Wie sieht in Zukunft das Verhältnis zwischen Maklern und Versicherungsgesellschaften aus? In einer 7-teiligen Kolumnenserie bewegt sich Versicherungsboten-Kolumnist Dr. Philipp Kanschik an der Schnittstelle zwischen den manchmal sehr ähnlichen, manchmal aber auch sehr gegensätzlichen Welten der Makler und Versicherer.
Kernthema der Serie ist es, gemeinsam mit dem Leser einen Perspektivwechsel zu vollziehen und sich besser in die jeweils andere Seite hineinzuversetzen. Die zweite Folge beschäftigt sich mit dem Phänomen der unterschiedlichen Betrachtung des Bestands- und Neugeschäfts.
Philipp Kanschik
Dr. Philipp Kanschik ist Geschäftsführer von Policen Direkt und dort verantwortlich für Technologieentwicklung und Maklernachfolge.
Bestand und Neugeschäft sind die beiden zentralen Umsatzquellen eines jeden Maklers und jedes Versicherers. Guter Versicherungsvertrieb kombiniert Einnahmen, die jedes Jahr wiederkehren, mit der Fähigkeit neue Kunden zu gewinnen. Die richtige Balance zwischen Bestandsarbeit und Neugeschäft zu finden ist eine Aufgabe, vor der alle Beteiligten stehen.
Was das Bestands- und Neugeschäft für Makler und Versicherer konkret bedeutet ist insofern teilweise ähnlich, teilweise jedoch auch sehr unterschiedlich – und neben den Auswirkungen der Marktkonzentration Gegenstand von Debatten und Missverständnissen zwischen beiden Parteien.
Das bedeuten Bestands- und Neugeschäft für die Makler
Das Neugeschäft ist das Salz in der Suppe für jeden Vermittler. Ein Vollzahler in der Krankenversicherung, eine schöne BU und dazu noch eine Fondspolice – an solchen Tagen knallen beim Makler mit Blick auf die nächste Courtageabrechnung die Sektkorken. Und genau darin lauert auch eine Gefahr: Wer sein Heil exzessiv im Neugeschäft sucht, verkauft oft nicht mehr bedarfsgerecht. Solche Makler strapazieren häufig ihre Stornoreserven oder wandern gar auf dem schmalen Grat zur Kriminalität – die jüngere Geschichte hält hier viele mehr oder weniger spektakuläre Fälle parat.
Der Kundenbestand dagegen ist für solide wirtschaftende Versicherungsmakler die zentrale Rechengröße. Die Bestandscourtagen spiegeln den tatsächlichen und dauerhaften Unternehmenswert wider. Behält man im Hinterkopf, dass nicht wenige Makler Einzelkämpfer sind und aus diesen laufenden Einnahmen ihre private Altersvorsorge mit Maklerrentenmodellen bestreiten wollen, gewinnen treue Bestandskunden noch einmal zusätzlich an Bedeutung. Abschlussprovisionen tragen hierzu nichts bei.
Ein solide wirtschaftender Makler deckt mit seinem Bestand seine jährlichen Kosten und kann einen ordentlichen Lebensstandard aufrechterhalten. Mit Bestandspflege im engeren Sinne lassen sich für die Makler auch zusätzliche Einnahmen generieren. Nimmt ein Makler weitere, bereits existierende Verträge seines Kunden in die Verwaltung, ist das für ihn finanziell faktisch wie Neugeschäft (insbesondere in den Sachversicherungen). Gute Bestandspflege führt zudem zu Empfehlungsgeschäft im Familien- und Freundeskreis der Kunden, deren Verträge der Makler ebenfalls in die Verwaltung nimmt. Seine Einnahmen wachsen in solchen Fällen, ohne dass mit den Kunden neue Versicherungsverträge abgeschlossen werden müssen.
Halten wir deshalb fest: bei solide aufgestellten Maklern hat die Bestandserhaltung typischerweise Vorrang; das Neugeschäft ist ein Zubrot.
Das bedeuten Bestands- und Neugeschäft für Versicherer
Für den Maklervertrieb von Versicherern ist das Neugeschäft die alles entscheidende Kennzahl. Jedes Jahr aufs Neue kommt aus der Vorstandsetage die Vorgabe, Neugeschäft von X Prozent zu erzielen. Dass der aktuelle Bestand erhalten bleibt, wird oft vorausgesetzt. Die Rechnung ist in der Regel folgende: Ergebnis nächstes Jahr = Bestand dieses Jahr plus prognostiziertes Neugeschäft.
Wird der Blick doch einmal auf die Bestände gelenkt, geht es schnell darum, Sparpotenziale zu heben. Schadenträchtige Tarifgenerationen gibt man – ohne Blick auf die Vertragsdurchdringung – durch unmäßige Prämienerhöhungen gern der Umdeckung preis oder schickt sie gleich in den Run-off. Beim prestigeträchtigen Neugeschäft treten Kostenfragen dagegen oft in den Hintergrund und eine Erkenntnis aus dem Marketing gerät in Vergessenheit: „Neukunden kosten Geld, Bestandskunden bringen Geld.“
Die Lage ist damit ähnlich wie bei den Maklern: der verlockende Blick auf das Neugeschäft kann schnell den Blick darauf vernebeln, dass die Bestandspflege der entscheidende Hebel für den langfristigen Erfolg des Versicherers ist.
Fazit:
Bestandsarbeit und Neugeschäft stellen Makler und Versicherer vor vergleichbare Abwägungsprozesse und Fallstricke. In zwei Punkten gibt es aber zwei große Unterschiede:
Erstens ist Bestandserhaltung für den Makler (wirtschaftlich) ein Selbstzweck. Bleiben die Verträge der Kunden bestehen, bleibt der Umsatz des Maklers erhalten. Für den Versicherer gilt das so nicht: sein Umsatz bleibt nur erhalten, wenn die Schadenquote nicht zu hoch ist. Existierender Bestand kann hier grundsätzlich auch zum Verlustgeschäft werden.
Zweitens kann Neugeschäft im Sinne von zusätzlichem Umsatz für den Makler de facto auch bedeuten, dass er bereits existierende Verträge von Kunden in die Verwaltung nimmt, die bislang von anderen Maklern oder Agenten verwaltet wurden. Für den Versicherer entsteht an dieser Stelle hingegen kein Neugeschäft—Neugeschäft ist zwingend an neu abgeschlossene Verträge (oder Prämienerhöhungen bestehender Verträge) gebunden.
Diese Unterschiede führen in der Kommunikation zu Missverständnissen und müssen beiden Seiten im Umgang miteinander bewusst sein—sonst redet man schnell aneinander vorbei. Das wäre schade, da für erfolgreichen Bestandserhalt und Ausbau des „Neugeschäfts“ Versicherer und Makler zusammenarbeiten und die Interessen des jeweils anderen verstehen müssen. Das wichtigste Interesse beider Seiten ist die Zufriedenheit der Kunden. Ein gut betreuter und gut abgesicherter Kunde sichert das Ergebnis und die Zukunftsfähigkeit aller beteiligten Parteien im Versicherungsvertrieb.
Nächste Woche geht es an dieser Stelle um die Frage, wie man Makler überzeugt Bestände umzudecken.