Ausweg aus der Riester-Sackgasse: „Die Politik ist gefordert wie noch nie zuvor“

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Stillstand herrscht nach 20 Jahren bei der Riester-Rente. Wie kommt das im Vertrieb an? Darüber sprach Versicherungsbote mit Reinhard Kreisel (DVAG). In seinem Gesamtgeschäft spielen Riester-Verträge eine entscheidende Rolle.

Versicherungsbote: Die Brandbriefe der Anbieter-Verbände und die Appelle der Aktuarvereinigung haben nichts genutzt – zum 20. Geburtstag ist die Riester-Rente auf das politische Abstellgleis geraten. Herr Kreisel, wie blicken Sie auf diese 20 Jahre Riester-Rente zurück? Welchen Umfang nimmt das Riester-Geschäft in Ihrem Bestand ein?



Reinhard Kreisel: Die Riester-Rente ist ein sehr gutes Basisprodukt für die private Altersvorsorge – und für die meisten Menschen auch passend. Insbesondere zu Zeiten von Niedrig- und Nullzinsen bietet die Riester-Rente vor allem für Mütter eine sehr ordentliche und zudem garantierte Förderrendite! Der Ertrag des Riester-Vertrages kommt noch hinzu. 

An meinem Gesamtgeschäft der letzten 20 Jahre nehmen die Lebens- und Rententarife einen Anteil von 38 Prozent ein. Davon entfallen 45 Prozent auf die Riester-Rente.

Die Riester-Rente wurde in den 20 Jahren häufiger nachjustiert. Welche Nachbesserungen hätten aus Ihrer Sicht eher kommen müssen?

Seit Bestehen der Riester-Rente gab es – um Ihren Begriff aufzugreifen – einige Nachbesserungen, welche die Riester-Rente auch attraktiver machten. Doch in ihnen liegt nicht das Problem. Das Versäumnis der verantwortlichen Politiker liegt vielmehr darin, weitere dringend notwendige Nachbesserungen bereits seit vielen Jahren einfach liegenzulassen und nicht – wie ursprünglich im Koalitionsvertrag vorgesehen – anzupacken und umzusetzen. 

Ginge es nach mir, wären folgende fünf Vorschläge sofort umzusetzen:
Erstens: Die Förderverfahren müssen endlich grundsätzlich vereinfacht werden! 
Zweitens sollte auf die Beitragsgarantie ganz oder teilweise verzichtet werden. Die Förderberechtigung, drittens, sollte von der SV-Pflicht auf die Steuerpflicht erweitert werden. Nach 20 Jahren sollte, viertens, auch der maximal förderfähige Beitrag angepasst werden. Und fünftens muss auf die Anrechnung bei der Grundsicherung vollständig verzichtet werden.

Warum wurde das Zulageverfahren zum Ärgernis für Anbieter?



Das Förderverfahren aus Zulagen und Günstigerprüfung war von Anfang an zu kompliziert gestaltet – und somit auch viel zu aufwändig und kostenintensiv für Anbieter und Berater. Vieles wurde aber auch zum Ärgernis der Vorsorgesparer: Sie erhielten keine oder aber fehlerhafte Zulagenanträge. Das hat dann zur Folge, dass gar keiner oder nur ein anteiliger Zulagenanspruch besteht.
Fehler- bzw. lückenhafte Zulagenanträge führen außerdem auch sehr oft zu Rückforderungen der Zulagen. Und wenn es Abweichungen Kindergeldberechtigter gegenüber der Kindergeldstelle gibt oder Formulare fehlen, werden Zulagen ebenfalls zurückgefordert. Vorschläge, wie das Förderverfahren deutlich vereinfacht werden könnte, wurden zuletzt im März 2020 gemacht.

Als weiteres Erfolgshindernis gilt Anbietern die Beitragsgarantie in Niedrigzinszeiten. Die Niedrigzinsen sind aber politisch gewollt. Welche Mitschuld am Scheitern der Riester-Rente trägt die Politik?

Die Politik hat aus zwei Gründen Mitschuld: Einerseits wurde die im Koalitionsvertrag vorgesehene Altersvorsorgereform im Ministerium von Bundesfinanzminister Olaf Scholz nicht umgesetzt. Andererseits war es ein Fehler, lediglich die Absenkung des Höchstrechnungszinses zu beschließen, jedoch die gleichzeitige Absenkung der Beitragsgarantie nicht umzusetzen. Mit dem neuen Garantiezins ist es ab 2022 nicht mehr möglich, nach Abzug der Kosten die volle Beitragsgarantie sicherzustellen.
Das wird zur Folge haben, dass es kaum mehr Anbieter geben wird. Angebote werden zudem eher „Alibitarife“ sein, welche kaum im Interesse der Vorsorgesparer sind. Wie könnte es sonst sein, dass beispielsweise die Allianz nur noch mit ihrer Kapitalpolice „Perspektive“ am Markt vertreten ist und dass die deutlich bessere Fondspolice „InvestFlex“ verschwinden wird?

