Corona und die Datenfreigabe – das Informationsparadigma

Quelle: Engin_Akyurt/Pixabay

Welchen Einfluss die Corona-Krise auf Versicherungskunden hat und wie sich deren Bereitschaft persönliche Daten an den Versicherer freizugeben verändert, erklärt Stephen Voss. In seinem Kommentar für den Versicherungsboten zeigt der Vorstand des digitalen Versicherers Neodigital auf, was diese Datenoffensive der Kunden für die Branche bedeutet und was das mit einem Pudel am Tegernsee und einem Dobermann aus Berlin-Mitte zu tun hat.

Die Welt hat sich verändert und das gilt nicht erst seit Corona. Dieser allgemeine Satz passt nahezu auf alles und viele Artikel oder Gastbeiträge beginnen derzeit mit dieser Feststellung. Aber es geht hier um mehr als um Allgemeinplätze. Die Art, wie wir zusammenleben, wie wir konsumieren und wie wir mit unseren persönlichen Daten umgehen hat sich in der Tat fundamental geändert. Ein Umstand, mit dem Unternehmen und Kunden erst einmal umgehen müssen: plötzlich geben wir alle viel mehr preis von dem, was uns noch vor wenigen Jahren an privaten Informationen nicht über die Lippen gekommen wäre.

Quelle: Neodigital Und das ist, auch wenn viele dem skeptisch gegenüberstehen, sowohl für die Kunden als auch für die Versicherer ein Segen. Aber fangen wir einmal bei den Kunden an.

Was früher undenkbar war, ist nun Alltag. Sie wissen nicht, was ich meine? Nun, können Sie sich daran erinnern, was Sie getan haben, wenn Sie früher – lange vor Corona – ins Schwimmbad gegangen sind? Ja, Sie sind hingefahren und haben an der Kasse oder „ganz modern“ am Kassenautomaten Bargeld abgegeben und ein Ticket bekommen. Ein anonymes Ticket. Für einen anonymen Besuch. Der gleiche Vorgang im Sommer 2020: Sie gehen online, Sie wählen das Schwimmbad und den Zeitpunkt aus, an dem Sie es besuchen wollen, Sie beachten die zeitlichen Beschränkungen und hinterlegen zum Buchen eines verbindlichen Schwimmbadtermins (schmunzeln sei an dieser Stelle erlaubt) Ihre kompletten persönlichen Adressdaten. Und da der Buchungsvorgang elektronisch geschieht, übergeben Sie dem Buchungsportal möglicherweise auch noch Ihre Bankdaten.

Hätten Sie diesen Vorgang als Schwimmbadbetreiber vor 12 Monaten eingeführt, wäre eine Welle der Entrüstung über Sie hereingebrochen und vermutlich hätten Menschen mit Plakaten vor den Schwimmbädern rebelliert. Dass es nicht soweit kommt, hat einen einfachen Grund: Der Schwimmbadgast, also der Konsument, hat erkannt, dass das Preisgeben von Informationen einen Mehrwert für ihn hat. Jetzt ist es nur fair zu sagen, dass er aktuell auch keine andere Wahl hat, aber sein Nutzen liegt trotzdem klar auf der Hand: Wir befinden uns inmitten einer Pandemie, Ansteckungsketten müssen nachverfolgt werden können zum Erhalt der allgemeinen und der eigenen Gesundheit. Das Wichtigste ist für den Einzelnen aber, dass er ins Bad kommt und Schwimmen gehen kann. Dafür nimmt der Kunde in Kauf, seine Daten offenzulegen, denn sie dienen einem Zweck, der besseren Bestimmung des Nutzens und der Risiken.

Dieses Umdenken findet auf vielen Ebenen statt und hat ein Kernthema: Die Endkunden erkennen in der Herausgabe ihrer persönlichen Daten einen konkreten Mehrwert für sich selbst, den sie erst durch die Verarbeitung ihrer Daten von Unternehmen erhalten können.

