Das Landgericht Köln hatte es für ein aktuelles Urteil mit einer arglistigen Obliegenheitsverletzung zu tun. Diese beging just der Kläger, der tatsächlich meinte: Die Vollkasko müsse auch dann für einen Unfallschaden leisten, wenn der Unfallwagen vor der Untersuchung des Schadenereignisses in Polen verschwindet. Damit hat er aber die Rechnung ohne die Allgemeinen Versicherungsbedingungen gemacht. Der Versicherungsbote stellt den ominösen Fall vor dem Landgericht in Köln vor.
Unfall ohne Zeugen: Die Leitplanke war beidseitig im Weg
Sollte man von einem „anschaulichen“ Urteil sprechen, das am Landgericht (LG) Köln zu Obliegenheiten in der Kfz-Versicherung gefällt wurde (Az. 24 O 236/19)? Oder sollte man stattdessen nicht eher von einem „selbstverständlichen“ Urteil sprechen – bei dem man sich eher wundert, dass es überhaupt zur Klage kam? Denn der klagende Versicherungsnehmer – der angeblich verunfallte Fahrer eines Audi A 8 – verletzte wirklich alle Obliegenheiten, die zu einer Aufklärung des Unfallhergangs hätten führen können. Und dennoch meinte er, Anrecht auf die Versicherungsleistung zu haben und mit einer Klage vor Gericht erfolgreich zu sein.
Ausgangspunkt des Gerichtsstreits war ein Unfallgeschehen, das in seinen Details bis heute im Dunklen bleiben muss. Deutlich ist nur der Schaden, der durch dieses Geschehen an einem Audi A 8 entstand: 15.389 Euro forderte der Fahrer aufgrund seiner Vollkaskoversicherung vom Kfz-Versicherer und ließ sich diesen Schaden auch von einem Gutachter bestätigen. Verursacht wurde der Schaden im Februar 2019 gegen Mitternacht auf einer Landstraße im Kölner Umland.
Die Unfallumstände, die der Fahrer zunächst gegenüber der Polizei angab, wirken auf dem ersten Blick auch plausibel: Ihm sei ein USB-Stick in den Fußraum gefallen, den er aufheben wollte. Eine dadurch bedingte Unachtsamkeit habe dann zu einem Manöver geführt, das aufgrund überfrierender Nässe arg missglückte: Nach eigener Aussage kam der Mann von der Fahrbahn ab. Erst habe er die Leitplanke der Gegenfahrbahn gestreift, dann die Leitplanke neben der eigenen Fahrspur. So wäre auch der beträchtliche Schaden entstanden, der an der linken und rechten Seite des Audi A 8 tatsächlich zu beklagen war. Einziger Zeuge des Vorfalls: Der Fahrer des Audi A 8.
Dem Sachverständigen wurde die Untersuchung der Assistenzsysteme verwehrt
Der Kfz-Versicherer des Mannes freilich schöpfte dann doch Verdacht aufgrund des geschilderten Unfallhergangs und sah sich zu weiteren Nachforschungen gezwungen. Und die Bedenken waren technischer Art. Verfügte doch der Unfallwagen über elektronische Hilfs- und Assistenzsysteme, die just das geschilderte Szenario aus Sicht des Versicherers sehr unwahrscheinlich machen – zumindest, wenn die Systeme intakt waren. Ein Sachverständiger wurde also zum angeblichen Unfallopfer geschickt, um sich die Technik des Wagens genauer anzuschauen. Der Experte durfte aber vor Ort die elektronischen Hilfs- und Assistenzsysteme nicht begutachten – der zweifelhaft Unfallgeschädigte erlaubte dies nicht.
Auslesen des Fahrzeugdatenspeichers sei Eingriff in die Privatsphäre
Der Versicherer versuchte nun erneut, Licht in das Unfallgeschehen zu bringen – und schickte dem Mann ein Formular, um Einverständnis zu erhalten für das Auslesen des Fahrzeugdatenspeichers. Statt des Formulars schickte der Unfall-Fahrer ein Schreiben zurück, in dem er erklärte: Er könne das Formular nicht unterzeichnet zurücksenden. Stelle doch das Auslesen des Fahrzeugdatenspeichers einen „erheblichen Eingriff“ in seine Privatsphäre dar, wie der Mann in seinem Schreiben begründete.
Und es folgte ein Argument, das nicht gerade geeignet ist, das Vertrauen eines Kfz-Versicherers zu erwecken: Der Eingriff in die Privatsphäre geschehe dadurch, dass der Versicherer aus den Daten Rückschlüsse auf das Fahrverhalten des Mannes gewinnen könne. Deswegen sei eine solche Auslesung dem behaupteten Unfallopfer nicht zuzumuten.
