Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will die Finanaufsichtsbehörde BaFin reformieren, nachdem sie im Wirecard-Skandal keine gute Figur machte und gar versagt haben soll. Hierfür soll sie mehr Befugnisse und Personal erhalten, um schneller durchgreifen zu können.
Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen, hat nach dem Wirecard-Skandal angekündigt, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) umbauen zu wollen. Es sei nun Aufgabe des Gesetzgebers, „die Schutzmechanismen zu überprüfen und zu verbessern“, sagte der 62jährige im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Scholz nannte in dem Interview auch bereits konkrete Reformansätze. So solle die BaFin ein unmittelbares Durchgriffsrecht bei der Kontrolle von Bilanzen erhalten, „unabhängig davon, ob der Konzern eine Banksparte hat oder nicht.“ Große Zahlungsdienstleister sollen generell der BaFin Rechenschaft ablegen müssen. Das bisher zweistufige Prüfverfahren solle abgeschafft werden.
Wirecard: BaFin gar nicht zum Eingreifen berechtigt?
Inwiefern diese Reform-Ideen aus dem Wirecard-Skandal resultieren, zeigt der bisherige Verlauf des Skandals. Dem deutschen Zahldienstleister fehlen 1,9 Milliarden Euro, ein Viertel seiner Bilanzsumme. Das Geld sollte angeblich auf Treuhand-Konten in den Philippinen liegen. Doch die dortige Zentralbank kam in einem Bericht zu dem Ergebnis, dass es nie dort ankam. Der Vorwurf an den früheren deutschen Börsenstar: Bilanzbetrug und Geldwäsche. Dokumente, die diese Buchungen belegen sollen, seien gefälscht worden.
Bereits früh waren Vorwürfe von Journalisten laut geworden, dass Wirecard seine Bilanz beschönige und das Geschäftsmodell des früheren deutschen Hoffnungsträgers nicht tragfähig sei. Die Financial Times nannte ab 2016 in mehreren Artikeln konkrete Belege. Passiert aber ist: nichts. Bis 2018 hat das private Ratinghaus EY (vormals Ernst & Young) alle Geschäftsberichte von Wirecard abgenickt. Und statt den Verdachtsfällen nachzugehen, verklagte die BaFin die Journalisten, die über mögliche gezinkte Bilanzen berichteten.
BaFin für Finanzprüfung nicht zuständig?
Räumte BaFin-Präsident Felix Hufeld zunächst Versäumnisse seiner Behörde ein: "Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert“, sagte er gegenüber Medienvertretern und sprach von einem „Desaster“, verteidigte er sich schließlich mit dem Verweis darauf, dass die BaFin für die Prüfung der Bilanzen gar nicht zuständig sei. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn Wirecard als Finanz-Holding eingestuft worden wäre. Das trifft aber nur auf die Banktochter zu, nicht aber auf die Konzernmutter und unzählige Firmentöchter. Stattdessen gibt es eine weitere Instanz, die Bilanzen im Auftrag des Staates als Bilanzpolizei checken soll: die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR).
Die BaFin checkt folglich die Bilanzen von Finanzholdings, die Deutsche Prüfstelle jene anderer Firmen. Das will Scholz nun laut Interview ändern. Denn die DPR entpuppte sich als zahnloser Tiger. Im Februar 2019 mit der Prüfung der Wirecard-Bilanz beauftragt, konnte die Prüfstelle bis heute keinen Bericht vorlegen. Was auch daran liegt, dass die Bilanzpolizei lediglich aus 15 Mitarbeitern besteht und sich ein Finanzmathematiker ganz allein durch die Wirecard-Bilanzen quälen musste: trotz einer hoch komplexen Unternehmensstruktur mit einem weltweiten Geflecht aus Tochterfirmen. Der Mitarbeiter sei völlig mit der Aufgabe überfordert gewesen, Hilfe von externer Seite habe er nicht erhalten, berichtet die „FAS“.
Bilanzpolizei erhielt Kündigung
BaFin-Chef Hufeld hat mittlerweile seine Argumentation korrigiert. Letzten Mittwoch trat er vor dem Finanzausschuss des Bundestages auf und wurde dazu befragt, ob seine Behörde im Wirecard-Fall versagt habe. Laut Beobachtern sei er sehr selbstbewusst aufgetreten, berichtet "Spiegel Online", und habe mit Verweis auf Vorschriften sein Vorgehen verteidigt:
Als der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten in der Bilanz des Wirecard-Mutterkonzerns auftauchte, blieb der Bafin nach Darstellung Hufelds nur eine Option: besagtes zweistufige Verfahren einzuleiten, das Scholz nun abschaffen will. Die Bafin schaltet hierfür zunächst die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) ein und wartet deren Bericht ab, um selbst zu agieren. Dass der Verein so lange brauchte, habe Hufeld nicht stutzig gemacht: Im Schnitt brauche die DPR 13,5 Monate, um einen einzigen Verdachtsfall zu überprüfen. Eine Menge Zeit.
