Das Oberlandesgericht Hamm hat die Beschwerde einer Gaststätten-Inhaberin abgewiesen. Der Versicherer hatte in den Bedingungen der Betriebsschließungsversicherung eine abschließende Liste mit Krankheiten und Erregern fixiert.
Ende April hatte das Landgericht (LG) Mannheim ein erstes Urteil im Streit um Betriebsschließungen infolge des Coronavirus gefällt. Die Richter stützten die Rechtsauffassung, dass in vielen Fällen die Betriebsschließungs-Versicherer voll leisten müssen, wenn ein Betreiber sein Resort infolge der Covid-19-Vorsichtsmaßnahmen dichtmachen musste (Urteil vom 29. April 2020, Az. 11 O 66/20).
Das Urteil hatte vielen Gastronomen und Hotelbetreibern Hoffnung gemacht. Schließlich hatte sich das Landgericht auch mit einem oft vorgetragenem Argument der Assekuranzen befasst. Denn fast allen Vertragswerken ist ein Verweis auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) gemein – Versicherungsschutz besteht für meldepflichtige Krankheiten gemäß Paragraph 6 und Paragraph 7 des IfSG. Allerdings enthalten viele Versicherungsbedingungen überholte Listen aus vergangenen Jahren, in denen meldepflichtige Erreger nach aktuellem Stand fehlen. Weil das Coronavirus Covid-19 erst im Januar 2020 durch das Bundesgesundheitsministerium als meldepflichtige Krankheit erfasst wurde, fehlt es in den meisten Verträgen – die Versicherer sehen sich sprichwörtlich aus dem Schneider und argumentieren, sie müssten für Betriebsschließungen wegen Covid-19 nicht zahlen.
Generell verweisen viele AVB pauschal auf die Paragraphen 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes. Ein solch pauschaler Verweis aber wird für die Versicherer zum Problem. Denn Paragraph 7 Abs. 2 IfSG definiert einen Auffangtatbestand – eine gesetzliche Vorschrift, die auch Fälle erfasst, die noch nicht durch eine andere Norm erfasst sind. Eine pauschale Verweisung ist daher dynamisch zu deuten: Versicherungsschutz besteht auch für neue Krankheiten wie Corona. Es sei denn, dem Versicherungsnehmer wird durch explizite Leistungsausschlüsse deutlich gemacht, ob eine Liste endgültigen oder vorläufigen Charakter hat.
Versicherer haben es also selbst in der Hand, einen eindeutig abschließenden Katalog der Erreger in den Bedingungen aufzuführen. Genau an diesem Punkt setzt nun das OLG Hamm an. Vorab hatte die Klägerin, eine Inhaberin einer Gaststätte in Gelsenkirchen, vor dem Landgericht Essen geklagt. Sie wollte von ihrem Versicherer in Summe fast 27.000 Euro auf Grund der Schließung ihres Betriebes wegen des neuartigen Corona-Virus haben. Doch schon die Richter am Landgericht hatten ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.
Dem folgte nun auch das Oberlandesgericht Hamm mit einem nicht anfechtbaren Beschluss (Az. 20W 21/20, OLG Hamm). Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass Covid-19 und Sars-Cov-2 (auch sinngemäß) nicht in den Bedingungen genannt werde. Folglich würde auch kein Versicherungsschutz bei Betriebsschließungen wegen des neuartigen Corona-Virus bestehen. Denn in den Bedingungen ist eine abschließende Liste aufgeführt. Hier war der Wortlaut der AVB entscheidend. Denn der Wortlaut „nur die im Folgenden aufgeführten (vgl. Paragraphen 6 und 7 IfSG)“ und die anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern mache dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer nur für die benannten, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen wolle. Der Hinweis „vgl. Paragraphen 6 und 7 IfSG“ könne vor diesem Hintergrund nicht dahin verstanden werden, dass der Versicherer auch für eine spätere Erweiterung des Gesetzes Versicherungsschutz gewähren würde.
Hierbei war entscheidend, dass die Klägerin den Vertrag vor dem 23. Mai 2020 – dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) angesichts der Corona-Pandemie – und auch vor der Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht vom 30. Januar 2020, abgeschlossen hatte. Ergo konnte das neuartige Corona-Virus noch nicht im Vertrag stehen.
Vertragswerke mit wirksamen Leistungsausschlüssen
Vor gut zwei Monaten hatte sich Walter Seitz, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München, in die Debatte zu den Betriebsschließungsversicherungen eingeschaltet. Dazu hatte der ehemalige Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht München exemplarisch einige Allgemeine Versicherungsbedingungen ausgewertet und rechtlich bewertet. Er sieht viele Versicherer in der Leistungspflicht.
Insbesondere die Versicherer mit mehrdeutigen Klauseln müssen leisten. Dazu verweist der Rechtsexperte auch auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Az. IV ZR 104/17 oder Az. IV ZR 302/16). Denn Versicherungsbedingungen müssen so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstehen würde.
Es gibt in der Tat Vertragswerke mit wirksamen Leistungsausschlüssen - wie im aktuellen Fall am OLG Hamm. So ist deutlich in den AVB eines untersuchten Versicherers formuliert: „Sind Krankheiten und Krankheitserreger, die im Infektionsschutzgesetz genannt sind, in den nachfolgenden Aufstellungen nicht enthalten, besteht hierfür im Rahmen dieses Vertrages kein Versicherungsschutz.“ Ein solch deutlicher Ausschluss nimmt den Versicherer laut Seitz tatsächlich aus der Leistungspflicht, falls „Covid-19“ nicht genannt wird.
Für das Produkt sprechen solche Bedingungen – trotz größerer Transparenz – dennoch nicht. Pointiert doch der Rechtsexperte: Weil neue Erreger hier tatsächlich nicht unter den Versicherungsschutz fallen, handle es sich um eine “eher unbrauchbare Versicherung gegen Betriebsschließungen“.
Der Rechtswissenschaftler sieht die Makler in der Pflicht, vor Nachteilen solcher Policen zu warnen. Die Vertragswerke der meisten Anbieter haben – trotz Auflistung von Krankheiten – keine wirksamen Leistungsausschlüsse. Und dies trifft immer dann zu, wenn der Versicherungsschutz für neue meldepflichtige Krankheiten nicht explizit und eindeutig ausgeschlossen wird. Bei fünf der sechs untersuchten AVB geraten die Versicherer demnach aus Sicht des Experten in die Leistungspflicht.