Versicherungsbote: Empfehlen Sie, einheimische Dienste zum Speichern von Daten zu nutzen? Wenn ja, weshalb?
Frank Theisen: Als IBM haben wir hier andere Möglichkeiten als eine Limitation auf ein „einheimisches“ Rechenzentrum in Betracht zu ziehen. Mit der Hybrid Cloud geben wir den Kunden die Wahl, ob sie sensible Daten in der IBM Cloud mit entsprechenden Sicherheitstechnologien wie z.B „Keep-Your-Own-Key“ speichern wollen oder die IBM EU Cloud Option zu wählen, so dass nur EU Personal auf die Public Cloud Zugriff hat. Dies entspricht einem „einheimischen“ Rechenzentrum. Wem diese beiden Optionen noch nicht genügen, dem bietet IBM noch eine weitere Lösung: IBM Cloud Satellite. Dieser Service gibt den Kunden die Möglichkeit Daten im eigenen Rechenzentrum, im Edge-Computing oder in einer Public-Cloud-Umgebungen von jedem Cloud-Anbieter zu halten und trotzdem die Vorteile einer Cloud zu nutzen, bei der der Service zentral über die Cloud gesteuert und gemanagt wird. Der Ansatz Distributed / Federated Cloud bietet die Möglichkeit, in meiner eigenen Umgebung vom hohen Innovationszyklus des Anbieters (in dem Fall IBM) zu protfitieren. Das Ergebnis ist eine höhere Entwicklerproduktivität und Entwicklungsgeschwindigkeit.
Was sollten Versicherungsvermittler beachten, wenn sie Kunden- und Geschäftsdaten auf einer Cloud speichern? Wo lauern hier Gefahren und eventuell gar Haftungsrisiken?
Thomas Rechnitzer: Für den einzelnen Versicherungsvertriebler kann es im Zweifel sehr schwierig sein zu beurteilen, welche Lösung Compliance- und Datenschutz-konform ist. Das gilt gerade dann, wenn sich Cloud-Angebote sehr unauffällig in bestehende Systeme integrieren und auf den ersten Blick nur eine weitere, bequeme Option darstellen. Das trifft auf viele für den B2C-Bereich konzipierte Angebote zu. In der Folge wird dann schnell einmal ein Datensatz mit DSGVO-relevanten Angaben auf einen Cloud-Speicherplatz verschoben. Geht dann etwas schief – sprich: Daten verloren oder Zugriff durch Dritte – dann ist der einzelne Vertriebler oder Sachbearbeiter rechtlich für den so erfolgten Datenschutzverstoß verantwortlich, mit allen Konsequenzen bis hin zu Informations- und Offenlegungspflicht sowie Schadenersatzforderungen. Die einzige praktikable Lösung besteht meines Erachtens in klaren, branchenweiten Regelungen. Aufsetzend auf diesen können dann auch Cloud-Lösungen so vorab geprüft und konfiguriert werden, dass sie das Arbeiten unter Einhaltung aller Compliance-Regeln erleichtern.
„Roboter ersetzt Versicherungs-Sachbearbeiter“, haben wir vor einigen Jahren getitelt. Der japanische Versicherer Fukoku Mutual Life Insurance hat mir Ihrer Hilfe und künstlicher Intelligenz ein Viertel der Mitarbeiter ersetzt. Die Software Ihres Supercomputers Watson könne „Denken wie ein Mensch“, hieß es damals in einem Ihrer Pressetexte. Wird der Versicherungs-Mitarbeiter dank Cloud-Technik überflüssig? Wo sind hier die Grenzen?
