Sind alle Beitragsanpassungen (BAP) in der Privaten Krankenversicherung gerechtfertigt? Und wie sollen Verbraucher die Arbeit der Treuhänder eigentlich kontrollieren, die Beitragsanpassungen absegnen? Darüber sprach Versicherungsbote mit Verbraucheranwalt Dr. Knut Pilz.
Der Berliner Rechtsanwalt Knut Pilz von der Kanzlei Pilz Wesser & Partner ist einer der führenden Anwälte, wenn Verbraucher mit ihrem privaten Krankenversicherer streiten: oft geht es hierbei um Prämienanpassungen und die Unabhängigkeit der Treuhänder, welche diese im Sinne der Kunden prüfen sollen. Im letzten Jahr erkämpfte er ein vielbeachtetes Urteil vor dem Bundesgerichtshof: Versicherer müssen nun genauer angeben, weshalb sie den Beitrag in ihren Tarifen raufsetzen. Der Versicherungsbote sprach mit dem Juristen über häufige Streitfälle und Gesetzeslücken bei PKV-Prämienanpassungen.
Versicherungsbote: In Deutschland sind 16 Treuhänder dafür zuständig zu prüfen, ob Prämienanpassungen in Tarifen der Krankenvollversicherung gerechtfertigt und korrekt kalkuliert sind. Sie zweifeln deren Unabhängigkeit an: und vertreten Verbraucherinnen und Verbraucher, die gegen Prämiensprünge klagen. Können Sie kurz erklären: Weshalb sind die Treuhänder aus Ihrer Sicht befangen?
Knut Pilz: Nach den von uns in den Prozessen gewonnenen Erkenntnissen drängt sich vielfach der Eindruck auf, dass viele Treuhänder “im Lager des Versicherers” stehen. So nahmen manche Treuhänder für die Versicherer in der Vergangenheit Aufgaben war, welche nicht zur Treuhändertätigkeit gehören und es besteht zumindest bei einigen eine zum Teil ganz gravierende wirtschaftliche Abhängigkeit. Wenn ein Treuhänder über 50 Prozent seines Erwerbseinkommens über viele Jahre von einem Krankenversicherer erhält, wird sich dessen kritische Prüfung der Prämienanpassungen zumeist “im Rahmen halten”. Es ist schlicht einem Versicherungsnehmer nicht erklärlich, dass ein wirtschaftlich vom Versicherer abhängiger Treuhänder die Interessen der Versicherten unbefangen wahrnehmen kann.
Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied im Dezember 2018, Zivilgerichte seien nicht dafür zuständig, die Unabhängigkeit der PKV-Treuhänder zu prüfen: und sah die Bundesanstalt für Finanzdienstleistung (BaFin) in der Pflicht. Prompt urteilte das Verwaltungsgericht in Frankfurt am Main, einzelne Versicherungsnehmer haben keinen Rechtsanspruch, dass die BaFin in ihrem Sinne die Unabhängigkeit prüfe. Das klingt kafkaesk. Also ist hierfür letztendlich keiner zuständig? Oder wer ist es aus Ihrer Sicht?
Diese beiden Entscheidungen zeigen, dass es hier eine massive Rechtsschutzlücke für die Versicherungsnehmer gibt. Letztlich kann nach der Lösung der beiden Gerichte allein die BaFin eingreifen. Und wenn sie das -wie häufig in der Vergangenheit- nicht tut, hat der Versicherungsnehmer keine weiteren Möglichkeiten. Das ist verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigen.
Muss der Gesetzgeber hier vielleicht nachbessern - und die Zuständigkeit neu regeln?
Der Gesetzgeber muss in erster Linie klare Vorgaben für die Treuhänder machen und insbesondere sicherstellen, dass dies durch die Versicherungsnehmer gerichtlich überprüft werden kann. Die BaFin hat sich hier nicht bewährt.
Versicherer müssen ihren Kundinnen und Kunden nicht im Detail vorrechnen, in welcher Höhe sich die Rechnungsgrundlage für Prämienanpassungen konkret verändert hat, betont der BGH. Welche Möglichkeiten haben denn Versicherte dann überhaupt, zu prüfen, ob ein Beitragssprung gerechtfertigt ist? Haben sie überhaupt eine Chance, Informationen über Kalkulation und Kosten eines Tarifs zu erhalten?
