Im Finanzskandal um den Zahlungsdienstleister Wirecard wird nun immer mehr die Frage laut, ob und in welchem Umfang Aufsichts-Versagen vorlag. Die Bundesregierung zieht nun erste Konsequenzen und hat einem wichtigen Prüfer gekündigt. BaFin-Chef Felix Hufeld sieht sich unter Druck, sein Haus könnte verklagt werden. Auch der private Wirtschaftsprüfer E&Y sieht sich nun einer Klage gegenüber.
Das Unternehmen Wirecard galt vor wenigen Monaten noch als Börsenstar und Vorzeige-Unternehmen: Doch mittlerweile erhärtet sich der Verdacht, dass der Konzern seinen Status auch mit Betrug und gezinkten Zahlen ermogelt hat. Ein Viertel der ausgewiesenen Bilanzsumme existieren nicht, 1,9 Milliarden Euro Bankguthaben auf Treuhandkonten sind verschwunden. Wirecard könnte zum größten deutschen Anlegerskandal der letzten Jahrzehnte werden.
Das erlaubt auch die Frage, ob die Finanzaufsicht versagt hat. Felix Hufeld, Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte vor einer Woche Versäumnisse eingeräumt - und scharfe Kritik auch an seiner Behörde geübt. "Das ist ein komplettes Desaster, das wir da sehen, und es ist eine Schande, dass so etwas passiert ist", sagte Deutschlands Chefaufseher gegenüber Medienvertretern. "Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert“ (der Versicherungsbote berichtete).
Kanzlei prüft Klagen gegen BaFin und Wirtschaftsprüfer
Hufelds Eingeständnis von Fehlern könnte nun ernste Konsequenzen haben - auch für den Steuerzahler. Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung muss sich die Aufsichtsbehörde auf Klagen geschädigter Wirecard-Anleger einstellen. „Wir prüfen derzeit, wie wir die Bafin in Haftung nehmen können“, sagte Michael Leipold, Rechtsanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, der FAZ. Leipold vertritt selbst rund 300 Geschädigte - sowohl internationale Großanleger als auch kleine Aktionäre. „Der oberste Repräsentant der Behörde spricht selbst von Versäumnissen und hat damit den Grundstein für die Schadenersatzklage gelegt“, ergänzt Leipold.
Juristischer Ärger droht nun auch den privaten Wirtschaftsprüfern. Seine Kanzlei bereite eine Klage gegen das Ratinghaus EY (vormals Ernst & Young) vor, berichtet Leupold. Über Jahre haben die Prüfer falsche Jahresabschlüsse testiert und den Anlegern wichtige Informationen vorenthalten, so lautet der Vorwurf.
Bilanzpolizei - mit 15 Mitarbeitern
Auch die Politik zieht nun erste Konsequenzen aus dem Skandal. Als Vorwürfe gegen Wirecard immer lauter wurden, hatte die BaFin die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) im Februar 2019 beauftragt, den Verdachtsfällen nachzugehen. Wie die "Bild am Sonntag" berichtet, haben sich Bundesjustiz- und das Bundesfinanzministerium darauf verständigt, den Vertrag mit den Prüfern zu kündigen. Der Vorwurf: Versagen. Denn tatsächlich ist die BaFin nur für die Beaufsichtigung der Bank-Tochter von Wirecard zuständig.
Bei der Prüfstelle handelt es sich um einen privatwirtschaftlich organisierten Verein, der im Staatsauftrag Bilanzen von Firmen checkt. Doch tut sie das sorgfältig und transparent genug? Gegründet wurde der Verein 2005 unter anderem von Lobby-Verbänden der Industrie- und Finanzwirtschaft, zum Beispiel dem Bundesverband Deutscher Banken und dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Auch der Industrie- und Handelskammertag und der Deutsche Gewerkschaftsbund waren und sind beteiligt. Finanziert wird er über eine Umlage.
Der Wirecard-Skandal nährt nun den Verdacht, dass es der Verband mit der Prüfung von Verdachtsfällen nicht so genau nimmt. Obwohl die Bilanzen von Wirecard höchst komplex und undurchsichtig sind, wurde im Februar 2019 ein einziger Mitarbeiter mit dem Fall betraut, berichtet die "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS). Dieser sei völlig mit der Aufgabe überfordert gewesen, Hilfe von externer Seite habe er nicht erhalten. Mit bitteren Konsequenzen: Bis heute konnte die Prüfstelle keinen Abschlussbericht vorlegen. Es ist eine Blamage. Private Wirtschaftsprüfer beauftragen bei ähnlichen Fällen ein Dutzend Experten mit der Prüfung, berichtet die FAZ.
Die Prüfstelle selbst sieht sich hingegen als "Bauernopfer", wie DPR-Chef Edgar Ernst der FAZ sagt: „Mit uns hat niemand gesprochen.“ Er wirft der Bafin vor, durch ein Leerverkaufsverbot auf die Wirecard-Aktie selbst die Bilanzbetrugsvorwürfe „niedrig gehängt“ zu haben. Außerdem sei die DPR lediglich mit 15 Mitarbeitern aktiv: und folglich überhaupt nicht in der Lage, komplexe forensische Prüfungen zu bewältigen. Nun könnte die BaFin künftig allein als Watchdog für Bilanzen tätig werden.
