Die BaFin verpflichtet Sparkassen und öffentliche Banken dazu, Inhaber von Prämiensparverträgen über unwirksame Zinsanpassungs-Klauseln zu informieren. Diese hatten dafür gesorgt, dass Kundinnen und Kunden teils tausende Euro weniger erhielten, weil sich die Banken auf einen unzulässigen Referenzzins bezogen. Die Sparkassen zeigen kein Verständnis: Und wollen erst ein Urteil des Bundesgerichtshofes abwarten.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurde in den letzten Monaten wiederholt damit konfrontiert, zu zögerlich durchzugreifen oder gar bewusst wegzusehen: am prominentesten im Wirecard-Skandal, der zum Rücktritt von Chefaufseher Felix Hufeld führte. Umso entschlossener zeigt sich die Behörde nun in einem anderen Finanzskandal. Sparkassen und Volksbanken sollen in Sparverträgen unwirksame Zinsanpassungs-Klauseln verwendet haben, die dazu führten, dass Inhaber teils deutlich weniger Geld erhielten.
Nun hat die BaFin die betroffenen Institute verpflichtet, Sparerinnen und Sparer über die Unwirksamkeit der Klauseln zu informieren. Per Allgemeinverfügung, die am Montag veröffentlicht wurde. Damit erhöht die Behörde den Druck auf die Institute. Setzen sie die Vorgaben nicht um, kann das als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Laut BaFin sind 247 Kreditinstitute entsprechend angeschrieben wurden.
Banken zeigten keine Einsicht
Die Allgemeinverfügung ist auch eine Folge davon, dass sich Sparkassen und Volksbanken bisher wenig einsichtig zeigten. Im Gegenteil: bereits in früheren Stellungnahmen vertraten die Verbände der betroffenen Institute die Ansicht, die Klauseln korrekt verwendet zu haben. „“Da eine einvernehmliche Lösung mit den Banken gescheitert ist, mussten wir auf diesen verbraucherschutzrelevanten Missstand mittels Allgemeinverfügung reagieren“, sagt BaFin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch. Die Praxis der Institute sei ein „erheblicher, dauerhafter oder wiederholter Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz“, heißt es unmissverständlich im Text der Verfügung. Bereits seit 2018 beobachtet die Behörde das Vorgehen der Banken.
Mit der Verfügung kommt die BaFin ihrer Aufgabe als Watchdog nach. Seit dem Kleinanlegerschutzgesetz von 2015 hat sie auch verbraucherschützende Aufgaben und kann entsprechend intervenieren. Wie Pötzsch in einem auf der BaFin-Webseite veröffentlichten Interview verrät, hat die BaFin zunächst versucht, einvernehmlich eine Lösung zu finden: Und Vertreter der Kreditwirtschaft und des Verbraucherschutzes an einen Tisch geladen. „Am Ende des Gesprächs war klar: Auf diesem Wege kommen wir nicht zum Ziel“, berichtet der Jurist.
Variabler Zins, einseitig angepasst
Konkret geht es um langfristige Prämiensparverträge, die vor allem von öffentlichen Banken zwischen 1990 und 2010 vertrieben wurden: im großen Stil und durchaus erfolgreich. Geschätzt eine Million Kundinnen und Kunden sollen solche Angebote abgeschlossen haben, berichtet das „Handelsblatt“ und beruft sich auf Finanzkreise.
Die Verträge sehen vor, dass das Institut dem Kunden zusätzlich zum Zins eine Prämie bzw. einen Bonus zahlt. Sie ist nach der Vertragslaufzeit gestaffelt und beträgt je nach konkreter Vertragsgestaltung bis zu 50 oder sogar 100 Prozent der auf den Vertrag eingezahlten jährlichen Sparleistung. In Zeiten hoher Zinsen war es für die Sparkassen kein Problem, das Geld im Sinne der Kundschaft zu erwirtschaften. Im andauernden Niedrigzins-Niveau aber sieht das anders aus. Die Verträge wurden für die Institute zum Ärgernis.
Doch die Sparkassen hatten eine Art Fallstrick in die AGB eingebaut, die es ihnen scheinbar erlaubten, niedrige Zinsen am Kapitalmarkt einseitig an Kundinnen und Kunden weiterzugeben. Und zwar für die Sparenden kaum transparent nachvollziehbar. „Die Bank/Sparkasse zahlt ... den durch Aushang bekanntgegebenen Zins“ oder „die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit ... % verzinst“, heißt es zum Beispiel in den Vertragstexten. Per Aushang wurde der neue Zins artikuliert: mit anderen Worten, oft mussten sich die Sparerinnen und Sparer in die Bank-Filiale ans schwarze Brett begeben, um dort zu lesen, wie sich der Zins ändert. Für die Korrekturen orientierten sich die Banken an einem Referenzzins, der aus Sicht des Verbraucherschutzes zu Unrecht fallende Zinsen zulasten der Sparenden weitergab, weil kurzfristige Anleihen unerlaubt eingerechnet wurden (siehe unten).
