Jeder vierte Lebensversicherer in Schieflage? GDV wehrt sich gegen Studie

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Der Dachverband der Versicherer wehrt sich gegen eine Studie im Auftrag des verbrauchernahen Verbandes BdV. Diese behauptet anhand der aktuellen Solvenzberichte, dass jedem vierten Lebensversicherer ernsthafte Probleme drohen. Die Lebensversicherer seien stabil aufgestellt, alle Zahlungspflichten werden erfüllt, schreibt der Verband.

Hat mehr als ein Viertel der deutschen Lebensversicherer ernste Probleme? Das behauptete letzte Woche der Bund der Versicherten (BdV), der sich wiederum auf eine Studie die renommierten Analysten Carsten Zielke berief. Zielke hat sich die Solvenzberichte der Lebensversicherer angeschaut und kam zu dem Schluss, dass 16 Versicherer nur die Anforderungen der Aufsichtsbehörde BaFin an ihre Finanzstabilität erfüllen können, wenn sie Übergangsmaßnahmen anwenden. Weitere sechs Anbieter hätten Probleme, könnten unter anderem keine positive Gewinnerwartung ausweisen. Grundsätzlich aber zeige die Branche ein gemischtes Bild (der Versicherungsbote berichtete).

Gegen diese Studie zieht nun der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ins Feld. Nicht von ungefähr, denn die Zahlen haben einigen Wirbel verursacht. „Riesige Probleme bei Lebensversicherungen“, schrieb Deutschlands größte Boulevard-Zeitung BILD: und beschwor gleich den Verlust der Altersvorsorge herauf, um mögliche Alternativen zu empfehlen: „So sorgen sie jetzt für das Alter vor!“. Ein Image-GAU, der auch daraus resultierte, dass die BILD die Studie in ihrem Artikel überspitzte und dramatisierte. Jeder vierte Anbieter sei „von Pleite bedroht“, schrieb das Blatt. Die Empfehlung: Finger weg von Leben-Policen!

“Lebensversicherer stabil aufgestellt“

Diesen Aussagen tritt der GDV nun auf seiner Webseite entgegen. „Lebensversicherungen sind nach wie vor geeignet für die Altersvorsorge und bieten lebenslange Sicherheit“, schreibt der Verband in einer Stellungnahme: und beharrt darauf, dass alle Versicherer über „ausreichende Eigenmittel und Sicherheitspuffer in gesetzlich vorgeschriebenem Umfang“ verfügen. Im Mittel stünde gar das Doppelte und Dreifache der gesetzlich geforderten Eigenmittel bereit.

Die geforderten Solvenzquoten, mit denen Versicherer ihre Finanzstabilität nachweisen müssen, liegen weit über dem von der Aufsicht geforderten Niveau, argumentiert der GDV weiter. Denn ausschlaggebend für die Finanzaufsicht sei die sogenannte SCR-Quote, die das Verhältnis der Eigenmittel zu den Kapitalanforderungen abbilde. „Eigenmittel sind das Kapital, das der Versicherer zusätzlich zum Kapital für die Erfüllung der Versicherungsverträge bereit hält, etwa zum Puffern von Risiken. Alle deutschen Lebensversicherer haben eine Quote von über 100 Prozent und damit ausreichende Sicherheitspuffer, kein Unternehmen ist also in Schwierigkeiten“, schreibt der GDV.

Die ausgewiesene SCR-Quote der deutschen Lebensversicherer lag zum Stichtag 31.12.2019 im Mittel bei 387 Prozent (254 Prozent ohne Übergangsmaßnahmen) „und damit weit über dem von der Aufsicht geforderten Niveau“, argumentiert der Lobbyverband weiter.

Handwerkliche Fehler?

Der der GDV geht noch weiter und wirft Carsten Zielke sowie dem BdV handwerkliche Fehler bei ihrer Studie vor. Die Untersuchung sei "insgesamt nicht überzeugend" und die Berichte der Lebensversicherer seien zum Teil "falsch interpretiert" worden, schreibt Mathias Zunk in einem Kommentar auf der Verbraucherseite des GDV. Ein Vorwurf, den Carsten Zielke in einem Statement streng zurückweist.

Welche Quoten sind entscheidend - und wenn ja, weshalb?

Dabei betrifft der Streit die Frage, auf welche Kennziffern geschaut wird, um die Stabilität der Versicherer einzuschätzen. Seit 2017 müssen die deutschen Versicherer der BaFin sogenannte Solvenzberichte vorlegen: Sie sieht es das neue Aufsichtsregime Solvency II vor.