Altersvorsorge passiert nicht einfach so von alleine

Die politischen Parteien stimmten längst in den Abgesang auf die Riester-Rente ein. Wie hat sich dieses monatelange Gezerre auf die Vorsorgebereitschaft der Deutschen ausgewirkt? Bekommen Sie überhaupt noch Anfragen zu dem Thema?

Selbstverständlich müssen die Verbraucher zu diesem Thema gut aufgeklärt werden. Meine Kunden und Interessenten haben bereits erste Informationen hierzu erhalten. Und dies wird noch weiter verstärkt werden. Solange es keine bessere Alternative gibt – und diese ist aktuell ja keineswegs in Sicht – sollten die Verbraucher über alle Vorteile aufgeklärt werden, die sich jetzt noch bieten. 

Diese Vorteile wären der höhere Garantiezins, die volle Beitragsgarantie, eine höhere Garantierente sowie ein deutlich höherer garantierter Rentenfaktor. 

Die Verbraucher fragen von sich aus aktuell tatsächlich weniger eine Riester-Rente nach. Aber die jüngste Erfahrung zeigt einmal mehr, dass sich viele Interessenten erst durch eine gute Aufklärung fürs Thema zurückmelden. Vielen wird dadurch erst bewusst: „Wenn hätte da ist, ist habe weg!“ – zitiert nach Karsten Brocke und Hans Siewert.

Nun sind die Wahlprogramme voller Vorschläge, wie zusätzliche private Vorsorge besser zu gestalten sei. Welcher dieser Vorschläge hat Sie überzeugt? Und warum?

Bisher kann mich keiner dieser Vorschläge wirklich überzeugen. Wie denn auch? Dafür sind bisher zu wenige Details bekannt. 

Aus meiner Sicht ergibt es überhaupt keinen Sinn, die Riester-Rente – die mit Abstand erfolgreichste freiwillige private Altersvorsorge in Europa – bereits nach 20 Jahren wieder einzustampfen! Vielmehr ist es eher angebracht, die gute Riester-Rente zu vereinfachen und zu verbessern. 

Es spricht ja auch nichts dagegen, eine weitere, von der Politik favorisierte, Form zuzubauen. Doch mit welchem Recht will man zum Beispiel bei einer neuen Form der geförderten Vorsorge auf die Beitragsgarantie ganz oder teilweise verzichten, aber dieses Recht der Riester-Rente verweigern?

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat sich für ein Standard-Vorsorge-Produkt ausgesprochen und zumindest zeitweise für einen digitalen Vertrieb ohne Abschlusskosten plädiert. Beim BVK sorgte dieser Vorstoß für Schnappatmung. Wie war das bei Ihnen?


Das Schlimmste an dem Vorschlag ist, dass Herr Asmussen ihn Ernst gemeint hat. Meiner Meinung nach war dies nicht nur ein total falsches Signal in Richtung Politik. Er ist damit auch vielen Vermittlern in den Rücken gefallen. 

Und dieses Standard-Produkt würde sicher auch nicht funktionieren. Denn Altersvorsorge passiert nicht einfach so von alleine – sonst gäbe es bei der betrieblichen Altersversorgung eine deutlich höhere Durchdringungsquote. Altersvorsorge muss individuell und vor allem persönlich beraten und aktiv verkauft werden. Diesem wichtigen Auftrag kann kein Standardprodukt gerecht werden. 
Jeder Mensch ist auch ein Individuum. Menschen brauchen Menschen.

Welche Hoffnungen mit Blick auf die Zukunft von Riester-Produkten haben Sie für die Zeit nach der Bundestagswahl?

Hoffnung? Nein! Ich habe eine klare Erwartung. Meine Forderung ist, dass sich alle Beteiligten – Politiker, Rentenkommission, Verbände und Anbieter – zu erneuten Gesprächen zusammenfinden und zu den bereits seit März 2020 vorliegenden Reformvorschlägen einen guten Konsens finden. Dies ist die Politik nicht nur den 16,5 Millionen Riester-Sparern, sondern auch allen künftigen Rentnern schuldig. 

Die Politik ist also gefordert wie noch nie zuvor. Jeder Politiker sollte sich dieser Verantwortung auch wirklich bewusst sein und sich dieser stellen. Rentenkürzungen in der Vergangenheit hatten zusätzliche Versorgungslücken zur Folge. Die Lösung dieser Problematik darf keineswegs weiter in die Zukunft verlagert werden, denn sonst wären unkalkulierbare Verpflichtungen im Sozialbereich vorprogrammiert.

Hinweis: Der Text erschien zuerst im Sonderheft Altersvorsorge.