DPR verliert Aufgabe als Finanzpolizei
Dass die Prüfstelle (DPR) nicht lieferte, könnte auch an Interessenkonflikten liegen. Gegründet wurde die Bilanzpolizei 2005 als privater Verein, beteiligt waren zahlreiche Lobbyverbände der Wirtschaft: unter anderem der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und Verbände der privaten Banken-Lobby. DPR-Chef Edgar Ernst sitzt selbst im Aufsichtsrat mehrerer Großkonzerne wie TUI, Vonovia oder Metro.
Die Rechnung nach dem Wirecard-Versagen kam auf dem Fuß: Der Bund kündigte der Prüfstelle die Zusammenarbeit. Ernst selbst sieht sich als „Bauernopfer“: Mit so wenigen Mitarbeitern sei er gar nicht in der Lage, komplexe forensische Prüfungen zu bewältigen. Auch habe die BaFin selbst die Latte für Prüfungen niedrig gehängt, als sie ein Jahr zuvor ein Leerverkaufsverbot über Wirecard-Aktien verhängt habe: ein Indiz, dass die BaFin von der Seriosität der Bilanzen überzeugt gewesen sei.
Wie nun bekannt wurde, wusste die Prüfstelle aber bereits viel früher über mögliche Ungereimtheiten bei Wirecard: Der Journalist Heinz-Roger Dohms, heute für das Branchenmagazin finanz-szene.de tätig, machte die DPR bereits 2016 in einer Mail auf Auffälligkeiten in den Bilanzen aufmerksam. Ernst wurden die Hinweise nicht genommen.
Verschiedene Zuständigkeiten - und keiner fühlt sich verantwortlich?
Das angebliche Versagen der Finanzaufsicht im Wirecard-Skandal könnte also durch unklare Zuständigkeiten begründet gewesen sein: weder BaFin noch DPR wollen die Verantwortung übernehmen. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) spielt eine fragwürdige Rolle. 2017 nämlich plante die BaFin sehr wohl, die Mutter-Holding von Wirecard als Finanz-Holding zu klassifizieren: Das hätte ihr weitergehende Prüf- und Kontrollbefugnisse eingeräumt. "Dann hat Wirecard einige Umstrukturierungen vorgenommen. Daraufhin hat die EZB Wirecard als Technologieunternehmen eingestuft und nur die Tochter als Bank", zitiert boerse-online.de Chefaufseher Hufeld. Aufsichtsrechtlich wurde Wirecard behandelt wie ein Technologie-Dienstleister und nicht wie ein Unternehmen, das mit großen Summen an Kundengeldern jongliert.
Zumindest das Problem der Zuständigkeit wäre gelöst, wenn das zweistufige Prüfverfahren nun abgeschafft wird: und die BaFin allein für den Bilanzcheck der Firmen verantwortlich wäre. Hierfür dürfte aber auch deutlich mehr Personal erforderlich sein, wie Olaf Scholz einräumt. "Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass die Bafin mehr Geld, mehr Stellen und mehr Kompetenzen benötigt, werde ich mich dafür einsetzen, dass das passiert", sagte Scholz der FAZ.
Doch Scholz steht selbst unter Druck. Alle Bundestags-Fraktionen haben als Folge des Wirecard-Skandals eine Reform der Finanzaufsicht gefordert. Und auch das Bundesjustizministerium von Christine Lamprecht (SPD) hat bereits angekündigt, gemeinsam mit dem Ressort von Scholz den Reformbedarf zu analysieren.
Bund und BaFin müssen sich nun auf Klagen geschädigter Geldanleger einstellen (der Versicherungsbote berichtete). Und es ist nicht der erste Anleger-Skandal, bei dem sich die BaFin kritische Fragen gefallen lassen muss. Eine schlechte Figur machte die Finanzaufsicht zum Beispiel im Fall des Online-Start-ups Comroad, das 95 Prozent seiner Umsätze vorgetäuscht hatte, im Skandal um Libor-Manipulationen der Deutschen Bank oder Finanzspekulationen der Hypo Real Estate, wie aktuell die WirtschaftsWoche noch einmal aufgearbeitet hat.