Magda macht das schon! Ab jetzt nur noch mit Mindestlohn – und nun?

Quelle: AlexRaths/istockphoto.com

Auch ausländische Pflegekräfte müssen deutschen Mindestlohn erhalten. Das hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich entschieden. Das Urteil dürfte massive Folgen auf viele Pflegebedürftige haben. Micha Hildebrandt, Vorstand bei der vigo Krankenversicherung VVaG befasst sich in der Reihe „Das Wort zur Pflege“ mit aktuellen Entwicklungen rund um das Pflegekostenrisiko.

Fast niemand nennt das Pflegeheim als favorisierten Ort, um die letzten Jahre des Lebens zu verbringen. Wer es sich leisten kann, lässt sich in den eigenen vier Wänden umsorgen. Wie in der bekannten – inzwischen eingestellten – RTL-Serie, in welcher die polnische Pflegekraft „Magda“ quasi Bestandteil einer Familie wird, sieht es inzwischen in vielen Häusern aus, Tendenz steigend. Der Sozialverband VdK schätzt die Zahl der in deutschen Hauhalten tätigen osteuropäischen Betreuungskräfte auf 300.000 bis 500.000.

Micha Hildebrandt

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Micha Hildebrandt ist Vorstand bei der vigo Krankenversicherung VVaG. Das Unternehmen aus Düsseldorf gilt als Erfinder des flexiblen Pflegetagegeldes. Hildebrandt absolvierte seinen Zivildienst in der ambulanten Pflege und schenkt diesem Thema seither besondere Aufmerksamkeit.

Dahinterstehende fragwürdige Vertragskonstrukte (häufig 24-Stunden-Pflege ohne Arbeitnehmerschutzrechte bei schmalem Gehalt – häufig über zwischengeschaltete Agenturen) wurden bisher geduldet. Aus Mangel an „sauberen“ Lösungen schwieg sich auch die Politik zu diesem Thema weitestgehend aus. In Polen werden solche Entsendeverträge übrigens als „Umowa śmieciowa“ (deutsch: Müllvertrag) bezeichnet. Dienst am Menschen muss angemessen entlohnt werden; das ist fair und entspricht dem gesellschaftlichen Konsens. „Klatschen alleine reicht nicht“ ist spätestens mit der Corona-Pandemie als geflügeltes Wort in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Passiert ist über Jahre jedoch kaum etwas.

Grundsatzurteil könnte Tsunami auslösen

Der gesetzliche Mindestlohn von aktuell 9,50 € muss auch für Bereitschaftszeiten gezahlt werden. Das Bundesarbeitsgericht stellte dies mit Urteil vom 24. Juni 2021 (5 AZR 505/20) klar. Hintergrund der Entscheidung ist ein Dienstleistungsvertrag für eine nach Deutschland entsendete osteuropäische Betreuungskraft. In dem Vertrag war die Zahlung von Lohn für lediglich 30 Wochenstunden vorgesehen. Im eingesetzten Privathaushalt stand sie jedoch annähernd rund um die Uhr für Tätigkeiten im Haushalt, der Grundversorgung und bei der Betreuung zur Verfügung; für gerade einmal 950 € netto. Die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg) gab der bulgarischen Klägerin bereits 2018 in der Sache Recht, darf sich aber nun erneut mit dem Vorgang befassen. Konkret geht es noch um die Verhandlung, von wie vielen Arbeitsstunden täglich auszugehen ist.

Wie geht es weiter mit der häuslichen Pflege?

Spannend zu beobachten wird sein, wie die involvierten Agenturen mit der Situation umgehen. Die Gewerkschaft ver.di rechnet mit einem Rückzug einiger Agenturen. Die Unternehmen, die das Geschäft fortsetzen möchten, werden ihre Verträge zumindest auf den Prüfstand stellen und höchstwahrscheinlich Anpassungen vornehmen. Da nun ein höchstrichterliches Urteil vorliegt, ist kaum von einem „weiter so“ auszugehen.

