Wieso Versicherungen mehr mit Bestandskunden arbeiten sollten

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766 Millionen Euro. So viel gaben Deutschlands Versicherungen im vergangenen Jahr brutto für Werbung aus. Vier von fünf Euros werden dabei für die Ansprache von Neukunden investiert. Dabei weiß man eigentlich: Deutlich günstiger und erfolgversprechender als die Kaltakquise von neuen Kunden ist es, Bestandskunden passende Angebote zu unterbreiten. Allein die Conversion Rate liegt bei Bestandskunden neunmal höher als bei Neukunden. Ein Gastbeitrag von Ralf Pispers, Gründer und Geschäftsführer der PBM Personal Business Machine AG.

Warum denken Unternehmen im Marketing viel zu selten an ihre vorhandenen Kunden als potenzielle Zielgruppe?

Quelle: PBM Personal Business Machine AG

Die meisten Versicherer würden diese Frage so beantworten: Bestandskundenaktionen sind einfach zu aufwändig.

In der Vergangenheit war das so, aber jetzt gibt es genug Daten, Tools, Plattformen und Strategien, um alle Herausforderungen der Bestandskundenbearbeitung zu lösen und deren großes Potenzial voll auszuschöpfen.

Die Herausforderungen bei der Bearbeitung von Bestandskunden

Aber welche Herausforderungen sind das eigentlich?

Was macht Bestandskundenaktionen so viel aufwändiger, als die Akquise von Neukunden?

Versicherungen sehen sich besonders mit diesen Hürden konfrontiert:

  • Daten sind wichtig, klar, aber wo kommen sie her? Um erfolgreich mit Bestandskunden arbeiten zu können, braucht es Daten aus verschiedenen Systemen. Daten, die beim Makler abliegen, Daten aus dem CRM-System der Versicherer, Daten aus der Marketingabteilung und und und. Entscheidend ist hierbei auch, dass die Daten vorab selektiert werden müssen. Informationen liegen teilweiße doppelt ab oder sind veraltet und damit für Bestandskundenaktionen nutzlos.
  • Oftmals fehlt die 360 Grad-Sicht auf den Kunden. Versicherer haben nicht alle Touchpoints und die gesamte Customer Journey im Blick und werten die im Laufe einer Kundenreise gewonnen Daten nicht zentral aus. Das Bild des Kunden, mit dem Versicherungen arbeiten, ist daher nicht vollständig. Auch dann nicht, wenn der Kunde eigentlich schon seit Jahren bei der Versicherung ist.
  • Auch das Zusammenspiel zwischen Marketing, Vertriebspartner und Kunde läuft noch nicht rund genug. Marketing und Vertrieb sprechen häufig nicht dieselbe Sprache. Während das Marketing-Team in Kampagnen denkt, geht es dem Vertrieb um Verkaufsabschlüsse. Kein Wunder, dass sich das Silodenken in den letzten Jahren immer mehr verstärkt hat. Dabei ist für den Geschäftserfolg das Zusammenspiel von Marketing und Vertrieb entscheidend. Nur auf einer gemeinsamen Basis kann dem Kunden personalisierter Content auf den richtigen Kanälen ausgespielt werden.
  • Damit wären wir auch schon bei einer weiteren Herausforderung: Die personalisierte und attraktive Ausspielung von Medien über die verschiedenen Kanäle. Die Bandbreite an Medien wird immer breite: Von Brief über E-Mail bis hin zu App und Kundenportal. Nicht alle Kanäle werden von allen Kunden gleich intensiv genutzt und nicht jeder Content ist für jeden Kanal geeignet. Die Kunst liegt darin, jedem Kunden genau die richtigen Inhalte auf genau den richtigen Kanälen anzuzeigen. Nur so ist die Kundenansprache langfristig erfolgreich.