Eingeführt wurde die verschärfte Aufsicht auch aufgrund der Erfahrungen aus der Finanzkrise. Die Sorge: Manche Versicherer bilden schlicht nicht genug Eigenkapital und zu haben hohe Verpflichtungen, um eine finanzielle Krise durchzustehen. Das gilt speziell in Zeiten niedriger Zinsen, da viele Versicherer ihren Kundinnen und Kunden hohe Garantien in Altverträgen zugesagt haben: Die Gelder für diese Garantien können sie immer schwerer erwirtschaften.

Um den Lebensversicherern aber den Übergang zu den strengeren Aufsichtsregeln zu erleichtern, hat es ihnen die EU gestattet, bis zum Jahr 2032 mit erleichterten Übergangsregeln zu rechnen: die sogenannte Brutto-Quote. Den Anbietern soll ausreichend Zeit bleiben, ihr Geschäftsmodell anzupassen. Entsprechend ist auch diese Kennzahl allein aktuell für die BaFin relevant. Genau diese Quoten unter erleichterten Bedingungen sind es nun, die der GDV gegen Carsten Zielke ins Ziel schickt. Denn tatsächlich haben alle Versicherer ihre Kapitalausstattung nach diesen Kriterien bestätigt: Wenn sie auch weicher gebettet sind.

Weiches Kapital herausgerechnet

Carsten Zielke hat auf der Webseite seines Rating-Hauses Zielke Research bereits erklärt, weshalb er strengere Maßnahmen an die Versicherer anlegt. "Vergleichsmaßstab unserer Analysen ist die reine Solvenzquote. Hierbei ziehen wir sämtliche Hilfsmaßnahmen bzw. Solvenzerleichterungen ab. In diesem Jahr haben wir die Methodik verschärft und ziehen ebenfalls ergänzende Eigenmittel ab", schreibt Zielke. So würden einige Versicherer zum Beispiel "ergänzendes Eigenkapital“ in Anspruch nehmen. "Dazu gehören zum Beispiel nicht eingezahltes Grundkapital und Versprechen, Nachrangdarlehen gewährt zu bekommen".

Stark vereinfacht: Die Versicherer rechnen auch Kapital ein, über das sie noch gar nicht sicher verfügen, sondern ihnen erst in Aussicht gestellt wurde oder das sie eingefordert haben. "Bisher hat Zielke Research Consult dieses ergänzende Eigenkapital voll anerkannt. Die zunehmende Beliebtheit bei gleichzeitiger angespannten Zinssituation aber auch der Umstand, dass es keine Gegenpositionen weder in den Solvenz- noch in den HGB-Bilanzen der Garantiegeber gibt, hat uns veranlasst, in diesem Jahr derartiges weiches Kapital nicht mehr zu berücksichtigen", schreibt Zielke.

Zudem sei im Herbst letzten Jahres die juristische Frage aufgekommen, ob in einer Notsituation eine andere Sparte der Lebensversicherungsgesellschaft überhaupt Mittel zukommen lassen darf, ohne die eigenen Versicherungsnehmer zu schädigen. "Die Nichtdarstellung bei den Garantiegebern führt zudem aus unserer Sicht zu einer nicht korrekten Abbildung der Solvenzsituation des Garantiegebers. Dies ist den Solvency II- und HGB-Rechnungslegungsvorschriften geschuldet".

Mitunter gehen Versicherer recht weit, um ihre Leben-Töchter zu päppeln: auch zum Nachteil der Kunden? So gewähren Konzerne ihren Leben-Töchtern hochverzinste Kredite, damit sie die Solvency II-Anforderungen erfüllen können. Ein Mehraufwand, der mit Kundengeldern wieder erwirtschaftet werden muss (der Versicherungsbote berichtete).

Verträge nicht kündigen!

Dennoch: Es ist gerade die Panik-Mache der BILD, die Versicherungsnehmer nun zu unüberlegten Entscheidungen drängen kann. Nämlich hochverzinste Altverträge, die beim Durchhalten bis zum Ablaufdatum lukrativ sein können, abzustoßen. "Wer sich nun durch die Medienberichte verunsichert fühlt, sollte einen kühlen Kopf bewahren. Denn prinzipiell gilt: Die Kündigung einer Lebensversicherung ist die schlechteste Lösung. Denn sie bringt meist finanzielle Nachteile mit sich", schreibt der GDV. Die BILD hatte einseitig zum Investment in Aktien geraten.

Ob die verschärfte Analyse von Carsten Zielke und dem BDV auch juristische Konsequenzen haben wird, muss sich noch zeigen. Laut dem "Versicherungsmonitor" hat die Bayerische angekündigt, rechtliche Schritte zu prüfen. Sie war von der BILD-Zeitung als einer jener Versicherer genannt worden, die am schlechtesten dastehen: Entgegen der bei der BaFin ausgewiesenen Solvenz.