Oliver Wyman hat für seine Studie zwei „typische Unternehmen“ angenommen, um zu prüfen, wie sich Niedrigzins und regulatorische Anforderungen auf die Solvenz auswirken. Ein Lebensversicherer hat viele klassisch geprägte Verträge mit hohen Garantiepflichten im Bestand, ein zweiter betreut fondsgebundene und biometrische Versicherungen. Für beide Arten von Lebensversicherern wurden dann mehrere Szenarien durchgerechnet.
Das Ergebnis, wenig überraschend: Die Versicherer mit hohen Garantielasten und Altverträgen tun sich im Niedrigzins deutlich schwerer. „Während Versicherer mit maßgeblich fondsgebundenen Altersvorsorgeverträgen und biometrischen Risiken den Herausforderungen recht gelassen entgegensehen können, wird es besonders für traditionelle Anbieter mit hohen Beständen an klassischen Lebensversicherungen eng“, so Tobias Klostermann, Principal bei Oliver Wyman.
"Klassischer" Lebensversicherer: nur noch 55 Prozent Solvenz
Zwar weise der klassisch geprägte Lebensversicherer aktuell eine auf den ersten Blick komfortable Kapitalisierung von 147 Prozent aus - gemessen in der Solvenzquote, also dem Überschuss der Eigenmittel über die Kapitalanforderungen nach Solvency II. Doch bereits im ersten Halbjahr 2020 falle die Solvenzquote bereits um mehr als 50 Prozentpunkte auf 94 Prozent, wenn man das aktuelle Zinsumfeld isoliert betrachte. Halte das Zinstief an und sinken die Zinsen gar, könne laut Modellrechnungen die Solvenzquote gar auf 55 Prozent abrutschen. Das bedeutet, dass der Versicherer nur noch rund halb so viel Kapital zur Verfügung hätte, wie er es nach Solvency II vorhalten müsste.
Zwar weise der klassisch geprägte Lebensversicherer aktuell eine auf den ersten Blick komfortable Kapitalisierung von 147 Prozent aus - gemessen in der Solvenzquote, also dem Überschuss der Eigenmittel über die Kapitalanforderungen nach Solvency II. Doch bereits im ersten Halbjahr 2020 falle die Solvenzquote bereits um mehr als 50 Prozentpunkte auf 94 Prozent, wenn man das aktuelle Zinsumfeld isoliert betrachte. Halte das Zinstief an und sinken die Zinsen gar, könne laut Modellrechnungen die Solvenzquote gar auf 55 Prozent abrutschen. Das bedeutet, dass der Versicherer nur noch rund halb so viel Kapital zur Verfügung hätte, wie er es nach Solvency II vorhalten müsste. „Teile des Marktes wären damit nicht mehr in der Lage, die aufsichtsrechtliche Mindestanforderung zu erfüllen und hätten mit aufsichtsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen“, kommentiert Marco Ehlscheid, ebenfalls Principal beim Beratungshaus.
Aufsichts-Reform könnte Situation der Lebensversicherer weiter verschärfen
Neues Ungemach drohe den Lebensversicherern, warnt Oliver Wyman, wenn die europäische Versicherungsaufsicht -wie geplant- die Zinskurven anpasse und den langfristigen Gleichgewichtszins (Ultimate Forward Rate) reformiere. Diesen auch „Ewigkeitszins“ genannten Orientierungswert müssen die Versicherer laut Solvency II beachten, wenn sie sehr lang laufende Verträge kalkulieren: Er ist Basis, um die notwendigen Rücklagen für sehr langfristige Zahlungspflichten zu berechnen. Für alle Euro-Staaten legt Eiopa diesen Zins aktuell auf 4,2 Prozent fest. Der Rechenweg: 2,2 Prozent langfristige Wachstumsrate der europäischen Volkswirtschaften plus zwei Prozent angenommene Inflationsrate.
Die Wirklichkeit im Niedrigzins-Umfeld spiegelt der Gleichgewichtszins aber nicht mehr wieder. Wer heute in Staatsanleihen und andere vermeintlich sichere Anlagen investiert, erhält einen Zins nahe Null. Und auch für sehr lang laufende Anleihen gibt es deutlich weniger Zinsen. Deshalb will die europäische Versicherungsaufsicht den Gleichgewichtszins schrittweise von 4,2 Prozent auf 3,7 Prozent reduzieren.
Die Auswirkungen einer solchen Absenkung kennen auch Privatsparer gut: Wenn der Zins sinkt, dann muss ein Sparer seine Rate erhöhen, will er sein Sparziel doch noch erreichen. Ähnlich geht es den Lebensversicherern: Die Korrektur führt dazu, dass sie künftig mehr Kapital zur Deckung ihrer teils extrem langfristigen Zahlungsverpflichtungen vorhalten müssen. Die nämlich werden anhand der von der EU-Kommission vorgegebenen Kurve abgezinst. Die Folge: Die Lebensversicherer "müssen Kapital in Milliardenhöhe auftreiben. Nicht in 150 Jahren, sondern jetzt", schreibt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Oliver Wyman rechnet nun vor, dass allein diese Reform dazu beitragen dürfte, die Solvenzquote des betrachteten "klassischen" Versicherers unter die -von der Finanzaufsicht geforderte- Solvenzquote von 100 Prozent zu drücken. Die Solvenzquote läge nur noch bei unzureichenden 80 Prozent. „Beide Szenarien sind bereits für sich genommen eine Bedrohung für die Solvenz eines signifikanten Teils des Marktes. Unsere Berechnungen zeigen, dass eine Kombination dramatisch werden dürfte“, warnt Mario Hörig, Partner und Experte für Risikomodellierung bei Oliver Wyman.
50 Milliarden Euro Kapital benötigt
Welche Auswirkungen die Szenarien konkret auf den Lebensversicherer haben, der stärker fondsgebundene und biometrische Produkte anbietet, geht aus dem Pressetext der Berater nicht hervor: Auch sind die Informationen recht allgemein gehalten. Wie bereits erwähnt, kann der Modellanbieter weit besser mit dem schwierigen Marktumfeld und den regulatorischen Hürden umgehen, da er weniger langfristige Verpflichtungen eingeht.
Doch nach den Berechnungen von Oliver Wyman erfordert die nachhaltige Stabilisierung der Solvenzquote der deutschen Lebensversicherungen auf das aktuelle Niveau selbst im nicht Worst-Case Szenario bis zu 50 Milliarden Euro an zusätzlichem Eigenkapital – das entspricht der Hälfte des aktuell im Markt befindlichen Kapitals. „Auch wenn Dank der Übergangsmaßnahmen noch keine Welle regulatorischer Unterdeckung zu befürchten ist, werden einige Lebensversicherer in Deutschland nahe an den kritischen Bereich rücken. Ein Umstand, der die BaFin am Ende dazu zwingen wird, weitere Versicherer unter intensivierte Aufsicht ‚in Manndeckung‘ zu nehmen“, warnt Faust. Eine Konsolidierung des Marktes werde wahrscheinlicher - ebenso, dass vermehrt Lebensversicherer ihre Bestände in den Run-off geben.