Präziser dank erhöhter Granularität

Und damit wären wir quasi direkt bei der Versicherung, denn Daten waren schon immer die Basis, um das Risiko für das Versicherungsunternehmen selbst und Kunden zu bestimmen, zu bepreisen und in ein Versicherungsprodukt zu übersetzen. An diesem Grundprinzip hat sich auch durch COVID-19 nichts geändert, das war schon immer so. Allerdings hat sich über die letzten Jahre der Zugang zu Daten und ihre Präzision, der Versicherer spricht hier von Granularität, deutlich erhöht. Die zurückliegenden Ereignisse haben dazu geführt, dass diese Daten nun häufiger zur Analyse zur Verfügung stehen und entsprechende Angebote mit echtem Mehrwert entwickelt werden können.

Der Kunde, der sich vielleicht noch vor 15 Jahren gewehrt hat, neben seinen Adressdaten zusätzliche Angaben, wie zum Beispiel für die PKW Versicherung zum eigenen Fahrverhalten, Kilometerleistung und wo das KFZ abgestellt ist, zu machen, macht das heute ganz automatisch. Auch hier gilt: Er hat einen Nutzen davon, denn dadurch wird seine Versicherung für ihn transparenter, besser und auch günstiger.

Diesen Trend sehen viele Versicherungsunternehmen auch in anderen Sparten und Versicherungsformen. Ein 25-jähriger Single stellt eben ein anderes Haftpflichtrisiko dar als ein verheirateter Mittvierziger mit drei Kindern. Und ein Pudel am Tegernsee weist eine andere Risikowahrscheinlichkeit auf als ein Dobermann in Berlin-Mitte. Dabei muss man sich stets vor Augen führen, dass die Versicherung eigentlich der Ausgleich im Kollektiv ist. Aber wenn man alle gleich behandeln würde – was natürlich eine Option wäre – dann würde eben auch der Pudelbesitzer am Tegernsee für die Schäden seiner Hundefreunde in Berlin mit zur Kasse gebeten. Überlegen Sie mal, wie der Pudelfan das mit Blick auf den konkreten Nutzen bewerten würde.

Der Kollektivgedanke bleibt

Für den Versicherer sind diese Daten also wichtig, um das Risiko präzise zu kalkulieren und damit weniger mit Wahrscheinlichkeiten und Durchschnitten zu arbeiten. Eine Datenbasis aus empirischen Fakten und präzisen Schadenstatistiken entsteht. Für den Kunden bedeutet das ein besseres, direkt und individuell auf ihn zugeschnittenes Produkt. Risiken, die er tatsächlich nicht hat, werden aus der Kalkulation herausgenommen. Das Produkt wird also in sich schlanker und effizienter. Und trotz allem bleibt der Kollektivgedanke der Versicherung erhalten. Denn ein Versicherer braucht die großen Kunden- und Datenmengen, um eben diese Tarife genauer zu berechnen und über die eingezahlten Beiträge den Risikoausgleich zwischen den Beitragszahlern zu schaffen. Dafür ist eine Versicherung schließlich da: Viele zahlen ein, einige können betroffen sein und alle stehen dafür gerade, weil niemand weiß, wann es sie oder ihn selbst treffen kann. Daten helfen, das Kollektiv besser zu erfassen und die Versicherungsleistung individuell angepasst anzubieten.

Durch Corona hat sich Vieles dahingehend verändert, dass Kunden den Nutzen ihrer Daten erkannt haben. In der Folge werden sie auch weitere Daten von sich offenlegen, denn dieser Mehrwert wird erkannt und geschätzt. Ein weiterer Faktor für die Beschleunigung dieses Trends ist der demographische Wandel: Die Generation der 20-30-Jährigen wurde mit der Datenvielfalt im Netz groß. Hier gibt es kaum noch Ressentiments gegenüber der Weitergabe von Daten. Dennoch sollte man sich hüten, zu behaupten, diese Generation würde leichtsinnig mit ihren Daten umgehen. Im Gegenteil: Diese Generation erkennt den Vorteil dieser Informationen und nur deswegen werden die Daten offengelegt. Das ist der richtige Weg.

Bei der nun allerorts aufkommenden Datenoffensive bleibt also nur eines abzuwarten: Wie schnell schaffen es die etablierten Versicherer, mit ihren existierenden Systemen auf diese neue Flut an Daten sinnvoll zu reagieren? Denn Daten zu bekommen ist das eine, sie dann aber in sinnvolle Informationen zu wandeln, zu verwalten, auszuwerten und in Produkte umzusetzen ist weitaus aufwendiger und schwieriger. Hier kommt auf unsere Industrie also noch viel Transformation zu. Es wird spannend!