Wird Amazon die Versicherungsbranche erobern? Lesen Sie heute Teil 2 der Serie „Der Traum vom Monopol“, die als Teil der Kolumne „Aus dem Alltag eines digitalen Versicherungsmaklers“ von Dr. Philipp Kanschik (Policen Direkt) erscheint.
Der Traum vom Monopol wird global geträumt, muss aber lokal ausgefochten werden, wie ich zum Einstieg in die Serie gezeigt habe. Das gilt auch für Amazon. Sollte Amazon seine Marktmacht tatsächlich auf die Versicherungsbranche ausweiten, könnte das folgendermaßen aussehen.
Philipp Kanschik
Dr. Philipp Kanschik ist Geschäftsführer von Policen Direkt und dort verantwortlich für Technologieentwicklung und Maklernachfolge.
Das Szenario
Jahrelang wurde vergeblich spekuliert, doch nun macht Amazon ernst und drängt mit „Amazon Protect“ aggressiv in den deutschen Markt. Dafür bietet der Technologie-Gigant aus Seattle seinen Kunden eine kostenlose Versicherungsfunktion in ihrem Prime-Account an.
Amazon weiß, wer in einem Haushalt lebt, wieviel Geld dort ausgegeben wird und natürlich auch, wofür: Kunden bekommen auf Basis dieser Daten zielgenaue Hinweise zu ihren Versicherungen, wenn sie auf Amazon shoppen oder Inhalte konsumieren. Die laufenden Policen werden jederzeit im Kundenkonto angezeigt und können in unserem Monopol-Szenario dort auch direkt optimiert werden.
Im Schadensfall nutzt Amazon seine Marktmacht und den Ansatz der „customer obsession“, um die Interessen des Kunden rigoros zu vertreten. Versicherer werden im Zweifelsfall zwei Mal darüber nachdenken, ob sie Prime-Kunden die Leistung in zweifelhaften Fällen verweigern. Gleichzeitig gibt es für die günstigere und exklusive Tarife.
Was dafür spricht
Amazon sieht sich grundsätzlich als virtuelles Warenhaus für alles, was man kaufen kann. Zunehmend werden insbesondere die Prime-Kunden Zielscheibe von Cross-Selling-Angeboten, insbesondere im medialen Bereich. Das sind aktuell bereits 17 Millionen allein in Deutschland. Hierauf lässt sich gut aufbauen.
Dass Amazon Finanzthemen schon länger im Blick hat, gilt als ausgemacht und manifestiert sich beispielsweise bereits mit einer hauseigenen Kreditkarte. Mit Amazon Protect gibt es im Vereinigten Königreich bereits ein eigenes Versicherungsprodukt für auf Amazon getätigte Einkäufe. Mit weiteren Versicherungsprodukten könnte Amazon zunehmend zur Finanzplattform für seine Kunden werden. Selbst Risikoträger müsste es dafür nicht mal werden. In den USA hat Amazon mit JP Morgan und Berkshire Hathaway einen Versuch in der Krankenversicherung gestartet, der sicherlich als Testballon für weitere Märkte zu verstehen ist. Dass Amazon in Indien Kfz-Policen verkaufen will, spricht ebenfalls für das Szenario.
Was dagegen spricht
Amazon ist kein Vergleichsportal und hat bislang in keiner Branche Fuß gefasst, in der Vergleiche entscheidend sind: Hotels, Autovermietung, Flüge—und eben Versicherungsvermittlung. Die Philosophie von Amazon ist, dass Kunden mit einer einfachen Suche direkt das Produkt finden, dass sie brauchen. Das geht bei Versicherungen so einfach nicht: weder im Sachgeschäft und schon gar nicht im Lebengeschäft. Wer bei Amazon vergleichen will, muss einen Begriff suchen, mehrere Produkte anklicken und den Vergleich mental selbst als Transferleistung durchführen. So kann man Versicherungen nicht verkaufen: die Philosophie des Handelsgiganten – „Kauf mit 1-Click“ – lässt sich also nicht auf Versicherungen übertragen.
Nicht alles, was Amazon anfasst, wird zudem zu Gold. Die Liste der Flops, wenn es um die Eroberung von Märkten abseits der Kernkompetenzen geht, ist lang und legendär: Handys („Fire Phone“), Hotels („Destinations“), Mode („Haute Couture“) und Zahlungen („WebPay“) haben nicht geklappt. „Protect“ könnte sich hier durchaus einreihen.
Das sagt der Kolumnist
In Samuel Becketts „Warten auf Godot“ geht es um einen Mann, auf den alle warten, der aber niemals kommt. Mit Amazon und dem Versicherungsvertrieb verhält es sich ähnlich — seit Jahren reden alle davon, viel passiert ist allerdings noch nicht. Der Tech-Riese aus Seattle wird sein Angebot auf Produkte mit Nähe zum Kerngeschäft ausweiten und neben Elektronikversicherungen möglicherweise auch Hausrat- und KFZ-Versicherungen anbieten, sich aber darüber hinaus vom Versicherungsvertrieb fernhalten. Das gilt vor allem für das Personengeschäft.