Die Berliner Rechtsanwälte Wolfgang Schirp und Marc Liebscher bereiten im Auftrag von Wirecard-Investoren ebenfalls eine Sammelklage gegen die Bafin und die DPR vor: wegen Staatshaftung. Es sei zu prüfen, "ob Deutschland wegen der unzureichenden Aufsicht gegen EU-Recht verstoßen“ habe, sagte Liebscher gegenüber finance-magazin.de. Der Rechtsanwalt sieht "skandalöse Interessenkonflikte" bei den Bilanzprüfern von DPR, weil Vorstand Ernst auch im Aufsichtsrat mehrerer Großkonzerne wie TUI, Vonovia oder Metro sitzt.
Hufeld verteidigt sich und seine Behörde
Fakt ist, dass sich nun BaFin-Chef Felix Hufeld mit Verweis auf die Deutsche Prüfstelle für Rechnungsprüfung verteidigt. Die BaFin sei ja gar nicht zuständig gewesen, die Bilanzen von Wirecard zu durchforsten, sondern besagte DPR, so soll Hufeld bei einer Sitzung des Verwaltungsrates laut boerse-online.de gesagt haben. Doch so einfach ist es nicht, sich für den BaFin-Chef aus der Verantwortung zu ziehen. Denn es geht auch um die Frage, ob Wirecard nicht von vorn herein hätte viel strenger beaufsichtigt werden müssen.
Wirecard nicht als Finanz-Holding eingestuft
Der Hintergrund: Im Jahr 2017 hatte es Pläne gegeben, Wirecard als Finanz-Holding einzustufen. Dies hätte der BaFin weitreichendere Prüf- und Aufsichtsbefugnisse eingeräumt. Die BaFin entschied sich jedoch dagegen: schon damals für viele Beobachter unverständlich. Aufsichtsrechtlich wurde Wirecard behandelt wie ein Technologie-Dienstleister und nicht wie ein Unternehmen, das mit großen Summen an Kundengeldern jongliert. Auch deshalb ist die BaFin nun enorm unter Rechtfertigungszwang. Lediglich eine Firmen-Tochter von Wirecard war als Bank eingestuft worden.
Wie Hufeld nun aber gegenüber dem Aufsichtsrat erläutert haben soll, habe die BaFin Wirecard zunächst durchaus als Finanz Holding klassifiziert. "Dann hat Wirecard einige Umstrukturierungen vorgenommen. Daraufhin hat die EZB Wirecard als Technologieunternehmen eingestuft und nur die Tochter als Bank", zitiert boerse-online.de den Chefaufseher.
Der schwarze Peter wird also der Europäischen Zentralbank zugeschoben, die verhindert haben könnte, dass die deutsche Finanzaufsicht genauer hinsehen durfte. Zum Schaden der Sparer: Laut "Spiegel" könnte die BaFin bald ein Moratorium über die Bank-Tochter von Wirecard verhängen, um zu verhindern, dass Kundinnen und Kunden ihr Geld abziehen. Am Mittwoch muss sich Hufeld vom Finanzausschuss des Bundestages befragen lassen.
Wer ist zuständig und wenn ja, wofür?
Somit wirft der Wirecard-Skandal ein dunkles Licht auf die gesamte europäische Finanz-Aufsicht. Undurchsichtige Zuständigkeiten, uneffektive Prüfmechanismen, die Möglichkeit, intransparente Geschäfte durch undurchsichtige Firmen-Strukturen vor den Aufsehern zu verbergen: Erinnerungen an den Finanzskandal von 2008 werden wach, dem ebenfalls ein Aufsichts-Versagen voranging.
"Der Fall wirft die Frage auf, ob die Finanzaufseher wieder einmal an der Komplexität der Finanz- sowie IT-Welt und ihrer Produkte gescheitert sind", sagte CDU-Politiker Alexander Radwaner, der selbst im BaFin-Verwaltungsrat sitzt, zu Reuters. "Wirecard könnte von daher auch nur die Spitze des Eisberges sein. Offenbar ist es auch zwölf Jahre nach der Finanzkrise nicht gelungen, solche Exzesse zu verhindern."
Dass die BaFin nun unter Druck gerät, hat weitere Gründe. Engagiert zeigte man sich zunächst darin, gegen die Kritiker von Wirecard vorzugehen. Als die britische Financial Times bereits 2018 in einem Artikel über mutmaßlichen Bilanzbetrug beim Konzern berichtete, verklagte die BaFin zunächst die beiden Journalisten. Im Frühjahr 2019 verhängte die BaFin ein Leerverkaufsverbot über Wirecard-Aktien: Damit sollte verhindert werden, dass Anlegerinnen und Anleger auf einen fallenden Kurs setzen. Hier setzte die Behörde viele Hebel in Bewegung: aus Sorge um die Stabilität des Finanzplatzes Deutschland, wie es hieß.