Bereits seit 2013 hat die Stuttgarter mit GrüneRente ein Altersvorsorge-Produkt, das als nachhaltig beworben wird: mittlerweile macht es einen immer größeren Anteil am Neugeschäft aus. Über die Chancen und Grenzen des nachhaltigen Investments von Lebensversicherern sprach der Versicherungsbote mit Jens Göhner, Leiter Produkt- und Vertriebsmarketing Vorsorge und Investment der Stuttgarter.
Versicherungsbote: Die Stuttgarter wirbt auf ihrer Webseite prominent mit dem Thema Nachhaltigkeit. Warum ist eine solche Positionierung wichtig – speziell aus Sicht eines mittelständischen Versicherers?
Jens Göhner: Nachhaltigkeit und verantwortungsvolles Handeln ist eine Haltung, die sich aus unserer Tradition als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ableitet. Denn mit unserer Rechtsform sind wir ausschließlich den Interessen unserer Mitglieder verpflichtet. So sehen wir es in unserer Verantwortung, zum Erhalt der ökologischen, sozialen und ethischen Grundlagen der Gesellschaft beizutragen. Dazu positionieren wir uns klar und haben schon 2013 als einer der ersten Lebensversicherer eine nachhaltige Altersvorsorgelösung, die GrüneRente, ins Leben gerufen.
Versicherer halten viele langfristige Anlagen. Gerade in der Altersvorsorge sind sie dazu verpflichtet. Gelingt es da überhaupt, das Portfolio schnell und ohne Verluste auf nachhaltige Investments umzustellen? Oder anders gefragt: Wie hoch ist der Anteil mittlerweile bei Ihnen?
Die Einhaltung des Leistungsversprechens gegenüber den Kunden ist das oberste Ziel der Kapitalanlage im Sicherungsvermögen. Dazu legen wir langfristig an. Ein schnelles Umstellen auf ausschließlich nachhaltige Anlagen ist daher schwierig. Deshalb arbeiten wir bei der GrüneRente nach dem Zuordnungsprinzip. Das heißt: Wir sichern unseren GrüneRente-Kunden zu, mindestens in Höhe des Sparanteils der eingezahlten Beiträge in ausschließlich nachhaltige Projekte und Kapitalanlagen zu investieren. Je höher der Anteil der GrüneRente-Kunden, desto nachhaltiger wird sukzessive unser gesamtes Sicherungsvermögen. Zum Stichtag 1. Januar 2021 verwalteten wir 323 Millionen Euro nachhaltige Kapitalanlagen. Im Vergleich zum Vorjahr entsprach dies einer Steigerung von rund 15 Prozent.
Die GrüneRente wird explizit als ökologische Altersvorsorge beworben. Bereits seit 2013 bieten Sie diese an, zunächst als „klassische“ Garantierente, nun auch als fondsgebundene Rentenversicherung und Indexrente. Wie hoch ist hier die Nachfrage – auch im Vergleich zu anderen Vorsorgeangeboten?
Die Einführung 2013 war eine Pionierleistung. Manchmal dauert es ein paar Jahre, bis eine gute Idee auf breite Resonanz stößt. Die GrüneRente ist dafür das beste Beispiel. Vor allem jetzt, wo das Thema nachhaltige Geldanlage zum Mainstream geworden ist, macht das zuvor solide und stetige Wachstum der GrüneRente einen zusätzlichen kräftigen Sprung. 2020 verdoppelte die GrüneRente ihren Anteil im Neugeschäft auf 20 Prozent. Den höchsten Anteil macht dabei unsere fondsgebundene Variante performance+ aus.
Welche Zielgruppen wollen Sie mit der GrüneRente in der Vermittlerschaft und bei den Kunden ansprechen?
Die Produktidee ist bei uns in Zusammenarbeit mit spezialisierten Vermittlern entstanden, die sich dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben haben. Was damals noch eher auf eine alternativ orientierte, kleinere Zielgruppe ausgerichtet war, findet heute glücklicherweise bei einer breiten Zielgruppe Anklang. Immer mehr Menschen richten ihr Leben danach aus, die Umwelt zu schützen und sozial-ethische Aspekte in ihrem privaten und beruflichen Verhalten zu verankern. Bei jüngsten Umfragen sagten etwa 60 Prozent der Verbraucher, dass sie Nachhaltigkeit auch in ihrer Altersvorsorge berücksichtigen möchten. Wobei vor allem junge Leute großes Interesse am Thema „Green Investing“ zeigen.
Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit nachhaltigen Produkten gemacht und welche Perspektive werden diese in Zukunft haben? Sind weitere grüne Produkte in Ihrem Haus angedacht?
