Nachwuchsgewinnung: "Jeden Tag kämpfen, die Branche in ein anderes Licht zu rücken"

Quelle: insurance-avengers.de

Versicherungsbote: Ist auch Ihre Zielgruppe jünger? Muss man eine jüngere Zielgruppe anders beraten als ältere Kundinnen und Kunden?

Wir sind in meiner Agentur vom Kundenalter super breit aufgestellt. Dennoch ist die jüngere Zielgruppe natürlich extrem wichtig. Die Bestände werden genauso wie der Vermittler älter. Ich denke, dass man jüngere Kunden nicht anders beraten muss als ältere Kunden – zumindest fachlich nicht – aber die Wege der Beratungen und die Geschwindigkeit bzw. die Erwartungen an die Geschwindigkeit sind aus meiner Erfahrung deutlich höher. Voll digital inklusive elektronischer Unterschrift, Zoom-Beratungen, WhatsApp, Social Media, Cloud-Services und digitale Versicherungsplattformen sind nur einige Skills, die die jungen Menschen heute erwarten. Die fachliche Beratung rund um die Themen Versicherungen und Finanzen ändert sich nur wenig. Das Drumherum aber extrem.

Und was sagen Sie jenen potentiellen Nachwuchskräften, die einwenden: Versicherung, das bedeutet, sich durch lange Verträge kämpfen, das Kleingedruckte beachten, das bedeutet auch viel Bürokratie, Rechenkram und Haftungsrisiken? So ganz falsch ist das Klischee ja nicht?

Das kann ich nicht leugnen. Wir brauchen Verträge, Rechenkram und Kleingedrucktes. Denn es geht in unserem Job oft um große Summen. Dennoch würde ich weiter antworten, dass die Branche sich aktuell in einem Change Prozess befindet. Ich kann das zumindest für die ERGO sagen. Hier wird aktuell kein Stein auf dem anderen gelassen. Wir sind dabei, das Kleingedruckte zu überarbeiten und radikal zu vereinfachen. Versicherung soll erlebbar werden und der Kunde steht zu 100 Prozent im Mittelpunkt. Ich kann aus voller Überzeugung sagen, dass wir hier auf einem guten Weg sind.

Kehren wir die Sache mal um. Was sind Aufgaben und Tätigkeiten im Vermittler-Beruf, die Ihnen richtig Spaß machen?

Am besten an meinem Job ist auf jeden Fall die Abwechslung. Kein Tag ist wie der andere. Ich berate am gleichen Tag eine normale Familie mit zwei Arbeitnehmern und zwei Kindern und danach direkt eine Firma mit 75 Mitarbeitern. An einem Tag geht es um Abschlüsse und am anderen Tag reguliere ich Schäden. Genau diese Abwechslung ist es, die ich liebe und die mir liegt: viele verschiedene Aufgaben zu managen.

Danach geht es weiter mit Online-Marketing. Ob mir hierbei LinkedIn oder Instagram besser gefällt, kann ich frei entscheiden. Ob ich eine Google-Anzeige schalte oder doch lieber in den Printmedien unterwegs bin, entscheide ebenfalls ich.

Darüber hinaus macht es mir großen Spaß mein Team zu führen und zu sehen, wie sich die Mitarbeiter entwickeln und Teil am Erfolg haben. Die Branche ist so vielfältig und man kann so viele Wege einschlagen. Man hat völlige unternehmerische Freiheit und dazu noch sehr gute Verdienstmöglichkeiten. Leider bleibt in der Öffentlichkeit oftmals nur der schlecht oder gar nicht regulierte Schaden oder der „schlechte“ Versicherungsvermittler, der mich beschissen hat, hängen. Das ist wirklich schade! Vielleicht sollten wir allgemein mehr darüber sprechen, was gut läuft und welche Schäden wir regulieren. Es ist eine unfassbare Summe an Geld, die jährlich für Schadenzahlungen ausbezahlt wird. Sehen Sie sich nur mal an, was die "Versicherungsfuzzis" gerade bei der Hochwasserkatastrophe geleistet haben.

Macht die Branche genug, um junge Menschen anzusprechen? Was muss sich hier ändern?

Noch nicht. Wie gesagt könnte die Branche „cooler und jünger“ sein. Damit meine ich nicht, dass jeder Tattoos haben muss und einen Instagram Account braucht. Aber Authentizität ist wichtig. Ich habe für mich beschlossen, dass ich auf Anzug und Krawatte verzichte, weil ich das einfach nicht bin.

Außerdem glaube ich, dass es wichtig ist, mehr Frauen in den Vertrieb zu bekommen. Ich beobachte, dass bei einer Veranstaltung mit 50 Personen gerade mal eine Frau dabei ist. Die Branche wird voll von Männern dominiert (zumindest im Vertrieb). Vielleicht sollte man über ein Trainee-Programm „Frauen im Vertrieb“ nachdenken inkl. anschließendem Mentoring-Programm. Die Frauen, die im Vertrieb sind, sind nämlich überdurchschnittlich erfolgreich.

…wird der Beruf des Versicherungsvermittlers auch in Zukunft gebraucht? Man könnte ja einwenden: Viele Versicherer wollen im Außendienst sparen, und manche setzen bereits ganz auf Alexa und Co.

Wir Vermittler werden sicher weiter gebraucht. Ich stelle zwar fest, dass die Menschen viel besser informiert sind als früher, aber vor dem Abschluss noch eine Beratung zur Tarifvielfalt wünschen. Genau dann kommen wir Versicherungsfuzzis ins Spiel. Außerdem gibt es viele komplexe Versicherungsthemen, die aktuell automatisiert für mich schwer vorstellbar sind.

Dazu kommen kleine und große Schadenfälle, bei denen persönliche Ansprechpartner unabdingbar sind. Stellen Sie sich einfach mal die Katastrophe in NRW vor und das Ganze dann nur mit Handy oder per Mail? Das funktioniert nicht. Die Regulierung und Unterstützung im Schadenfall ist eine unserer Kernaufgaben. Die Agenturen der Zukunft müssen aber anders aufgestellt sein: besser ausgebildet, auf Augenhöhe mit dem Kunden und vor allem digitaler. Das beginnt mit der Vermarktung. Man muss eine Marke aufbauen. Schadenregulierung in der Agentur und eine eigene Marketingabteilung sollten meiner Meinung nach auch Bestandteil sein. Um künftig auf dem Markt mit all seinen Veränderungen bestehen zu können, muss ein großer Change her. Und meiner Meinung nach sollte man damit zügig beginnen, denn das wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Wenn es aber klappt, sind die Chancen für die Zukunft meiner Meinung nach riesig.

Die Fragen stellte Mirko Wenig