch Einkünfte aus anderen Quellen als dem Gehalt beitragspflichtig werden. Von stabileren Beitragssätzen würden dabei Personen profitieren, die ein Einkommen unterhalb der aktuellen Beitragsbemessungsgrenze haben – und auch deren Arbeitgeber. Letztlich müssen jedoch höhere Sozialleistungen immer durch höhere Beitragseinnahmen gedeckt werden. Eine Bürgerversicherung würde dies durch Verminderung horizontaler und vertikaler Ungerechtigkeiten im jetzigen System umsetzen.