Erfolgsfaktoren für die moderne Bestandskundenbearbeitung

Data-Analytics, Customer Journey-Design, personalisierte Medienaufbereitung und Marketing-Automation – digitale Tools und Plattformen bieten bei der Bestandskundenbearbeitung enorme Chancen. Genauso wichtig wie die Digitalisierung von Prozessen sind aber interdisziplinäre Teams. Ohne sie sind Aktionen für Bestandskunden kaum möglich, da dafür Daten und Infos aus vielen verschiedenen Abteilungen und Bereichen gebraucht werden.

Versicherungen müssen Silos aufbrechen und anfangen, in Ökosystemen zu denken. Besonders zielführend ist hier die Arbeit in interdisziplinären Teams und die Organisation von Aufgaben in Tribes. Schließlich kommen auf diese Weise Datenspezialisten, Produktentwickler, Vertrieb, IT- und Rechtsexperten zusammen. Daneben gilt es folgende Faktoren zu beachten:

  • Understand me: Hier kommt es stark auf die Relevanz und das Timing an. Kunden reagieren optimal auf für sie relevante Informationen. Statt auf herkömmliche Werbung müssen Versicherer auf die personalisierte Kommunikation setzen – abgestimmt auf die jeweilige Situation des Kunden.
  • Engage me: Interaktion ist alles. Versicherer müssen den Kunden sofortige Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Dies können beispielsweise Checkmodule zu konkreten Angeboten wie Kfz-Versicherungen oder Lebensversicherungen sein.
  • Surprise me: Das Stichwort hier lautet Emotional Boosting. Versicherer müssen auf den Kunden eingehen und zeigen, dass sie proaktiv für seine Absicherung arbeiten. Dafür nutzen sie moderne Datenanalysen und bauen attraktive Customer Journeys.
  • Work for me: Der gesamte Prozess muss End-to-End ablaufen. Erhält der Kunde die Empfehlung, einen Beratungstermin auszumachen, muss diese Terminvereinbarung sofort möglich sein. Auch eventuelles Upselling muss direkt abgewickelt werden können.

Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Arbeit mit Bestandskunden

Beachten Versicherer die genannten Erfolgsfaktoren, sind sie schon auf einem guten Weg. Mit folgenden Handlungsempfehlungen, kann bei Bestandskundenaktionen (fast) nichts mehr schiefgehen:

  • Extrem erfolgreich mit Blick auf den Return of Investment, sind dauerhaft einsetzbare und automatisierte Aktionen. Dies ist umso wichtiger, da die Arbeit mit Bestandskunden viel Geld kostet und daher am besten Produkte genutzt werden sollten, die zyklisch immer wieder kommen. Dies sind beispielweise Lebens- oder Kfz-Versicherungen.
  • Jede Aktion holt sich in der sekundären Zielsetzung die Einwilligung bzw. Aktivierung anderer Kanäle beim Kunden ab. Ein Brief führt auf eine Landingpage und diese wiederum in eine App. Versicherer sollten Journey daher mit verschiedenen Bausteinen gestalten, um möglichst viele Einwilligungen und Kundendaten zu bekommen.
  • Der Kunde muss nicht immer direkt bei der ersten Ansprache kaufen. Versicherer dürfen sich auch einfach bei den Kunden bedanken oder fragen, ob es gerade Bedarf nach spezieller Betreuung gibt.
  • Ja, Versicherungen werden auch mit modernen Tools und Plattformen noch einiges an Arbeit in die Bearbeitung von Bestandskunden stecken müssen. Wenn wir hinter die Kulissen schauen, dann ist es egal, wenn Abschlüsse aus der Bestands-Journey hinten manuell bearbeitet, wenn Daten per CSV Datei ins CRM System zurückgespielt oder wenn Leads über Roboterlösungen in die Vertriebssysteme überspielt werden müssen. Für den Kunden vorne muss es super sein.

Die Arbeit mit Bestandskunden lohnt sich. Sie mag anfangs aufwändiger klingen, da sie ein Umdenken erfordert: Silos müssen aufgebrochen und die Arbeit in interdisziplinären Teams gefördert werden. Aber: Die Mühe lohnt sich. Bestandskunden haben einen hohen strategischen Wert und vereinen massives ungenutztes Potenzial. Es wird Zeit, dass Versicherer dieses Potenzial nutzen.