Wie auch immer die umstrittenen Dienstleistungsverträge angepasst werden, es wird auf alle Fälle teurer werden.

Abgesehen von den Folgen des erwähnten Grundsatzurteiles führen die Angleichung der Löhne in Europa und die Steigerung der Entlohnung im Pflegebereich insgesamt zu einer Mehrbelastung. Das können Pflegereformenförmchen nicht ausgleichen. Im stationären Bereich steigt die Pflegelücke (Eigenanteil bei den Pflegekosten im Heim) trotz erfolgter Leistungsausweitungen immer weiter. Inzwischen beträgt dieser – nach einer Auswertung des PKV-Verbandes – bundesweit über 2.000 €, in den westlichen Bundesländern liegt dieser Wert mitunter deutlich höher. Belastbare Auswertungen im ambulanten Bereich sind dagegen Mangelware, würden aber auch keinen Sinn ergeben, da die Versorgungsformen und Dienstleistungsangebote höchst unterschiedlich ausfallen.

Stiftung Warentest, Mindestlohn und ein Plädoyer für Pflegeberatung

2017 untersuchte die Stiftung Warentest Angebote von Vermittlungsagenturen für osteuropäische Betreuungskräfte. Die Kosten lagen bei den untersuchten Unternehmen überwiegend im Rahmen von 2.500 €, bei Wunsch nach bestimmten Qualifikationen und guten Deutschkenntnissen aber schon damals bei bis zu 3.400 €.

Seitdem ist die Preisschraube schon angedreht worden und es dürfte nicht überraschen, wenn es in den nächsten Jahren nochmal deutlich nach oben geht.Erwähnenswert ist noch der Umstand, dass kein Anspruch auf Pflegesachleistungen besteht, mit denen sonst die Leistungen eines Pflegedienstes bezahlt werden. Es steht lediglich das wesentlich niedriger ausfallende Pflegegeld zur Verfügung, sollte auf diesem Wege eine osteuropäische Betreuungskraft tätig sein.

Der Mindestlohn für Pflegefachkräfte liegt übrigens aktuell bei 15 € pro Stunde und steigt zum 1. April 2022 nochmals auf 15,40 € an (Hilfskräfte erhalten dann bis zu 13,20 €). Osteuropäische Betreuungskräfte sind bislang noch nicht von diesem Pflegemindestlohn erfasst. Aber auch das muss ja nicht in Stein gemeißelt sein…

Der Mangel an Pflegepersonal wächst inzwischen aber auch in Osteuropa. Diese Länder werden nicht tatenlos zusehen, wie tausende junge Arbeitskräfte gen Westen ziehen. So haben serbische Behörden bereits mehrere deutsche Unternehmen bestraft, weil sie versuchten, in Serbien Pflegerinnen und Pfleger zu rekrutieren.

Derweil sind Organisationen wie die Caritas oder auch die Diakonie darum bemüht auf Grundlage des Arbeitgeber-Modells – in welchem die Angehörigen als Arbeitgeber fungieren und eine nach Tarifvertrag bezahlte Hilfskraft legal beschäftigen – Alternativen zu ermöglichen. Eine 24 Stunden-Betreuung ist damit jedoch nicht darstellbar, sondern handelt es sich hierbei vielmehr um eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden. Teurer ist das Modell für die Angehörigen trotzdem.

Plädoyer für Pflegeberatung

Bleibt die Frage: Wer sagt´s den Bürgern? Außer den Vermittlern von privaten Pflegezusatzversicherungen fällt mir da spontan niemand ein. Vermittler des Düsseldorfer Pflegegeldes der vigo spiegeln uns häufig, wie wenig Wissen auf Kundenseite bezüglich des Pflegekostenrisikos besteht.

Bei der Beratung ist es wenig hilfreich, durchschnittliche Kosten zur Ermittlung einer Pflegelücke zu präsentieren, sondern die individuellen Vorstellungen zu einer hochwertigen Versorgung sind mit realistischen Annahmen zu unterfüttern. Magda macht das schon! Aber eben nicht mehr für 2.000 € im Monat.