BGH erklärt Zinsanpassungsklauseln für unwirksam
Derartig einseitig änderbare Zinsanpassungsklauseln wurden vom Bundesgerichtshof (BGH) seit 2004 in mehreren Urteilen für unwirksam erklärt: Sie seien schlicht nicht transparent genug. Die Sparer könnten damit weder mögliche Zinsänderungen kalkulieren noch Anpassungen nachprüfen (u.a. Urteil vom 17.02.2004, XI ZR 140/03). Dabei berief sich der BGH auch auf den langfristigen Charakter des Sparvertrages.
In einem späteren Urteil von 2010 konkretisierten die Karlsruher Richterinnen und Richter, an welchem Referenzzins sich solche Langstrecken-Verträge orientieren müssen, um den variablen Zins neu zu berechnen. Stark vereinfacht: er muss konstant wiederkehrende Prüfungs- und Anpassungspunkte vorsehen, damit nachprüfbar ist, wann und weshalb der Zins korrigiert wird. Und er muss das Äquivalenzprinzip beachten: das heißt, der anfängliche relative Abstand des Vertragszinses zum Referenzzins muss über die gesamte Vertragslaufzeit gewahrt bleiben (Urteil vom 13.04.2010 – XI ZR 197/09; 21.12.2010 – XI ZR 52/08 und 14.03.2017 –XI ZR 508/15).
Vorgaben des BGH nur im Neugeschäft umgesetzt?
Die BGH-Urteile setzten Sparkassen und Volksbanken aus Sicht der BaFin lediglich in ihren Neuverträgen um: nicht jedoch im Bestand, wo die alten Klauseln einfach weiterhin angewendet wurden. Das Äquivalenzprinzip wurde aus Sicht des Verbraucherschutzes spätestens dann verletzt, als die Banken niedrige Zinsen am Kapitalmarkt zum Nachteil der Sparenden weitergaben: In manchen Fällen sank der variable Zins des jeweiligen Vertrages von mehr als drei Prozent auf 0,001 Prozent.
Der Vorwurf besteht, dass sich die Geldinstitute hierfür bewusst an einem falschen Referenzzins orientiert haben. Statt -wie bei lang laufenden Verträgen vorgesehen- sich auf eine Zeitreihe der Bundesbank zu beziehen, die für langjährige Anlagen gilt und Pfandbriefe mit zehnjähriger Laufzeit erfasst, seien auch kurzfristige Anleihen eingerechnet. Papiere also, die gerade in Zeiten niedriger Zinsen enorm wenig Rendite versprechen, wenn überhaupt. "Hierdurch werden fallende Zinsen schneller an die Sparer weitergegeben“, erklärt Verbraucheranwalt Kai Malte Lippke, der für die Verbraucherzentralen Verträge überprüft hat.
Und das geht ordentlich ins Geld. Die Verbraucherzentrale Bayern hat anhand tausender Fälle ausgerechnet, dass die Geldhäuser im Schnitt rund 4600 Euro zu wenig zahlten. Einen wichtigen Punktsieg errang die Verbraucherzentrale Sachsen: In einer Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Leipzig bestätigte das Oberlandesgericht Dresden, dass Sparerinnen und Sparern Nachzahlungen zustehen: auch wenn Details noch offen blieben. "Je nach Fall stehen Betroffenen Nachzahlungen von einigen Hundert bis im Einzelfall über 40.000 Euro zu", sagt Finanzexpertin Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen gegenüber der "Tagesschau".
Sparkassen sehen sich (noch) nicht in der Pflicht
Die Allgemeinverfügung der BaFin erlaubt den Schluss, dass die Finanzaufsicht das Festhalten an den Zinsanpassungsklauseln für rechtswidrig hält. Die Sparkassen sollen den betroffenen Kundinnen und Kunden nun auch erklären, ob sie zu wenig Zins erhalten haben. Hier haben die Banken zwei Handlungsoptionen: Sie sollen die entstandene Lücke schließen, sprich: fehlenden Zins nachzahlen. Oder individuell geänderte Verträge mit wirksamen Zinsanpassungsklauseln anbieten. Gerade letztere Option nährt beim Verbraucherschutz den Verdacht, dass Kundinnen und Kunden erneut um Zins gebracht werden könnten. Andrea Heyer rät folglich, Vergleichsangebote der Banken von unabhängigen Experten prüfen zu lassen.
Die Sparkassen haben nun vier Wochen die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen die Allgemeinverfügung einzulegen. Wovon sie wahrscheinlich Gebrauch machen werden. Es stehe noch ein weiteres BGH-Urteil aus, nach welchen Kriterien Zinsen angepasst werden müssen. "Es ist erstaunlich, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht damit den Gerichten vorgreift", heißt es in einer Stellungnahme des Sparkassen-Dachverbandes. Schlimmstenfalls müssen die Institute Milliarden-Summen nachzahlen: je nachdem, wie hoch die Zahl der betroffenen Verträge ist und wie hoch die Zinskorrektur ausfällt.
Die Verbraucherschützer haben zudem die Befürchtung, dass die Sparkassen auf Zeit spielen wollen. So würde die Allgemeinverfügung auch gekündigte Verträge betreffen: Hier könnten einige schon bald verjährt sein.