Die Ampelkoalition plant einen Kapitalstock in der gesetzlichen Rentenversicherung: Doch der reicht nicht aus, um langfristig die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung zu lösen, kritisiert Ökonom Martin Werding in einem Interview. Der Fonds müsste viel größer sein, um die Rentenkasse zu entlassen - und reiche wohl auch dann nicht allein aus.
In einem Interview mit t-online.de kritisiert Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bonn, die Rentenpläne der angehenden Ampelkoalition. Demnach reiche der geplante Kapitalstock von 10 Milliarden Euro nicht aus, um künftige Beitragszahler zu entlasten und die Finanzierungsprobleme der Zukunft zu lösen.
Zu wenig Kapitaldeckung
Werding hat im Februar selbst ein Gutachten im Auftrag der FDP-Fraktion vorgestellt, in dem er untersucht, wie die Rente zukunftsfest gemacht werden kann. Er beobachtet nun, dass im Koalitionsvertrag ein Kompromiss zwischen den Parteien umgesetzt wurde, der von der Ursprungsidee der Aktienrente abweiche. „Denn die Umlagerente, wie wir sie bisher haben, soll kaum angerührt werden. Das ist erst einmal eine schlechte Nachricht“, sagt der Forscher. Die Aktienrente -die im Koalitionsvertrag nicht explizit so genannt wird- stelle in den aktuellen Plänen nur noch ein kleines Korrektiv dar.
Der demographische Wandel bringe das Umlagesystem ganz schnell unter Druck: spätestens, wenn in drei bis vier Jahren die Babyboomer in Rente gehen, argumentiert Werding. Folglich die geburtenstarken Jahrgänge der 50er und 60er Jahre, die dazu beitragen werden, dass das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern in Zukunft sich weiter verschärfen wird. Nach Prognosen des IW Köln kommen im Jahr 2030 auf einen Rentner nur noch 1,5 Beitragszahler.
Die Folge laut Werding: Stark steigende Beitragssätze zu Lasten der Beschäftigten treffen auf ein sinkendes Rentenniveau. „Das Umlagesystem ist gestresst. Eine ordentliche Kapitaldeckung ist die einzige Alternative, damit das System nicht gänzlich aus den Fugen gerät“, sagt der Experte gegenüber t-online.de.
“Gegenwert der Rentenausgaben von zehn Tagen“
Hier würden die geplanten 10 Milliarden Euro nicht annähernd ausreichen. „Das entspricht gerade einmal dem Gegenwert der Rentenausgaben für zehn Tage. So lässt sich die Rente nicht retten“, argumentiert Werding. Demnach müsste bis 2036 ein Kapitalstock von 96 Milliarden Euro angespart werden, um die Rentenkasse wirksam zu entlasten, bereits 2022 schon 21 Milliarden Euro fließen. „Wichtig ist, ob der Bund in den Folgejahren Mittel nachlegt. Es ist auch möglich, dass man die Rentenbeiträge früher anhebt, um das System zu entlasten und den Fonds aufzubauen“, so der Ökonom.
In zehn bis 20 Jahren sei dann ein nennenswerter Effekt erreicht, in dem der angesparte Kapitalfonds einen nennenswerten Effekt auf die Zugangsrentner hätte. Bis dahin müssten sowohl die Rentenbeiträge als auch das Rentenalter angepasst werden, was die Politik aber vermeide, da Rentenanhebungen unpopulär seien. Eine Option sieht Werding darin, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln: quasi ein Automatismus, der keine ständigen Anpassungen notwendig macht.
Politik sende das falsche Signal
Aktuell sende die Politik aber das falsche Signal: ""Macht euch keine Sorgen, wenn es auf 2030 zugeht, können wir immer noch über das Rentenalter diskutieren.“ Der demographische Wandel schlage aber gnadenlos zu. Hier wünscht sich Werding mehr Aufrichtigkeit: auch, um künftige Rentnergenerationen vor negativen Überraschungen zu bewahren.
Dass Selbstständige in die Rentenversicherung geholt werden, wie die angehende Koalition beabsichtigt, begrüßt der Sozialexperte zwar, da es bei diesen Rentenlücken gebe. Er sieht hierin aber auch keinen langfristigen Entlassungseffekt für die Rentenkasse. "Zwar kommen dadurch auf einen Schlag Millionen Beitragszahler hinzu, die das Umlagesystem kurzfristig entlasten. Langfristig aber ist nichts gewonnen, denn eines Tages wollen diese Menschen ja auch eine Rente ausgezahlt bekommen."