Klage gegen die Versicherung…und zugleich Verkauf des Unfallwagens nach Polen
Der Fahrer des Audi wollte nun aber dennoch schnell die Schadensumme ausgezahlt bekommen, weswegen er ein Schreiben durch seinen Anwalt aufsetzen ließ. Mit diesem wurde der Versicherer zur Regulierung bis zum 03.06.2019 aufgefordert. Der Versicherer verweigerte dies aber mit Schreiben vom 06.06.2019 – technische Bedenken würden dafür sprechen, dass sich der Unfall gar nicht so ereignet haben kann, wie vom Fahrer des Audi angegeben.
Und was nun kam, trug wesentlich zum deutlichen Urteilsspruch des Landgerichts bei. Denn zwar ließ nun der Fahrer des Audi über seinen Anwalt vor dem Landgericht gegen die Versicherung klagen: Der Kfz-Versicherer des Mannes sollte gerichtlich verurteilt werden, die 15.389 Euro nebst Zinsen und Anwaltskosten zu zahlen. Schon am 24.06.2019 aber verkaufte das behauptete Unfallopfer den Wagen unrepariert nach Polen – über einen Käufer, zu dem er keinen Kontakt mehr hätte, wie er später dem Landgericht erklärte. Deswegen sei der Wagen auch nicht mehr auffindbar. Der Mann hatte nach eigenen Angaben halt schnell Geld gebraucht.
Verdacht des Versicherers wurde wahrscheinlicher: Unfall war Versicherungsbetrug
Aufgrund eines solchen Verhaltens äußerte der Kfz-Versicherer nun vor Gericht deutlich seinen Verdacht: Statt um einen Unfall handelt es sich um ein manipuliertes Unfallereignis– und damit um Versicherungsbetrug. Freilich: Mit dem Wagen verschwand auch die Möglichkeit, dies anhand einer technischen Untersuchung konkret nachzuweisen. Das aber musste der Versicherer auch gar nicht.
Obliegenheitspflicht bringt Kläger in die Bredouille
Denn vor dem Landgericht in Köln konnte der Kfz-Versicherer nun auf die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) und die darin definierten Mitwirkungspflichten verweisen. So heißt es unter anderem: Untersuchungen zu den Umständen des Schadenereignisses, zu den Ursachen und zu der Höhe des Schadens sowie zur Leistungspflicht muss der Versicherungsnehmer „erlauben“, soweit es ihm „zumutbar ist“. Und wird gegen die Obliegenheiten verstoßen, nimmt dies den Versicherer aus der Leistungspflicht.
Eine Tatsache, die das Landgericht dem Versicherer bestätigte: Der Versicherungsnehmer muss zumutbare Untersuchungen zu den Umständen des Schadensereignisses sowie zur Leistungspflicht ermöglichen. Und das Gericht stellte auch in seinen Urteilsgründen fest: Es sind keine Umstände dafür ersichtlich, dass die Auslesung des Datenspeichers unzumutbar gewesen wäre. Das Gericht führt in seinen Urteilsgründen sogar aus: Soweit der Kläger darauf abstellt, dass der Versicherer aus der Auslesung Rückschlüsse auf sein Fahrverhalten ziehen könnte, mache er „deutlich, dass ihm klar war, um was es geht“ – nämlich auch um Erkenntnisse zum Unfallhergang, die gegen eine Regulierung im Sinne des Audifahrers sprechen könnten.
Gericht urteilte: Der Fahrer handelte arglistig
Und gerade solche Rückschlüsse zum Unfallhergang wollte das angebliche Unfallopfer durch seine Weigerung verhindern, wie das Landgericht zudem ausführt. Ging es doch dem Fahrer des Audi A 8 darum, „eine wichtige Erkenntnisquelle“ für die Regulierungsprüfung des Versicherers zu „verschließen“. Weil diese Versuche, eine Untersuchung zu verhindern, allzu offensichtlich sehr weit gingen, urteilte die 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln auch: Der klagende Versicherungsnehmer beging seine Aufklärungsobliegenheitsverletzung aus Arglist.
Die Versicherung ist demnach nicht leistungspflichtig – die Klage wird abgewiesen. In diesem Kontext verweist das Gericht zusätzlich darauf: Selbst, wenn eine Obliegenheitsverletzung nicht aus Arglist geschehen wäre, sondern nur aus Vorsatz, bliebe es bei der Leistungsfreiheit der beklagten Versicherung. Das Urteil ist auf den Seiten der Justiz Nordrheinwestfalens verfügbar.