Aktuell überarbeitet die EU-Kommission die Solvency-II-Richtlinie: jenes Regelwerk, nach dem Versicherer ihre Stabilität und Krisenfestigkeit nachweisen müssen. Die aktuellen Pläne treiben den Assekuranzen die Sorgenfalten auf die Stirn. Künftig könnten die europäischen Behörden entscheiden, wie Kapitalanlagen und Eigenmittel bewertet werden: nach Gutsherrenart?
Seit 2016 ist in Europa die sogenannte Solvency-II-Richtlinie in Kraft. Sie gibt unter anderem vor, wie Lebensversicherer ihre Finanzstabilität nachweisen müssen: anhand der Kapitalanlagen, Zusagen an die Kunden sowie eingegangenen Risiken. Eingeflossen sind hierin die Erfahrungen der Finanzkrise 2008 sowie die Erkenntnis, dass auch große Versicherer systemrelevant sein können, folglich das Finanzsystem zu destabilisieren drohen. Nach dem Kollaps von Lehmann Brothers musste auch der US-amerikanische Branchenriese AIG gerettet werden: mit 182 Milliarden Dollar Steuergeldern.
Aktuell wird Solvency II überprüft und konsultiert: So war es bei Inkrafttreten der Regeln vorgesehen, nach vier Jahren sollte Zwischenbilanz gezogen werden. Und in dieser Woche hat die EU-Kommission eine neue Version der entsprechenden Richtlinie vorgestellt. Sehr zum Leidwesen der deutschen Lebensversicherer. Die Richtlinie soll weiter verschärft werden: und damit auch die langfristige Zinskurve neu berechnet, anhand derer sich der Kapitalbedarf für lang laufende Altersvorsorge-Policen orientiert. Aber das Regelwerk könnte ein Schnellschuss werden: und damit die Assekuranzen in ernste Probleme bringen.
Streit um Berechnung Langfristzins in Solvency II
Vereinfacht geht es um die Frage, wie die Verbindlichkeiten der Versicherer abgezinst werden. Die entsprechenden Prognosen hierfür sind umso unzuverlässiger, je länger die Laufzeit der Verträge ist, gibt die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA zu bedenken: an deren Entwurf für eine verschärfte Richtlinie orientiert sich nun die EU-Kommission. Weil durch die langen Laufzeiten auch die Verbindlichkeiten der Versicherer volatiler würden, soll die zugrundeliegende Zinskurve diese Unsicherheit stärker berücksichtigen. Und das bedeutet: Die Vorgaben werden noch mehr verschärft und die Versicherer müssen mehr Kapital zurückhalten. Zumindest dann, wenn sie in ihren Verträgen einen Garantiebaustein anbieten.
Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ aktuell berichtet, sind aber wichtige Werte noch gar nicht enthalten, mittels derer der Kapitalbedarf der Versicherer ermittelt werden soll. Diese soll in die sogenannte Level-2-Phase der Gesetzgebung verschoben werden: mittels delegierter Rechtsakte können hier technische Details ohne Zustimmung des EU-Parlaments erlassen werden. Das legt nun die Entscheidung, wie der Kapitalbedarf künftig errechnet wird, in die Hand von EU-Behörden. „Wenn man es in der Rahmenrichtlinie unklar lässt, wird der Wert der langfristigen Zinskurve von Eiopa und der EU-Kommission ausgelegt“, kritisiert Debeka-Finanzvorstand Normann Pankratz laut FAZ. Ob Versicherer noch langfristige Garantien anbieten könnten, werde in die Hände einzelner Behördenmitarbeiter gelegt.
Das ruft auch die deutschen Aktuare auf den Plan. Die zugrundeliegenden Parameter für das Errechnen des langfristigen Zinssatzes müsse durch das EU-Parlament mitentschieden werden, denn sie seien auch eine politische Frage, sagt Herbert Schneidemann, Präsident der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), ebenfalls dem Frankfurter Blatt. Schließlich gehe es um die Altersvorsorge der Deutschen. „Es besteht die Gefahr, dass solche Parametrisierungen nach Gutsherrenart geändert werden“, so Schneidemann. Zum Nachteil der Kundinnen und Kunden, die eine solche Lebensversicherung halten?
Bereits der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hatte im Laufe des Konsultationsverfahrens zu bedenken gegeben, dass die Versicherer durch die neue Richtlinie -sofern sie ihren Kundinnen und Kunden Garantien zusagen- gezwungen sind, noch konservativer das Geld anzulegen. Sie müssten länger mit niedrigeren Zinsen rechnen und erheblich mehr Eigenmittel als bislang vorhalten. Das hat auch Auswirkungen auf das Investment-Verhalten der Versicherer. Das Kapital wäre gebunden und die Versicherungswirtschaft wäre als langfristiger Investor beeinträchtigt. Erschwert wird etwa, Kundengelder in umweltfreundlichere Investments umzuschichten. Ohnehin sind die Versicherer weit stärker als andere Investoren in lang laufende Geldanlagen investiert, gibt der Verband zu bedenken. Sie haben damit auch eine stabilisierende Wirkung für das Finanzsystem.
Ausnahmen für ökologische Investments vorgesehen
Doch speziell für ökologische und soziale Investments sieht der EU-Entwurf Ausnahmen vor: Hier soll EIOPA prüfen, ob für Versicherer mit starkem grünen Fußabdruck weniger strenge Kapitalanforderungen gelten sollen. Auch das ist umstritten. Einerseits könnten Versicherer dadurch animiert werden, noch schneller den Wandel zu Klimaneutralität und Nachhaltigkeit zu vollziehen. Andererseits können gerade in neuen Technologien Risiken lauern, die die eigene Finanzstabilität gefährden. Die Kundengelder sind ja nicht besser geschützt, nur weil ein Anbieter in grüne Technik investiert: man erinnere sich an die Pleite von Windkraft-Firmen wie Prokon oder Senvion.
Ohnehin stellt sich die Frage, wie sehr die Versicherer von der Volatilität an den Finanzmärkten betroffen sind. Große Teile der Geldanlagen von Versicherern sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie langfristig sind: und damit dem Auf und Ab an den Börsen weniger unterworfen. Der Wert der Verbindlichkeiten und Kapitalanlagen „schwankt in unserem Geschäftsmodell nicht täglich oder zu stark“, sagt folglich Volker Priebe, Vorstand der Allianz Leben, laut FAZ. Es müsse möglich sein, ihren Langzeitcharakter abzubilden.
Drastische Worte zu den EU-Plänen hatte bereits der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber gefunden, wirtschaftspolitischer Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion. Ferber warnte letzte Woche, dass langlaufenden Policen „praktisch das Todesurteil“ drohe, wenn die EU-Kommission noch strengere Eigenkapitalanfordungen erlasse. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb Ferber, Lebensversicherungen dürften nicht durch Regulierung gefährdet werden.