Rente: Ökonomen sehen Zukunft des Landes gefährdet

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Das Sondierungspapier, mit dem SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP den Rahmen für eine mögliche Regierungspolitik aufzeigen, sorgt zunehmend für Kritik. Nun melden sich drei Wirtschaftsprofessoren in der „Süddeutschen Zeitung“ zu Wort, sie stellen den Rentenplänen der angehenden Koalitionäre ein schlechtes Zeugnis aus. „Wenig innovativ und für junge Generationen teuer“, so ordnen sie die Pläne ein. Durch den steigenden Bundeszuschuss sehen sie sogar die Zukunft des Landes gefährdet.

Die drei Ökonomen sind Axel Börsch-Supan, Friedrich Breyer und Klaus M. Schmitt. „Wie eine nachhaltige Rentenreform gelingen kann“, so verspricht ihr Kommentar für das Münchener Blatt. Der Großteil des Textes ist jedoch eine Kritik am derzeitigen Status Quo. An dem die Ampel-Koalition aus Sicht der Ökonomen wenig ändern will.

“Land gibt seine Zukunft auf“

Weder das Rentenniveau noch das Renteneintrittsalter will die Regierung im Wartestand antasten, so stellen die drei Ökonomen fest. Und das lasse sich nicht mit dem Ziel vereinbaren, das Land nachhaltig zu modernisieren. Sie verweisen auf den sogenannten Altersquotienten, der sich in den nächsten 15 Jahren sehr zum Nachteil der Rentenversicherung entwickeln werde. Denn bald gehen die Babyboomer in Rente. Stehen heute noch drei Menschen im erwerbsfähigen Alter einem Rentner gegenüber, so werden es bald nur noch zwei sein. Das liege an der steigenden Lebenserwartung sowie an der Tatsache, dass diese Generation nicht für ausreichend Nachwuchs gesorgt habe, der jetzt die Rente finanzieren könne.

Die sogenannte doppelte Haltelinie aber wolle auch die angehende Regierung nicht antasten: folglich soll das Rentenniveau bei 48 Prozent des Durchschnittslohns festgeschrieben werden, der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen sowie das Renteneintrittsalter bis 2031 auf 67 Jahre steigen. Die Rentenversicherung könne das nur finanzieren, indem sie immer mehr Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt ins System pumpt. Seien es jetzt schon 28 Prozent bzw. mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr, müssten diese Zuschüsse im Jahr 2045 schon auf 54 Prozent des Bundeshaushalts klettern: So geht es aus einem Gutachten hervor, das der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums vorgelegt hat.

Hier werden die Ökonomen deutlich: „Ein Land, das mehr als die Hälfte seines Bundeshaushalts für die Alimentierung der Rentenbezieher verwendet, gibt seine Zukunft auf. Denn dann bleibt kein Geld mehr für dringend benötigte Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz“, schreiben sie im Kommentar.

Renteneintrittsalter rauf?

Was die Ökonomen -alle drei für eher wirtschaftsliberale Positionen bekannt- vorschlagen, um das Rentensystem zu reformieren und zukunftsfest zu machen, ist zunächst selbst wenig originell: Das Renteneintrittsalter soll rauf. So solle nach 2031 eine -Zitat- „einfache Regel“ in Kraft gesetzt werden: Die steigende Lebenserwartung der Deutschen solle ins Verhältnis 2:1 auf Lebensarbeitszeit und Ruhestand aufgeteilt werden. So bleibe das aktuelle Verhältnis gewahrt, wonach die Deutschen im Schnitt 40 Jahre arbeiten und 20 Jahre im Altersruhestand verbringen. Wenn die Lebenserwartung um ein Jahr steige, so solle das Renteneintrittsalter um acht Monate angehoben werden: die Zeit im Ruhestand steige dann um vier Monate.

Ob die Lebenserwartung tatsächlich immer weiter steigt, ist jedoch umstritten, zumal der Lebensdauer biographische Grenzen gesetzt sind. Aktuell kommen etwa 0,05 weitere Jahre pro Jahr hinzu: der Effekt, das Rentenalter nach der vorgeschlagenen Formel anzuheben, könnte gering ausfallen: und damit auch die Entlastung für die Rentenkasse. Ein Grund für die steigende Lebenserwartung ist zudem, dass die Menschen nicht mehr jung sterben: etwa durch vermeidbare Krankheiten. Auch die drei Ökonomen weisen in ihrem Kommentar darauf hin, dass in einigen Industrienationen die Lebenserwartung sogar wieder zurückgehe, etwa in den USA: „Dann würde das Renteneintrittsalter stabil bleiben oder sogar wieder sinken“, schreiben sie. Zudem solle das Rentenalter flexibilisiert werden, sodass Menschen, die länger arbeiten wollen, nicht bestraft werden: Hier bleiben die Vorschläge aber unkonkret.

