Welche Mindest-Qualifikationen halten Sie denn für Vermittler für ausschlaggebend? Reicht es, Versicherungsfachmann oder -fachfrau zu werden? Welche Qualifikationen würden Sie zusätzlich empfehlen?
Ich bin da kein Dogmatiker. Es gibt sicher in Zukunft weiter die Möglichkeit, sich über die formellen Mindestqualifikationen hinaus theoretisch und praktisch weiterzuqualifizieren. Aber dass man jetzt sagt: Es muss noch ein Bachelor sein oder ein Master – das würde ich nicht pauschal vorgeben. Jede Qualifikation hilft. Ich kann mir keine einschlägige Qualifikation vorstellen, die die Berufsausübung behindert. Es kommt am Ende darauf an, welche Kunden bedient, welche Risikofelder beraten, welche Versicherungsprodukte eingesetzt werden und welche Erfahrungen schon vorliegen.
Wir sehen uns in der Vermittlerbranche mit einem enormen Nachwuchsmangel konfrontiert, das Durchschnittsalter nähert sich den 50 Jahren. Kümmert sich die Versicherungswirtschaft zu wenig darum, neue Nachwuchskräfte zu gewinnen? Ist sogar ein Vermittlersterben mit Beratungsengpässen zu erwarten, wie mancher Branchenbeobachter warnt?
Ich versuche, bei Fakten zu bleiben. Wir haben tatsächlich ein recht hohes Durchschnittsalter im Vertrieb. Das sind die Kolleginnen und Kollegen, die schon lange im Beruf tätig sind und ihn beherrschen. Ich gehöre ganz und gar nicht nicht zu jenen, die sagen: Das breite Feld ist unterqualifiziert. Im Großen und Ganzen gilt stattdessen: Wir haben knapp 200.000 Vermittler in Deutschland. Die meisten sind gut qualifiziert und lange und erfolgreich im Beruf. Sie betreiben nachhaltiges Geschäft und bedienen ihre Kunden nach gutem Wissen und Gewissen.
Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch andere gibt – wenig Qualifizierte und Vermittler, die „schnelles Geschäft“ betreiben. Dadurch wird aber leider auch das Branchenimage negativ geprägt. Nicht umsonst ist das Fernbild der Vermittler, also die Sicht der allgemeinen Kundschaft auf den Vermittlerberuf, teils miserabel. Der Vertreter oder der Makler als solcher hat leider ein schlechtes Image in der breiten Öffentlichkeit. Der „Jupp“ um die Ecke aber, mein Vertreter – der hilft mir. Das Nahbild ist gut. Und die Summe der Nahbilder wäre vermutlich sehr viel besser als das Fernbild der Vermittler.
Die Mehrheit der Vermittler ist also gut qualifiziert, aber schon im fortgeschrittenen Alter. Und die Welt ändert sich. Damit muss sich auch das Setting der Vermittler verändern. Gehen wir zurück zum Thema Digitalisierung. Da haben es etablierte Vermittler im fortgeschrittenen Alter oft schwerer als junge Leute. Das merke ich am eigenen Beispiel. Sicher bin ich sehr aufgeschlossen für neue Technologien und die digitale Welt. Aber wenn ich mir mein eigenes Informationsverhalten ansehe, etwa wenn ich eine Frage beantworten will – da liegen Welten zwischen meiner Herangehensweise und jener meines 14jährigen Sohnes. Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell er die Antwort hat und auf welchem – immer digitalen – Weg er sie findet, da komme ich nicht mit.
Es wäre für die Branche schädlich, wenn nicht mehr junge Menschen mit digitalen Kompetenzen nachkommen würden, die sich selbstverständlich in den neuen Welten bewegen. Hier tut sich die Versicherungsbranche tatsächlich schwer, das Berufsfeld für Menschen mit digitalen Kompetenzen attraktiver zu machen. Der Ansatz der Ausbildungsrenovierung kann ein wichtiger Schritt dahin sein: digitales Wissen mehr zu gewichten.
Warnungen vor einem Vermittlersterben halte ich jedoch für übertrieben, weil wir mit 200.000 Vermittlern immer noch zu viele haben: Ich würde schätzen, etwa ein Drittel davon ist entbehrlich. Wenn jene aussteigen würden, die wenig Geschäft produzieren, wenig erfolgreich sind und eigentlich davon gar nicht leben können, wäre das für die Branche nicht nur verkraftbar, sondern vermutlich sogar vorteilhaft … und für die Kunden auch.
Die Fragen stellte Mirko Wenig