Mit der PSD2 hat die EU im Jahre 2016 eine Direktive in Kraft treten lassen, die Europas Zahlungsverkehr liberalisieren, Kosten für Endverbraucher senken und Innovationen fördern sollte. Als zentrales Element sahen die Initiatoren die Frage „Wer darf über die Bankdaten der Verbraucher verfügen“? an. Auch für Versicherungsvermittler birgt das Chancen: Sie können diese Daten nutzen. Ein Gastkommentar von Dirk Rudolf, Gründer und Geschäftsführer beim Münchner B2B-FinTech FinTecSystems GmbH.
„Wer darf über die Bankdaten der Verbraucher verfügen“? Die logische Antwort darauf gab die PSD2 gleich mit: Es sind die Konsumenten, die entscheiden dürfen, wem sie ihre Banking-Informationen zur Verfügung stellen. Damit wurde zum einen der mündige Bürger im digitalen Zeitalter gestärkt und zum anderen Banken und regulierte Drittanbieter (z.B. FinTechs) als gleichberechtigte Marktteilnehmer auf Augenhöhe gebracht. Seit Umsetzung der PSD2 in nationales Recht (2018) dürfen regulierte Kontoinformations- und Zahlungsdienstleister (die so genannten KID und ZAD) mit Einwilligung des Verbrauchers auf Konten zugreifen – die Grundlage für Open Banking-Angebote.
Das Onlinebanking-Konto kann mehr als nur Zahlungen auslösen
Doch die PSD2 und Open Banking haben nicht nur große Auswirkungen auf die Banking- und Payment-Branche, sondern auch auf viele weitere Bereiche. Denn durch die fortschreitende Digitalisierung rückt das Onlinebanking-Konto immer mehr in den Mittelpunkt: Eingehende und ausgehende Zahlungen, Daueraufträge, Kreditverpflichtungen und vieles mehr lassen ein umfängliches Bild des Verbrauchers entstehen. Ein Bild, das auch in der Versicherungswirtschaft große Potenziale bietet. Beispielsweise können Versicherungsanbieter über einen einfachen, PSD2-konformen Kontocheck folgendes erfahren:
- Welche Versicherungen hat der Kunde bereits?
- Wo bestehen eventuelle Lücken im Versicherungsschutz?
- Gibt es Potenzial für maßgeschneiderte Angebote?
Um diese Informationen bereitzustellen, sammeln, analysieren und kategorisieren Kontoinformationsdienste (KID) freigegebene Daten von Versicherungskunden. Diese werden zu einer Übersicht der potenziell bestehenden Versicherungsverhältnisse zusammengefasst und den Versicherungsanbietern zur Verfügung gestellt. Darauf aufbauend können Versicherer beispielsweise einschätzen, welche Angebote möglicherweise Mehrwert für den Kunden bieten. Genau dieser Punkt ist in Zeiten der zunehmenden Automatisierung von Prozessen das größte Faustpfand des Versicherungsberaters: Eine kompetente und maßgeschneiderte Beratungskompetenz durch Experten wird gerade im digitalen Zeitalter unverzichtbar bleiben.
Heirat, Hauskauf, Berufswechsel: Key Life Events lassen sich frühzeitig erkennen
Digitalisierung und speziell die Möglichkeiten des Open Bankings geben den Beratern ein wirkungsvolles Instrument an die Hand, eine noch individuellere Betreuung zu ermöglichen. Dies wird deutlich, wenn man einen Blick auf die Potenziale des digitalen Kontochecks wirft: Durch Änderungen des Einkaufsverhaltens (z.B. Anschaffung Kinderwagen), oder neue Belastungen (z.B. zum Beispiel regelmäßige Ratenzahlungen) sowie eine Änderung bei den Gehaltszahlungen (z.B. neuer Absender) lassen sich so genannte Key Life Events wie Familiengründung, Hauskauf oder beruflicher Wechsel identifizieren. Selbstlernende Algorithmen nehmen diese Kategorisierung mit hoher Präzision vor. Mit diesen Informationen, zum Beispiel zur Geburt des ersten Kindes, kann der Berater dann passende Produkte (z.B. Lebensversicherung) oder spezielle Versicherungsangebote für Familien offerieren.
Über den Kontoblick lassen sich auch datengetrieben und permanent aktuelle Kundenprofile erstellen. Diese sind die perfekte Ausgangsbasis für Cross- und Up-Selling Strategien. Wichtig ist in diesem Zusammenhang immer zu betonen, dass der Nutzer aktiv einwilligen muss, seine Kontodaten einem regulierten Drittanbieter zur Verfügung zu stellen. Erfahrungen aus dem Banking-Bereich (z.B. bei Beantragung von Online-Krediten) zeigen, dass viele Verbraucher dazu bereit sind.
Herausforderung: Der Touchpoint zum Kunden im digitalen Umfeld
Doch nicht nur im Bereich Kontoinformationsdienste, sondern auch bei der Zahlungsauslösung bieten sich durch die PSD2 Potenziale für die Versicherungswirtschaft. So ist beispielsweise eine digitale Bezahlfunktion möglich, die - beispielsweise als White Label-Produkt eines regulierten Drittanbieters - einfach in die Prozesse der Versicherungsanbieter integrierbar ist. Die Abwicklung durch eine hohe Automatisierung ermöglicht das zeitgemäße Bedürfnis nach Komfort. Versicherungskunden können per QR-Code auf der Rechnung oder per Email zur Zahlung weitergeleitet werden. Eine vorausgefüllte Zahlungsanweisung erscheint, die der Kunde nur noch durch eine PIN/TAN-Eingabe legitimieren und auslösen muss. Die Buchhaltung des Versicherungsanbieters wiederum profitiert ebenfalls durch die vorausgefüllten Formulare, Zahlendreher, falsche Zahlungsreferenzen etc. gehören der Vergangenheit an.
Fazit: Open Banking bietet großes Potenzial für den Versicherungsvermittler
Die PSD2 hat Open Banking endgültig auf den Weg gebracht. Die Liberalisierung des elektronischen Zahlungsverkehrsmarktes hat in der Banking- und Payment-Branche bereits eine Revolution in Gang gesetzt. Doch auch für verwandte Bereiche wie beispielsweise der Versicherungswirtschaft bieten Open Banking und der Fokus auf das Online-Banking-Konto große Potenziale. Auf der einen Seite lassen sich aktuelle und künftige Bedürfnisse des Kunden besser erkennen. Andererseits bilden Kontoinformationen auch immer die Basis für interessante Up- und Cross-Selling-Möglichkeiten.
Die Analyse der Bankdaten, in die der Nutzer aktiv einwilligt, geschieht maßgeblich durch den Einsatz von KI und Machine Learning. Die hohe Präzision der Analyse führt zu einer höheren Beratungskompetenz und damit zur stärkeren Kundenbindung. Dies ist das wahre Potenzial von Open Banking: Die Stärkung der menschlichen Beratungsleistung als Wegweiser in einer zunehmend digitalen Welt.