weitere Reformideen

Der Klassiker „Renteneintrittsalter rauf“, bereits seit den 70er Jahren regelmäßig gefordert, ist aber nicht der einzige Reformvorschlag der Ökonomen. Zunächst fordern die Ökonomen ein weiteres Sinken des Rentenniveaus. „Die im Sondierungspapier angekündigte Festschreibung des Rentenniveaus auf mindestens 48 Prozent ist ein grober Verstoß gegen das Prinzip der Generationengerechtigkeit, das den Parteien in anderen Politikbereichen - so beim Klimaschutz - zu Recht wichtig ist“, schreiben sie. Denn die Kosten müssten die jüngeren Generationen tragen.

Ein sinkendes Rentenniveau bedeute aber nicht automatisch mehr Altersarmut - sofern nicht alle Rentnerinnen und Rentner gleichermaßen davon betroffen seien. Gerade hohe Rentenbezieher seien oft durch Betriebsrenten, Wohneigentum oder private Altersvorsorge gut abgesichert, geben die Autoren zu bedenken. Hohe Renten müssten durch eine Reform folglich stärker belastet werden als niedrigere Renten. Einen ähnlichen Vorschlag hatte vor wenigen Tagen bereits Bert Rürup in einem Kommentar für das „Handelsblatt“ gemacht. Man müsse weg vom Prinzip, dass jene, die viel einzahlen, auch deutlich mehr rausbekommen: und folglich einen sozialen Ausgleich innerhalb der Rentenversicherung schaffen. Auch deshalb, weil Geringverdiener und Menschen mit körperlich schwerer Arbeit statistisch eine geringere Lebenserwartung haben, folglich kürzer Rente beziehen.

Die Professoren greifen drei Vorschläge auf, die der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums in seinem Positionspapier präsentiert hat. Was aus dem Süddeutsche-Kommentar nicht so hervorgeht: alle drei gehören diesem Beirat auch an und haben sogar am Papier mitgewirkt:

  • Die Generationen der Erwerbstätigen und Rentner können mittels des Nachhaltigkeitsfaktors gleichmäßig belastet werden: mit einem mäßigen Anstieg des Beitragssatzes und einem mäßigen Rückgang des Rentenniveaus. Der Nachhaltigkeitsfaktor ist Teil der Rentenformel und -stark vereinfacht- bremst den Anstieg der Renten, wenn sich Demografie, Geburten und die Konjunktur zulasten der Rentenkasse entwickeln.
  • Alternativmodelle sehen vor, dass die Haltelinie nur noch für einen Teil der Renten gilt. So soll nur die anfängliche Rente mit einer Haltelinie geschützt werden, um dann die Renten nur noch mit der Inflation fortzuschreiben. Aktuell orientieren sie sich noch an der Entwicklung der Löhne. Die Renten würden weniger stark steigen: Vorbild hierfür ist das österreichische Rentenmodell. Allerdings erhalten die Österreicher im Schnitt auch höhere Renten als die Deutschen. Das Rentenniveau nach 45 Beitragsjahren liegt in Österreich bei 80 Prozent: auch, weil die Arbeitgeber beim Rentenbeitrag stärker zur Kasse gebeten werden und auch Selbstständige sowie Beamte in die Rente einzahlen. In diesem Modell werden kleinere Renten stärker gestützt als höhere, argumentieren die Ökonomen.
  • Lobend äußern sich die drei Wirtschaftswissenschaftler immerhin dazu, dass die Ampel-Koalitionäre ein zusätzliches Element der Kapitaldeckung in die Rentenversicherung integrieren wollen: auf Aktien und Fonds beruhend. Dafür sollen der Rentenkasse im kommenden Jahr einmalig zehn Milliarden Euro aus kreditfinanzierten Bundesmitteln zugeführt werden. Aber selbst wenn die Wette auf steigende Aktienkurse aufgehe, werde die Rentenkasse nur marginal und sehr langfristig durch diesen Extrastock entlastet, warnen die Ökonomen. Kurzfristig müssten die Bundeszuschüsse drastisch steigen - das Geld fehle für wichtige Investitionen.