Um detailierte Informationen zu einer konkreten Prämienanpassung zu erhalten, kann und muss der Versicherungsnehmer eine gerichtliche Überprüfung anstrengen. Hier ist der Versicherer gezwungen, die Rechnungsgrundlagen detailliert offenzulegen und durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen. Das sind zwar sehr aufwendige Prozesse, die hier geführt werden, können aber im Erfolgsfall zu einer langfristigen Senkung der Prämien führen.
Der PKV-Verband betont, extreme Prämiensprünge bei Beitragsanpassungen in Tarifen der Vollversicherung seien die absolute Ausnahme. Und sie haben mit den auslösenden Faktoren zu tun: nur wenn die Ausgaben um zehn Prozent von der Kalkulation abweichen und sich die Lebenserwartung deutlich erhöht, dürfe man Prämien raufsetzen. Zudem würden die Beiträge auf lange Sicht weniger stark steigen als bei den gesetzlichen Krankenkassen. Wie schätzen Sie dieses Argument ein? Hat die Branche auch mit Vorurteilen zu kämpfen?
Sicherlich gibt es hier nicht schwarz und weiß. Allerdings haben einige Versicherer aus meiner Sicht problematische Tarife mit weit überdurchschnittlichen Erhöhungen, welche sich nicht mit den normalen Entwicklungen am Markt erklären lassen. Wenn ein Tarif bspw. bei seiner Einführung zu optimistisch kalkuliert wurde, können später überproportional hohe Erhöhungen für die Versicherten folgen. Das ist rechtlich sehr problematisch und im Ergebnis vielfach unzulässig.
„Prämienanpassungen sind ein Dauerthema“
Versicherungsbote: Ein weiteres Argument der PKV-Branche, weshalb Prämiensprünge kein systemimmanentes Problem seien: Nur wenige Verbraucherinnen und Verbraucher beschweren sich beim PKV-Ombudsmann, einer Schlichtungsstelle der Versicherungswirtschaft, über Beitragssprünge. 2020 waren es ganze 230 Beschwerden. Allerdings muss man hier wohl auch einrechnen, wie viele Versicherungsnehmer aufgrund höherer Prämien gegen ihren Versicherer klagen. Haben Sie hierzu Zahlen - vielleicht geschätzt anhand Ihrer eigenen Fälle?
Knut Pilz: Unsere Erfahrung ist hier eine ganz andere. Prämienanpassungen sind nach unserer Einschätzung ein absolutes Dauerthema, gerade wenn sie weit oberhalb der normalen Preisentwicklung liegen. Allein wir führen aktuelle ca. 2.000 derartige Verfahren. Die -tatsächlich geringe- Zahl der Ombudsmannbeschwerden dürfte eher damit zusammenhängen, dass der Ombudsmann beim Thema “Prämienanpassung” ohnehin regelmäßig nicht weiterhelfen kann und nur eine gerichtliche Überprüfung Aussichten auf Erfolg hat.
Können Sie Beispiele für weitere Konfliktfelder nennen, aufgrund derer PKV-Vollversicherte Ihre Hilfe suchen?
Klassische Streitpunkte in der PKV sind hier die medizinische Notwendigkeit von Heilbehandlungskosten. Das geht von der nicht bezahlten LASIK-OP über “Außenseitermethoden”, die der Versicherer nicht erstatten will. Sehr streitanfällig ist zudem die Krankentagegeldversicherung. Hier werden die Leistungseinstellungen häufig mit einer eingetretenen Berufsunfähigkeit oder der nicht (mehr) vollständig gegebenen Arbeitsunfähigkeit begründet. Das ist sehr konfliktträchtig und trifft die Versicherten häufig in existenziellen Situationen.
Die PKV hat aktuell mit Niedrigzins, der Alterung der Gesellschaft sowie steigenden Gesundheitskosten zu kämpfen, kann aber auf hohe Alterungsrückstellungen verweisen. Wie schätzen Sie als Fachanwalt die Zukunft der privaten Krankenversicherung in Deutschland ein?
Die große Herausforderung für die Branche wird der demographische Wandel sein. In der Zukunft wird es daher sicherlich einige Konzentrierungsprozesse am Markt geben, ähnlich denen der Lebensversicherer. Die sind dort zeitlich schon voraus. Am Ende hat aber die Politik die Zukunft der PKV in der Hand.
Die Fragen stellte Mirko Wenig