Die Statistiken gewährleisten hier auch Sachlichkeit bei einem emotional aufgeheizten Thema. Denn schlagzeilenträchtige Unfälle verursachen ein verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit: Senioren hinter dem Steuer gelten als grundsätzliche Gefahr, lautet ein verbreitetes Vorurteil. Insbesondere Unfälle mit Todesopfern, bei denen Senioren als Hauptverursacher gelten, führen zu häufig kontroversen Reaktionen.
Als Beispiel eines solch medienwirksamen Unglücks kann die Irrfahrt eines 84-Jährigen in Bad Säckingen genannt werden: Aufgrund einer "generellen, altersbedingten Leistungsminderung“ verlor der Mann die Kontrolle über seinen Wagen und raste in eine Fußgängerzone. Weil der Mann nicht mehr in der Lage war, Gas und Bremse zu unterscheiden, verloren zwei Menschen ihr Leben.
Die Auseinandersetzung um die Fahrkompetenz älterer Menschen wird wesentlich durch solche Meldungen bestimmt – populär in der Bevölkerung sind verbindliche Fahrtests ab einem bestimmten Alter. So sprechen sich laut einer Umfrage von Auto-BILD immerhin 70 Prozent der Befragten für so genannte „Fahrtauglichkeitstests“ aus. Und wütende Kommentare in sozialen Netzwerken fordern gar ein Fahrverbot für Höherbetagte – beispielhaft unter einem Artikel der Welt zu diesem Unglück. Unfallstatistiken und Unfallforschung hingegen ergeben ein sachlicheres, aber dennoch widersprüchliches Bild über das "Risiko" durch Senioren hinter dem Steuer.
Senioren: Die rücksichtsvolleren Fahrer
Demnach dürfen Ältere zunächst sogar als rücksichtsvollere Fahrer gelten: Sie verursachen laut Unfallstatistik seltener Unfälle wegen überhöhter Geschwindigkeit oder wegen zu geringem Abstand zu Fußgängern oder Radfahrern. Den Grund nennt eine Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV): Einschränkungen (zum Beispiel des Seh- oder Reaktionsvermögens) gleichen ältere Fahrerinnen und Fahrer häufig durch passivere Fahrweise wieder aus. Auch werden häufig bekannte Strecken oder verkehrsarme Zeiten gewählt, um sicher ans Ziel zu kommen. Vorsicht also kompensiert häufig Defizite der Alterung.
Einzig bei unerwarteten Situationen, die plötzlich auftreten, können sich Folgen biologischer Alterung nachteilig auswirken. Auch verzichten ältere Fahrerinnen und Fahrer häufiger auf einen Schulterblick in Situationen, in denen er ratsam wäre. Trotz solcher Beobachtungen aber verbieten sich generelle Verbote oder Pauschalisierungen. Denn es gibt eine Vielzahl ausgleichender Faktoren gegen altersbedingte Einschränkungen, wie auch weitere Fahreignungsstudien immer wieder zeigen: Das Lebensalter eines PKW-Fahrers allein rechtfertigt keinen Zweifel an dessen Fahreignung.
Ältere gelten jedoch häufig als Hauptverursacher eines Unfalls
… und doch: Die Zahl älterer Autofahrer wirkt sich auf die Schadenbilanzen der Versicherer aus. Denn ab einem bestimmten Alter steigt das Risiko, dass ältere Autofahrer als Hauptverursacher einen Unfall verschulden. Das wiederum führt zu steigenden Kosten für die Haftpflicht und für die Vollkaskoversicherung. Hierauf können sich die Versicherer berufen, wie auch die Publikation „Verkehrsunfälle“ des Statistischen Bundesamts (Destatis) für das Jahr 2018 (Fachserie 8 Reihe 7) offenbart.
Senioren: Sogar öfters Hauptverursacher als Fahranfänger
Eine Kennzahl der offiziellen Unfallstatistik gibt die „Hauptverursacher je 1.000 Beteiligte“ unter den PKW-Fahrern an – unfallverursachende Fahrer werden also ins Verhältnis zu allen unfallbeteiligten Fahrern gesetzt. Die Kennzahl bezieht sich also einzig auf jene Unfallbeteiligte, die während des Unfalls hinter dem Steuer saßen. Hauptunfallverursacher werden für diese Kennzahl zudem getrennt nach Altersgruppen. Und es zeigt sich: Überdurchschnittlich viele Hauptverursacher hinter dem Steuer finden sich im Seniorenalter ab 65 Jahre.
Die Zahl älterer Hauptverursacher übersteigt sogar noch die Zahl der Hauptverursacher unter den jungen Fahrerinnen und Fahrern und damit unter den Fahranfängern. Denn Folgendes offenbart der Generationenvergleich laut Statistik für das Jahr 2018:
- Von 1.000 unfallbeteiligten Fahrern gelten in der Altersgruppe von 18 Jahren bis 25 Jahre 646 Fahrer als Hauptverursacher.
- In der Altersgruppe von 25 Jahren bis 65 Jahre sinkt die Kennzahl auf den geringsten Wert: 513 unfallbeteiligte Fahrer gelten hier als Hauptverursacher.
- In der Altersgruppe ab 65 aber steigt allerdings der Wert und übertrifft sogar die jungen Fahrer – 679 beteiligte Fahrer von 1.000 gelten hier als Hauptverursacher.
Ein Bild, dass sich wiederholt, wenn man Durchschnittswerte für die Zeit von 2012 bis 2018 errechnet:
- Am geringsten ist der Wert der Kohorte ab 25 Jahren bis 65 Jahre: rund 509 unfallbeteiligte Fahrer gelten hier je 1.000 Fahrer als Hauptverursacher eines Unfalls.
- In der Kohorte der „Jungen“ von 18 Jahren bis 25 Jahre gelten hingegen schon rund 656 Fahrer von 1.000 als Hauptverursacher des Unfalls.
- Am höchsten aber ist der Durchschnittswert für beteiligte PKW-Fahrer ab 65 Jahre: Rund 673 Beteiligte gelten hier als Hauptverursacher.
Fahrer Ü75: Tragen besonders oft die Hauptschuld an einem Unfall
Dieser Befund wird auch durch andere Kennwerte bestätigt. Denn die Zahl der Hauptverursacher steigt nochmal an bei jenen Fahrerinnen und Fahrern, die mindestens 75 Jahre alt sind. Die Publikation des Statistischen Bundesamtes führt hierzu aus: „Drei Viertel (75,6 Prozent) der PKW-Fahrer dieser Altersgruppe trugen die Hauptschuld an dem Unfall, an dem sie beteiligt waren.“
Versicherer dürfen Prämienzuschlag kalkulieren
Und solche statistischen Befunde rechtfertigen auch die Tarifierung mit Seniorenzuschlägen gemäß Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz, sobald die höhere Zahl der Unfallverursacher im Alter tatsächlich auch zu höheren Schadensummen für die Versicherer führt. Laut Untersuchung der BaFin ist dies tatsächlich der Fall.
Zwar wird eigenes Zahlenmaterial der Behörde erst durch einen Artikel im BaFinJournal veröffentlicht werden. Eine erste Meldung zur Untersuchung erklärt jedoch: Bei „eher gleichbleibendem Schadendurchschnitt“ steige "die durchschnittliche Schadenhäufigkeit bei älteren Personen“. Insofern dürften die Versicherer „einen entsprechenden Prämienzuschlag kalkulieren“, ohne dass Altersdiskriminierung vorliegt.