Das Gros der Betriebsschließungs-Versicherer weigert sich nach wie vor, Hotels und Gastronomen voll zu entschädigen, wenn sie infolge einer Corona-Allgemeinverfügung dicht machen mussten. Die Bundesregierung sieht aber keine Versäumnisse der Branche und keinen Reformbedarf, wie eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion ergab. Zwei Gutachten kommen zu anderen Ergebnissen.
Viele Hoteliers und Gastronomen streiten sich derzeit mit ihrem Versicherer vor Gericht, weil die Gesellschaften sie bei Betriebsschließungen im Rahmen allgemeiner Corona-Verfügungen nicht entschädigen wollen. Die FDP-Fraktion im Bundestag wollte nun von der Bundesregierung wissen, wie viele Betriebe in Deutschland einen solchen Vertrag halten und wie viel die Versicherer bereits für Betriebsschließungen und Ertragsausfall infolge der Coronakrise gezahlt haben (BT-Drucksache: 19/21947). Über die Anfrage informiert der FDP-Politiker Frank Schäffler auf seiner Webseite.
Die entsprechende Anfrage hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) beantwortet. Bis zum 01. Juli 2020 seien rund 157 Millionen Euro an Leistungen für coronabedingte Schäden ausgezahlt worden, berichtet das Ministerium.
Allerdings geht aus der Antwort nicht hervor, welcher Anteil infolge des sogenannten Bayrischen Kompromisses flossen. Die Versicherer zahlen demnach maximal zehn bis 15 Prozent der versicherten Tagessumme aus, begrenzt auf 30 Tage: angeblich aus Kulanz, nachdem sich bayrische Landesregierung, Versicherer und der bayrische Regionalverband auf einen entsprechenden Kompromiss geeinigt hatten. Viele Versicherer bieten die Lösung bundesweit an.
Im Schnitt aller bestehenden Verträge 2.150 Euro ausgezahlt
Laut dem Bundeswirtschaftsministerium verfügen zudem 73.000 Firmen aktuell über eine Betriebsschließungs- oder Ertragsausfallpolice. Bei dieser Zahl stützt sich das Ressort auf Daten des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Pro Vertrag wurden im Schnitt folglich bisher 2150 Euro ausgezahlt: eine sehr niedrige Summe. Jedoch gilt es zu bedenken, dass nicht jeder Betrieb infolge der Corona-Maßnahmen dicht machen musste und nicht jede Firma Versicherungsschutz genießt. Hierbei kommt es auf die konkrete Vertragsgestaltung an.
Laut einer Umfrage des Ministeriums war Mitte Juni mehr als jedes dritte Unternehmen (34 Prozent) in Deutschland von einer ganzen oder teilweisen Schließung betroffen. 20 Prozent der befragten Firmen gaben an, „sehr stark“ durch den Corona-Lockdown betroffen gewesen zu sein.
Bundesregierung sieht kein Versäumnis der Versicherer
Gezielt fragte die FDP-Fraktion auch danach, ob der Finanzaufsicht BaFin Fälle bekannt seien, wonach "Versicherungsgesellschaften die vereinbarten Vertragsbedingungen von Betriebsausfallversicherungen in der Corona-Pandemie nicht eingehalten haben“. Auch wollten die Liberalen wissen, welche Maßnahmen die Bundesregierung und Aufsichtsbehörde ergriffen, um gegen mögliche Vertragsverletzungen der Versicherer vorzugehen.
Versicherungswirtschaft stellt sich nach wie vor quer
Die Frage kommt nicht von ungefähr. Nach wie vor weigert sich das Gros der Versicherer, Hoteliers und Gastronomen voll zu entschädigen, wenn der Betrieb infolge einer Corona-Allgemeinverfügung dicht machen musste. Dabei lassen sich grob zwei Argumentationslinien unterscheiden:
- Zwar seien Betriebsschließungen infolge des Infektionsschutzgesetzes versichert. Aber nur jene Krankheiten, die wortwörtlich in den Vertragsbedingungen genannt werden: Folglich nicht Covid-19, das erst im Februar 2020 in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen wurde. In vielen Altverträgen wird das Virus noch nicht genannt.
- Die Betriebe haben nur Anspruch auf die Versicherungsleistung, wenn ein konkreter Corona-Fall in der Firma auftrat und sie deshalb geschlossen werden musste. Nicht jedoch bei Allgemeinverfügungen.
Das Wirtschaftsministerium hat jedoch laut Antwort auf die Kleine Anfrage keine Erkenntnisse, dass Leistungen zu Unrecht verweigert werden, musste aber zahlreiche Rechtsstreite einräumen. Wörtlich heißt es in dem Papier:
„Der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sind keine Fälle bekannt, in denen ein Versicherer eine Leistung aus der Betriebsschließungsversicherung entgegen eindeutig getroffener vertraglicher Vereinbarungen verweigert hätte. Die Auslegung der Versicherungsbedingungen der Betriebsschließungsversicherung ist derzeit Gegenstand zahlreicher anhängiger Gerichtsverfahren.“
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes: BaFin könnte eingreifen
Anders sieht das hingegen FDP-Politiker Schäffler. “Die Versicherer ziehen sich mit fadenscheinigen Argumenten aus der Verantwortung. Die Finanzaufsicht Bafin bleibe in der Angelegenheit untätig, obwohl sie eigentlich eingreifen könnte“, kommentiert der Diplom-Volkswirt auf Twitter.
Schäffler, der früher selbst im Versicherungs- und Finanzvertrieb tätig war, beruft sich auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zu der Kleinen Anfrage. Demnach hätte die BaFin sehr wohl einschreiten können, um rechtliche Unklarheiten auszuräumen. Auf seiner Webseite zitiert er aus dem Papier:
„Einzelfragen des Versicherungsvertrags sind im Streitfall durch die ordentlichen Gerichte und nicht durch die Versicherungsaufsicht zu klären. Dennoch kann die BaFin einschreiten, wenn das Verhalten des Versicherers über den Einzelfall hinaus Bedeutung erlangt, also viele Versicherungsnehmer in vergleichbarer Weise betrifft. Die Bundesanstalt kann dann überprüfen, ob die Gesellschaft die vereinbarten Vertragsbedingungen und die rechtlichen Vorgaben eingehalten hat…“
Münchener Rechtsgutachten sieht oft volle Zahlungspflicht der Versicherer
Zuvor kam bereits ein Rechtsgutachten des Juristen Walter Seitz, bis 2003 Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München, zu dem Ergebnis, dass die Versicherer in vielen Fällen voll zahlungspflichtig sein dürften: wenn auch abhängig vom Vertrag. Der Grund: Die Verträge enthalten oft mehrdeutige Formulierungen und Pandemie-Risiken seien darin nicht explizit ausgeschlossen.
Demnach seien auch Allgemeinverfügungen oder Verordnungen eines zuständigen Ministeriums als „Schließung durch die zuständige Behörde" anzusehen, die laut Vertrag oft versichert seien. Denn mehrdeutige Formulierungen in Geschäftsbedingungen gehen – gemäß Paragraph 305c Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) – zulasten des Verwenders und damit des Versicherers. Will der Gesetzgeber doch vermeiden, dass trickreiche Mehrdeutigkeiten zur Verletzung der Vertragspflichten führen.