Wie geht es für die rund 370.000 britischen Unternehmen weiter, die eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen hatten, aber keine Leistungen ihrer Versicherer bekommen haben? Wie der High Court über die Klauseln befand und welche Reaktionen das Urteil hervorrief.
Ob die Rückversicherungs-Spirale bei Lloyd’s oder die Terror-Anschläge vom 11. September 2001: Die Versicherungsbranche in Großbritannien ist krisenerprobt. Doch noch nie gab es im Vereinigten Königreich eine Katastrophe, die so viele Versicherungsnehmer und so viele Unternehmen im ganzen Land betroffen hat.
Schon deshalb wurde mit Spannung über den Kanal an die Themse geschaut, wie der dort ansässige High Court über Klauseln von Betriebsschließungsversicherungen hinsichtlich der Zahlungspflicht im Fall der aktuellen Corona-Pandemie befindet.
Die britische Finanzaufsicht (FCA) strengte einen Musterprozess an, für den 21 Bedingungsformulierungen von acht Versicherern ausgewählt wurden. Mit diesem Musterprozess sollten jahrelange Rechtsstreitigkeiten vermieden, Klarheit und Rechtssicherheit geschaffen werden.
FCA: Gericht folgt Argumentation
Am Dienstag verkündete der High Court sein Urteil und legte einen Großteil der Klauseln zugunsten der Versicherten aus. „Wir freuen uns, dass das Gericht die Argumente, die wir zu den meisten Schlüsselfragen vorgebracht haben, im Wesentlichen befürwortet hat", wird Christopher Woolard, Interim Chief Executive der FCA, auf der Webseite der Finanzaufsicht zitiert. Das Urteil sei ein wichtiger Schritt, um die Unsicherheit der Versicherungsnehmer zu beseitigen, hieß es weiter von den Aufsehern.
Dementsprechend feierte auch die Hiscox Action Group (HAG), eine Interessenvereinigung von Hiscox-Versicherten, die Entscheidung des High Court als Sieg: „Das Wichtigste ist jetzt, dass die Versicherer diese Entscheidung akzeptieren und mit der Auszahlung beginnen, anstatt ein erfolgloses Berufungsverfahren einzuleiten, das nur den Versicherungsnehmern, die sie schützen sollten, mehr Leid zufügt“, zitiert das Fachportal „Insurancebusinessmag“ Mark Killick, Mitglied des HAG-Lenkungsausschusses.
Zurich wertet Urteil als Erfolg
Die Zurich, die mit fünf Bedingungswerk-Formulierungen im Musterprozess vertreten war, werte das Urteil allerdings auch als Erfolg. So hätte das britische High Court entschieden, dass die überprüften Formulierungen keine Deckung für Betriebsunterbrechungen im Zusammenhang mit COVID-19 bieten, schreibt der Schweizer Versicherer in einer Pressemeldung. Weiter heißt es: „Zurich prüft derzeit die Auswirkungen des Urteils in Bezug auf die durch die FCA geprüften Police-Formulierungen anderer Versicherer. Die daraus resultierende Erhöhung der COVID-19-bezogenen Schadensersatzforderungen in der Schaden- und Unfallversicherung der Gruppe in Höhe von geschätzten USD 750 Millionen für das Gesamtjahr 2020 wird sich nicht wesentlich auf das Ergebnis der Gruppe auswirken.“
Ob die anderen betroffenen Versicherer rechtliche Schritte gegen die Entscheidung einleiten werden, ist derzeit noch unklar. Medienberichten zufolge, soll der australische Versicherer QBE juristische Schritte erwägen. QBE erwartet durch das Urteil Mehraufwendungen in Höhe von 54 Mio. Pfund. Der Versicherer Hiscox, von dem mit Abstand die meisten Bedingungsformulierungen überprüft worden, korrigierte seine Schadenerwartung nach unten und rechnet nun mit 150 Mio. Pfund weniger Kosten. Der Versicherer müsse bei weniger als einem Drittel seiner 34.000 betroffenen Policen zahlen.
Rechtsstreitigkeiten um die Leistungspflicht von Betriebsunterbrechungspolicen fanden u.a. auch in Frankreich und Deutschland statt. In Deutschland gibt es nicht die Möglichkeit, vergleichbare Musterprozesse wie in Großbritannien zu führen. Ein Rechtsgutachten von Prof. Seitz (LMU) sieht viele Versicherer in der Leistungspflicht.