Die Versicherungswirtschaft hat die Schadenszahlen nach dem Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erneut nach oben korrigiert. Aktuell gehen die Versicherer von etwa 250.000 Schadenfällen aus.
Das Tief „Bernd“ ist die bislang schadenreichste Naturkatastrophe in Deutschland. Die Unwetterfront war vom 13. bis 18. Juli über weite Teile Deutschlands hinweggezogen. Durch Starkregen und Hochwasser hatte das Tiefdruckgebiet vor allem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern und Sachsen schwere Schäden angerichtet. Mehr als 180 Todesopfer sind bisher zu beklagen, viele Menschen verloren ihren ganzen Besitz und ihr Obdach.
Die Schäden waren vor einem Monat auf vier bis fünf Milliarden Euro geschätzt worden. Inzwischen hat sich die Zahl der versicherten Schadenfälle auf 250.000 erhöht. Einhergehend damit hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) seine Schätzungen zur Höhe der Schäden auch nach oben korrigieren müssen. „Wir rechnen jetzt mit Versicherungsschäden von rund sieben Milliarden Euro”, sagte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV, am Mittwoch in Berlin.
Davon seien rund 6,5 Milliarden Euro auf Wohngebäude, Hausrat und Betriebe sowie rund 450 Millionen Euro auf Kraftfahrzeuge entfallen. “Mit fortschreitender Schadenaufnahme und -regulierung zeigt sich erst die Dimension dieses Extremereignisses“, so Asmussen. Die etwa 250.000 Schadenfälle verteilten sich auf rund 200.000 Schäden an Häusern, Hausrat und Betrieben und bis zu 50.000 an Kraftfahrzeugen. Zuletzt hatten auch einzelne Versicherer Zahlen zu den Schäden veröffentlicht. Allein bei der Provinzial seien bisher 36.246 Schäden mit einem Volumen von 1.023 Mio. Euro gemeldet worden.
Mit den aktuellen Zahl ist bereits jetzt klar, dass die Sturzflut die historisch schadenreichste Naturkatastrophe in Deutschland ist. Die Schäden liegen über denen der Hochwasser im August 2002 (4,75 Milliarden Euro) und im Juni 2013 (2,25 Milliarden Euro) sowie dem Orkan „Kyrill“ (3,6 Milliarden Euro). Die Werte sind zum besseren Vergleich jeweils hochgerechnet auf aktuelle Versicherungsdichte und Preise. „Zusammen mit den hohen Hagelschäden im Frühsommer zeichnet sich ab, dass 2021 für die Versicherer eines der teuersten Naturgefahrenjahre überhaupt wird“, erklärte Asmussen.
Kunden sollten über ihren Versicherungsschutz nachdenken
Die tatsächlichen Unwetterschäden dürften noch deutlich über den aktuellen Schätzungen liegen, da bei weitem nicht alle Gebäude gegen alle Naturgefahren versichert sind. Bundesweit haben durchschnittlich nur 46 Prozent den Schutz vor weiteren Naturgefahren wie Starkregen und Hochwasser. „Wir werden zusammen mit unseren Mitgliedsunternehmen bis zum Herbst Ideen vorlegen, wie sich die Verbreitung von Naturgefahrenversicherungen zu risikogerechten Preisen signifikant erhöhen lässt“, erklärte Asmussen. „Es gilt auch jene zu erreichen, die trotz der jüngsten Flutkatastrophe nicht glauben wollen, dass auch sie von Naturgefahren betroffen sein können.“
In die gleiche Kerbe schläge auch Frank Grund. Der BaFin-Exekutivdirektor mahnte in einem Interview mit dem BaFinJournal den oft fehlenden Versicherungsschutz an. Denn nicht einmal die Hälfte der betroffenen Immobilienbesitzer und Unternehmer hätten eine Elementarschadenversicherung gehabt. Dabei hätten Unwetter "noch einmal auf schmerzliche Weise gezeigt, wie wichtig es für Menschen und Unternehmen ist, ausreichend versichert zu sein.", so der Aufseher. Mit entsprechendem Schutz könne zumindest materieller Schaden aufgefangen werden. "Dass nur so wenige versichert sind, liegt aber nicht, wie man vermuten könnte, an den Versicherern.", erklärte Grund.
Der Frage "Stimmt es also nicht, dass Menschen und Unternehmen in überflutungsgefährdeten Regionen ihre Immobilien nicht gegen Elementarschäden versichern können?" entgegnete der BaFin-Exekutivdirektor, dass dies oft angenommen wird. Auch dürfte in den überflutungsgefährdeten Regionen der Anteil der versicherbaren Gebäude niedriger sein als im Durchschnitt und die Tarife im Durchschnitt höher. "Aber Kunden sollten die Überflutungen auf jeden Fall zum Anlass nehmen, über ihren Versicherungsschutz nachzudenken. Wer eine Wohngebäude- und Hausratversicherung abgeschlossen hat, sollte prüfen, ob sie einen entsprechenden Schutz bietet.", rät Grund. Den Gewerbetreibenden legte Grund eine Betriebsunterbrechungsversicherung nahe.