Thomas Rechnitzer: Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir zunächst einmal differenzieren zwischen der Cloud-Technologie und dem Bereich Künstliche Intelligenz (KI). Erstere ist mittlerweile breit etabliert und findet immer häufiger auch Anwendung in Unternehmen der Versicherungs- und Finanzbranche. KI dagegen ist in dieser Breite noch nicht im Produktiveinsatz, gleichzeitig entwickelt sich die Technologie rapide – nicht zuletzt dank Cloud. Das spannende an KI ist aus meiner Sicht, dass sie unmittelbar die drei business-kritischen Elemente Mensch – Daten – Technologie berührt. Entsprechend wichtig ist es, ethische Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI festzulegen. Wir haben uns dazu bereits sehr früh auf entsprechende Commitments verständigt. Ich bin außerdem der Meinung, dass es kein Entweder-Oder bei der Frage Mitarbeiter oder KI geben sollte – beide haben ihre Stärken, und gemeinsam sollten sie ein leistungsfähigeres Team darstellen: Wiederkehrende, kontinuierliche Aufgaben oder solche, bei denen große Datenmengen für die Entscheidungsvorbereitung notwendig sind, sind bei der KI gut aufgehoben. So ist beispielsweise eine Betrugserkennung durch automatische Bildanalysen durch eine künstliche Intelligenz mittlerweile sehr effektiv. Die strategische Planung und grundlegende Entscheidungen werden aber weiterhin sehr viel besser von Menschen getroffen. Anders formuliert: KI „denkt wie ein Mensch“ – entscheidet und handelt aber nicht. Das wird aus meiner Sicht dem Menschen vorbehalten bleiben, und das halte ich auch für richtig.
Warum sind Clouds für die Anwendung und Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz so wichtig?
Frank Theisen: Ohne die Public Cloud und den einfachen Zugang zu Cloud basierten KI Services -wie z.B. IBM Watson- mit den dazu gehörenden grossen Rechenleistungen wären Themen wie das Machine Learning nie so schnell adaptiert worden. IBM hat aber, wenn es um KI geht, ein kurzes und einfaches Leitbild: KI dorthin zu bringen, wo die Daten sind, egal, wo diese Daten gespeichert sind oder verarbeitet werden. Denn die Daten sind die Basis für eine intelligente Analyse und Prozessoptimierung. Sei es in der Public Cloud, in Software-as-a-Service Lösungen, im eigenen Rechenzentrum oder eben einer Hybrid Cloud Umgebung, die es erlaubt, zwei oder mehr solcher Umgebungen zu nutzen. Aus diesem Grund verbinden wir KI und Hybrid Cloud miteinander, mit einem Fokus auf die Bereitstellung von KI für Unternehmen, die anders als KI für die Verbraucher sind, da die Bedürfnisse für Enterprise-Workloads und Erfahrungen sich stark von Konsumenten-Produkten unterscheiden. KI für Unternehmen ermöglicht es Organisationen, Analysen und Voraussagen zu machen, Prozesse zu optimieren und zu automatisieren, um Mitarbeitern zu helfen, produktiver und sachkundig zu sein und ihnen somit Zeit für höherwertige Tätigkeiten zu geben.
Unser gesamtes Hybrid-Cloud-Software-Portfolio unterscheidet sich durch die Fähigkeit, die Intelligenz von KI und die Agilität der Hybrid Cloud zu nutzen. Diese kritischen Technologie-Treiber wie die Datenanalyse, die offenen und sicheren Standards, ermöglichen es unseren Kunden, intelligenter zu agieren, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und Kosten und Produktivität zu optimieren.
Gemeinsam mit Ergo hat IBM eine Plattform gebaut, um Bestände in der Lebensversicherung abzuwickeln. Diese sollte auch anderen Anbietern offenstehen. Wie ist hier der Stand? Wird diese Plattform schon breit genutzt?
Thomas Rechnitzer: Die Entwicklung der Plattform für die Bestandsverwaltung klassischer Lebensversicherungsverträge ist so gut wie abgeschlossen. ERGO wird diese Plattform als erster Mandant nutzen. Die Plattform ist ausdrücklich auch für die Verwaltung von Vertragsbeständen anderer Unternehmen konzipiert. Daher sollen nach dem erfolgreichen Start auch andere Mandanten an diese Plattform angebunden werden. Bis wir damit starten, werden wir aber zunächst die Erfahrungen aus unserer Zusammenarbeit mit ERGO abwarten.
Die Fragen stellte Mirko Wenig