Die weltweiten Prämien in der Sach- und Haftpflichtversicherung könnten sich bis 2040 verdoppeln. Das prognostiziert das Swiss Re Institute. Ursache sind unter anderem die Wirtschaftsentwicklung und steigende Schäden infolge des Klimawandels.
Stark steigende Prämien im Sach- und Haftpflicht-Geschäft (Property & Casualty, P&C) prognostiziert aktuell die Forschungsschmiede des Schweizer Rückversicherers Swiss Re in einer neuen „Sigma“-Studie. Demnach könnten sich die Prämien für Sach- und Haftpflichtversicherungen binnen zwanzig Jahren verdoppeln. Die Zusammensetzung der Portfolios werde sich gleichsam von risikoärmeren Motorfahrzeug-Policen hin zu risikoreicheren Sach- und Haftpflichtsparten verlagern.
Sachgeschäft: Prämientreiber Wirtschaftswachstum auf florierenden Märkten
Die Sachversicherung wird laut Studie die am schnellsten wachsende Sparte werden: hier sei ein jährliches Wachstum von 5,3 Prozent zu erwarten. Das Prämienvolumen steige demnach von derzeit 450 Milliarden US-Dollar (380 Milliarden Euro) auf rund 1,3 Billionen US-D0llar bzw. 1,10 Billionen Euro.
Haupttreiber für das Sachgeschäft ist die Wirtschaftsentwicklung mit einem Anteil von 75 Prozent bzw. Neuprämien von bis zu 616 Milliarden US-Dollar. Während sich das Prämien-Volumen in westlichen Industriestaaten („advanced markets“) sogar reduzieren könne, sind die Haupttreiber des Prämienwachstums die sich entwickelnden Märkte in China, im Südpazifik-Raum und andere aufstrebende Märkte. Hier schaffen Urbanisierung, Wirtschaftswachstum und steigende Vermögenswerte einen zusätzlichen Absicherungsbedarf.
Risiken noch bezahlbar?
Doch auch der Klimawandel wird dazu beitragen, dass die Versicherer mehr Prämie einnehmen - und einnehmen müssen. Klimabedingte Risiken werden in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich für ein Plus der weltweiten Sachversicherungsprämien um 22 Prozent bzw. um bis zu 183 Milliarden US-Dollar sorgen, da wetterbedingte Katastrophen sowohl schwerer als auch häufiger werden dürften, argumentieren die Studienmacher. Dabei habe man noch mit konservativen Szenarien gerechnet, nämlich, dass das 1,5 Grad-Ziel nach dem Klima-Übereinkommen von Paris erreicht werden könne.
Jerome Haegeli, Group Chief Economist von Swiss Re: „Die langfristig grösste Bedrohung für die Weltwirtschaft ist der Klimawandel, und daher ist es besonders wichtig, die Voraussetzungen für langfristig nachhaltiges Wachstum zu fördern. Wenn wir ein nachhaltiges Versicherungssystem aufbauen wollen, das es der Gesellschaft ermöglicht, künftige Risiken zu beherrschen und aufzufangen, müssen wir Risiken und Chancen quantifizierbar machen. Von grosser Bedeutung ist unsere Arbeit auch für die Politik, mit der wir das Ziel teilen, Wirtschaftswachstum versicherbar zu machen.“
Haegeli sieht die Notwendigkeit, hier gegenzusteuern. "Wenn wir uns in einem schwerwiegenderen Szenario befänden, würde man von viel höheren wirtschaftlichen Verlusten sprechen, und dann wäre die Frage natürlich, wie hoch der Preis [für die Versicherer] wäre", sagt der Experte der Financial Times. „Sind die Schäden dann noch bezahlbar, und ist die Versicherungsbranche noch bereit, diese abzusichern?“
Schon beim eher konservativen Szenario könnten die Elementarschäden durch den Klimawandel in Deutschland bis 2040 um mehr als 90 Prozent, in China und Großbritannien um fast 120 Prozent zulegen, warnen die Studienmacher. Die Prämien müssten sich dann mehr als verdoppeln.
Haftpflicht: neue Risiken treiben Prämien
Da es bei Schadenersatzurteilen und Vergleichen, insbesondere in den USA, aufgrund der sozialen Inflation immer häufiger um enorme Summen geht, dürften die Haftpflichtprämien im Zeitraum 2020 bis 2040 um durchschnittlich 4,7 Prozent jährlich steigen, von 214 Milliarden US-Dollar auf 583 Milliarden in 2040. Weitere Faktoren, die langfristig zum Wachstum der Haftpflichtprämien beitragen könnten, sind die Auswirkungen des Klimawandels, die künstliche Intelligenz sowie gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen.
Zu den Bereichen, die die Nachfrage nach Haftpflicht-Schutz ankurbeln, gehören Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel, Cyberrisiken, die Haftung für neue Technologien wie künstliche Intelligenz sowie für autonome Fahrzeuge. Aber auch Hydrofracking und soziale Inflation würden die Prämien steigen lassen, insbesondere in den USA.
Stichwort Fracking: Vor US-Gerichten wird oft über Umweltschäden durch die umstrittene Fördermethode von Erdöl und Erdgas gestritten. Der US-Erdgasförderer Cabot Oil & Gas wurde 2020 für schuldig befunden, das Grundwasser bei einem Ort im Bundesstaat Pennsylvania verunreinigt zu haben, und musste Millionenstrafen an betroffene Familien zahlen. Laut einem Bericht der New York Times sind rund zwei Millionen Bohrlöcher in den Staaten nicht sicher verschlossen, sodass klimaschädliches Methan entweicht. Auch Risse an Häusern sowie vermeintliche Erdbeben durch die Bohrungen führen zu Rechtsstreiten.
Die „soziale Inflation" wiederum beschreibt erhöhte Versicherungsschäden, die Unternehmen durch hohe Schadensersatz-Forderungen drohen: zum Beispiel durch gewinnorientierte Prozessfinanzierer, härtere Geschworenenurteile oder großzügigere Arbeitnehmerentschädigung bei Unfällen etc. Vor allem in den USA bekannt, greift der Trend auch in anderen Staaten um sich. In Deutschland werden zum Beispiel Manager und Vorstände immer öfters nach Firmeninsolvenzen verklagt, was die Prämien in der Directors- and Officers-Versicherung und für gewerbliche Rechtsschutz-Policen in die Höhe treibt.
Kraftfahrt-Versicherung: Prämienwachstum gebremst
Während die volatileren Segmente der Sach- und Haftpflichtversicherung an Bedeutung gewinnen werden, wird der Anteil der Motorfahrzeugversicherung, eines traditionell risikoärmeren und volumenstarken P&C-Kernsegments, zurückgehen, prognostiziert das Institut. Grund ist die Automatisierung: Trends wie das autonome Fahren und intelligente Technologien, die auch zu weniger Schäden führen. Laut Prognose ist zwar zu erwarten, dass sich auch im Kraftfahrt-Segment die Prämien beinahe verdoppeln werden: von 766 Milliarden US-Dollar auf 1,4 Billionen US-Dollar in 2040. Aber der Anteil am P&C-Risikopool schrumpfe von 42 Prozent auf 32 Prozent.
Der Anteil der Sachversicherung würde laut Prognose bis 2040 von 25 auf 29 Prozent steigen, jener der Haftpflicht von zwölf auf 13 Prozent.