Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) warnt vor den Gefahren der Berufsunfähigkeit. Noch immer würde im Schnitt jeder Vierte wenigstens einmal in seinem Arbeitsleben berufsunfähig, so berichten der Versicherungs-Mathematiker anhand aktueller Daten. Die gute Nachricht: Für viele ist dennoch eine Rückkehr in ihren alten Beruf möglich.
Wie hoch ist die Gefahr, im Laufe des Arbeitslebens berufsunfähig zu werden? Hierzu legt die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) im Verbandsmagazin „Aktuar aktuell“ (Ausgabe 55, September 2021) neue Zahlen vor. Und warnt: „Die Berufsunfähigkeit (BU) bleibt für die Deutschen eine der größten finanziellen und zugleich am stärksten unterschätzten Gefahren“, wie es im entsprechenden Artikel heißt. Noch immer werde rund jeder Vierte wenigstens einmal im Arbeitsleben berufsunfähig. Teilweise habe die Gefahr sogar zugenommen.
BU-Datenbasis: 17 Millionen Privatverträge
Für ihre Daten haben die Aktuare das Kollektiv der Personen ausgewertet, die bereits im Besitz einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung sind. Das Ergebnis lasse sich folglich nicht einfach repräsentativ auf die gesamte Bevölkerung übertragen. Laut dem Versicherer-Dachverband GDV existieren aktuell knapp 17 Millionen private BU-Verträge. Das würde rund einem Drittel der aktuell rund 45 Millionen Erwerbstätigen betreffen: erlaubt aber keinen genauen Rückschluss auf die Zahl der versicherten Personen, da einige auch mehrere Policen halten können. Zudem sind auch BU-Versicherungen für Schüler und Studenten im Angebot.
Der Verband weist darauf hin, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund auf ähnliche Ergebnisse kommt: wobei hier der Unterschied zwischen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit zu beachten ist. Während die BU den zuletzt ausgeübten Beruf absichert, folglich auch Status und Gehalt berücksichtigt, ist dies bei der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente nicht der Fall. Eine teilweise Erwerbsminderung nämlich liegt erst dann vor, wenn eine betroffene Person außerstande ist, für mindestens sechs Stunden auf absehbare Zeit irgendeinem Beruf nachzugehen: eine volle Erwerbsminderung gar für drei Stunden. Die Rentenkasse kann die betroffene Person folglich auf jeden anderen Job verweisen: auch wenn sie dort deutlich weniger Geld verdient und ein geringeres Ansehen hat.
Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit, berufsunfähig zu werden, höher als die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsunfähigkeit. Seit einer Gesetzesnovelle greift der BU-Schutz in der gesetzlichen Rente nur noch für jene, die vor dem 2. Januar 1961 geboren wurden. „Eine private BU-Absicherung ist somit heute für praktisch jede erwerbstätige Person besonders wichtig“, warnt der DAV. Andernfalls droht ein Armut.
Jede(r) Vierte mindestens einmal berufsunfähig
Wie bereits erwähnt ergab die DAV-Auswertung des BU-Bestandes, dass statistisch jeder Vierte in seiner Arbeitsbiographie mindestens einmal berufsunfähig wird. Für einige Gruppen sei das Risiko sogar angewachsen. Gegenüber der letzten Studie aus dem Jahr 2000 hätten Frauen bis 40 Jahren ein um dreißig Prozent gestiegenes Risiko, den Beruf aufgeben zu müssen.
Erfreulich sei der Trend hingegen bei Versicherten über 40 Jahren. Hier sank die Wahrscheinlichkeit, berufsunfähig zu werden, binnen 20 Jahren teils deutlich: bei weiblichen Versicherten um 36 Prozent und bei männlichen um etwa 45 Prozent. Ein Grund für die positive Entwicklung in der älteren Altersgruppe sei, dass die Menschen heute teils deutlich weniger körperlich belastet werden als in vorherigen Jahren und in weniger körperlich fordernden Berufen tätig sind. Der Wandel der Arbeitswelt trägt folglich dazu bei, dass Menschen im mittleren und fortgeschrittenen Alter tendenziell länger in ihrem Beruf arbeitsfähig bleiben.
Jeder fünfte Leistungsberechtigte kehrt binnen zweier Jahre in den Beruf zurück
Die Formulierung „im Arbeitsleben wenigstens einmal berufsunfähig“ verweist auf einen weiteren Fakt: eine Berufsunfähigkeit ist kein endgültiges Urteil. Knappe jede(r) Fünfte bzw. 19 Prozent kehren innerhalb von 24 Monaten wieder in den zuletzt ausgeübten Beruf zurück. Auch diese Tendenz stimmt optimistisch, denn vor 20 Jahren waren es laut DAV-Daten nur elf Prozent. Ein Leistungsanspruch besteht in der Regel, wenn man voraussichtlich für mindestens sechs Monate aus dem Job ausscheidet.
Bei den Personen mit längerer Berufsunfähigkeit von drei bis zehn Jahren ist hingegen eine negative Entwicklung zu beobachten. Während Ende der 1990er-Jahre rund 26 Prozent der Invaliden in diesem Zeitraum in den Job zurückkehrten, sind es nun 16 Prozent, schreibt die DAV.
Es sei noch nicht abzusehen, welche Auswirkung die neuen Daten auf die Prämien für private BU-Policen haben, da sie von den einzelnen Versicherern individuell berechnet werden, zudem weitere Faktoren die Kalkulation der Beiträge beeinflussen: etwa der Rechnungszins und die Zusammensetzung des Risikokollektivs im Bestand. Auch wie sich die Corona-Langzeitfolgen auf die ausgezahlten Leistungen auswirken, sei noch offen.