Unsere Erfahrungen sind äußerst positiv. Die GrüneRente trifft den Puls der Zeit. Hinzu kommt, dass sich die Menschen seit einem Jahr bedingt durch die Coronapandemie generell mehr Gedanken um ihre Altersvorsorge machen. Hier kommen also mit Nachhaltigkeit und Vorsorge zwei Trendthemen zusammen. Aber Nachhaltigkeit beinhaltet auch eine gewisse Komplexität. Nachhaltigkeit ist sehr vielfältig und werteorientiert. Die Komplexität ergibt sich aus den verschiedenen Ansätzen zur Integration der Nachhaltigkeit in Finanzprodukten. Beispielsweise Ausschlusskriterien oder Impact Investing. Information und Transparenz sind deshalb von herausragender Bedeutung. Darauf werden wir auch in Zukunft großen Wert legen. Genauso werden wir die GrüneRente-Produktfamilie kontinuierlich weiterentwickeln.
"Riester-Renten mit Beitragsgarantie sind im aktuellen Zinsumfeld unattraktiv"
Versicherungsbote: Sie schulen auch Versicherungsmaklerinnen und -makler zum Thema Nachhaltigkeit: eine sehr heterogene Gruppe. Wird das Angebot angenommen? Wie stark ist aus Ihrer Sicht das Thema Nachhaltigkeit in der Maklerschaft verankert?
Jens Göhner: Das Interesse und der Informationsbedarf in der Maklerschaft ist sehr groß. Im Juni haben rund 750 Makler und andere Vertriebspartner an unserer 3-teiligen Online-Weiterbildung zum „Nachhaltigkeits-Berater (Altersvorsorge)“ mit Zertifizierung durch das Institut für nachhaltiges, ethisches Finanzwesen e.V. (INAF) teilgenommen. Deshalb werden wir dieses Angebot im Oktober wiederholen, um die Nachhaltigkeit noch breiter bei den Vermittlern zu verankern.
Die TVO-Verordnung verpflichtet Vermittler, ihre Kundinnen und Kunden aktiv zu Nachhaltigkeitsrisiken anzusprechen, wenn sie zu Finanzanlage- und/oder Versicherungsanlageprodukten beraten. Unsere Erfahrung: Hier herrscht noch viel Unsicherheit. Haben Sie Tipps für die Maklerschaft, was sie berücksichtigen sollte, damit sie nicht in die Haftungsfalle tappt?
„Informieren und adaptieren“ sollte das Motto sein. Das heißt: Die Vermittler sollten sich mit den regulatorischen Anforderungen beschäftigen und sich überlegen, wie sie diese am besten für sich umsetzen können. Hilfestellungen geben dabei insbesondere die Vermittlerverbände.
„Die EU schafft eine grüne Blase“, titelte vor Kurzem die Tageszeitung WELT. Je mehr in sogenannte ESG-Strategien investiert werde, desto mehr wachse auch die Gefahr für Marktverwerfungen. Aus Ihrer Sicht realistische Ängste?
Aktuell gibt es noch ausreichend Anlagemöglichkeiten. Nimmt jedoch das Neugeschäft und das Angebot nachhaltiger Policen weiter deutlich zu, könnte das Angebot geeigneter Investments knapp werden. Deshalb sollte die Politik neben der Transparenzverordnung und anderen Regularien, die die Aufmerksamkeit der Kunden auf nachhaltige Produkte richten, auch das Angebot an nachhaltigen Anlagen stärker fördern.
Sie haben angekündigt, das Neugeschäft mit staatlich geförderten Riester-Renten zum August 2021 einzustellen. Wieso haben Sie sich dazu entschlossen? Sehen Sie aktuell noch eine Zukunft für die Riester-Rente?
Verlässlichkeit ist einer unserer zentralen Werte, der sich auch in unserer Produktpolitik spiegelt. Und deshalb haben wir die politische Diskussion und die Diskussion um die Attraktivität von Riester-Angeboten schon im letzten Jahr sorgfältig beobachtet. Riester-Produkte mit der zurzeit gesetzlich vorgeschriebenen 100-Prozent-Beitragsgarantie sind sowohl für die Kunden als auch für uns als Unternehmen im aktuellen Zinsumfeld unattraktiv. Die 100-Prozent-Beitragsgarantie schränkt den Spielraum für eine attraktive Kapitalanlage und damit für eine attraktive Rendite ein. Da notwendige Reformen in der ausgehenden Legislaturperiode ausblieben, haben wir unser Riester-Neugeschäft eingestellt.
Am Wochenende wird ein neuer Bundestag gewählt. Stellen Sie sich vor, Sie könnten als Gesetzgeber wichtige Reformen in Sachen Rente und Altersvorsorge anstoßen. Was würden Sie umsetzen?
Aus meiner Sicht sind die wichtigsten Reformen die Versicherungspflicht für Selbstständige sowie die Abschaffung der 100-Prozent-Beitragsgarantie bei der Riester-Rente – beziehungsweise einem möglichen Nachfolgeprodukt – und bei der Beitragszusage mit Mindestleistung.
Die Fragen stellte Mirko Wenig