Wem würde eine Pflichtversicherung gegen Pandemie-Schäden helfen? Die Versicherer drängen drauf, dass sich Staat und Versicherungswirtschaft künftig zusammentun - und sich kleine und mittlere Unternehmen pflichtversichern müssen. Aber ihr teils rabiates Vorgehen vor Gericht könnte dazu beitragen, dass der Vorstoß keine Chance hat. Denn viele Mittelständler sind ja schon versichert, erhalten aber trotzdem kein Geld. Zwei Unternehmerverbände artikulieren nun deutlich, dass das Vertrauen in die Versicherungswirtschaft gestört ist.
Die Coronakrise legt weite Teile der Wirtschaft lahm: ganze Branchen bangen um ihre Existenz, vor allem die Gastronomie- und Veranstaltungsbranche. Deshalb ist die Versicherungswirtschaft im Januar vorgeprescht und hat vorgeschlagen, eine Pflichtversicherung gegen Pandemie-Schäden einzuführen. Natürlich nicht auf eigene Rechnung: auch der Staat soll sich mit einem Milliardenfonds beteiligen. Der Fonds müsse “über eine sehr lange Zeit Beiträge einsammeln, damit da Substanz vorhanden ist”, sagte damals Norbert Rollinger, Präsidiumsmitglied beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und im Hauptberuf Chef der Wiesbadener R+V Versicherung.
Doch gegen diese Pläne gibt es Widerstand, wie die WirtschaftsWoche am Samstag berichtet. Und daran tragen die Versicherer eine erhebliche Mitschuld. Viele Firmen sind ja bereits versichert und haben eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen. Sie springt eigentlich ein, wenn ein Unternehmer seine Firma infolge des Infektionsschutzgesetzes dicht machen muss. „Eigentlich“, denn das Gros der deutschen Assekuranzen weigert sich voll zu zahlen. Schließungen infolge einer Allgemeinverfügung seien nicht abgesichert.
Allianz will Richter für befangen erklären: weil er auf Oliver Bäte verweist
Mit welch harten Bandagen die Versicherer dabei vorgehen, verdeutlicht die WirtschaftsWoche an einem Beispiel. Im Münchener Landgericht hatte Richter Martin Scholz letzte Woche Klagen von Gastronomen verhandeln wollen, die sich bei der Allianz versichert haben. Sie bekommen kein Geld, obwohl sie seit Monaten ihre Lokale und Gaststätten geschlossen halten müssen. Auch hier argumentiere die Allianz: Für staatlich angeordnete Allgemeinverfügungen bestehe kein Schutz.
Doch die Gerichts-Termine mussten nach wenigen Minuten beendet werden. Der Grund: Die Anwälte der Münchener Versicherungsriesen hätten den Richter für befangen erklärt. Denn Scholz habe sich im Netz eine Pressekonferenz von Oliver Bäte angesehen, wo sich der Allianz-Chef selbstkritisch äußerte, und andere Kolleginnen und Kollegen darüber informiert. Das mache ihn zum „Streithelfer“ der Gastronomen. Unter anderem hatte Bäte im Frühjahr dem „Spiegel“ gesagt, dass die Policen der Allianz noch zu kompliziert seien. Zur Erinnerung: Die Rechtsprechung hebt auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ab.
Ein Richter ist befangen, weil er auf Selbstaussagen des Allianz-Chefs hinweist? Über den Antrag der Versicherer-Anwälte muss nun noch entschieden werden, das kann dauern. Doch bei den betroffenen Gastronomen und Unternehmen wachsen Wut und Misstrauen. Vielen drängt sich der Eindruck auf, dass die Versicherer ohnehin nicht zahlen wollen: egal, ob Versicherungsschutz besteht oder nicht. Das Vorurteil, Versicherer seien per se Neinsager und Leistungsverweigerer, greift um sich: ein Image-GAU.
“Nutzt nur der Versicherungswirtschaft“
Umso unwilliger sind nun die Unternehmer, sich einer möglichen Pflichtversicherung gegen Pandemie-Schäden anzuschließen. „Das Vertrauen in die Versicherer ist massiv ins Wanken geraten,“ zitiert die WirtschaftsWoche Marc Tenbieg, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bunds (DMB).
Es sei nicht gerecht, dass die Versicherer vielen Unternehmern gerade vor den Kopf stießen - aber gleichzeitig beim Staat eine Pflichtversicherung durchsetzen wollen, sagte demnach Tenbieg. Ähnlich äußert sich der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). Dort heißt es, dass die unnötigen Kosten einer Pflichtversicherung „keinem Mittelständler helfen, sondern nur der Versicherungswirtschaft.“
Image der Versicherer hat in Corona-Krise gelitten
Die Unternehmer-Verbände stellen sich also gegen die Versicherungsbranche: Das sollte die Versicherer aufhorchen lassen. Tatsächlich hat der Ruf der Branche in der Coronakrise sehr gelitten: in der gesamten Bevölkerung. Hatten vor der Pandemie 22 Prozent der Deutschen eine eher negative Meinung über die Branche, so kletterte der Wert im August 2020 auf 43 Prozent. Das zeigt eine repräsentative Studie im Auftrag des Software-Anbieters Guidewire.
Die Allianz selbst schickt seit September bereits Änderungskündigungen an ihre Betriebsschließungs-Kunden: Pandemien und Epidemien schließen die Versicherer vielfach künftig aus oder schränken den Schutz stark ein. Wird dieses Angebot nicht angenommen, kündigt der Versicherer die Verträge fristgerecht zum Ende der jeweiligen Laufzeit. Auch in diesen Neuverträgen ist zwar Covid-19 versichert: aber nur, wenn zum Zeitpunkt keine Pandemie besteht. Pandemierisiken sind explizit ausgeschlossen.
Unstimmigkeit an deutschen Gerichten
Bisher haben deutsche Gerichte sehr verschieden zu Betriebsschließungs-Policen geurteilt: Es herrscht Unstimmigkeit mit Blick auf die Rechtsprechung. Nicht von ungefähr, hängt es doch von den konkreten Vertragsklauseln ab, ob Schutz besteht oder nicht. Dass Gerichte zu unterschiedlichen Auslegungen beinahe wortgleicher Klauseln kommen, scheint beim BSV-Komplex besonders häufig der Fall. Auch das Landgericht München I urteilte bereits unterschiedlich.
In einem Verfahren wurde dem klagenden Gastronom von der 23. Zivilkammer des LG München I Versicherungsschutz abgesprochen (Az: 23 O 8381/20; nicht rechtskräftig). In der Urteilsbegründung fegt die Kammer Argumente der 12. Zivilkammer des LG München aus vorherigen Entscheidungen vom Tisch. Die 12. Zivilkammer sah mehrfach Verstöße gegen das Transparenzgebotes und entschied deshalb für die Versicherungsnehmer. Zweimal fast wortgleiche Bedingungen: zwei Entscheidungen. An ein- und demselben Gericht.
Ohnehin haben sich die Landgerichte München I und II zu einer Art „BSV-Hotspot“ entwickelt. 166 Verfahren sind beim LG München I eingegangen, berichtet der Münchener Merkur. Viele davon betreffen die Allianz.