Das Thema Arbeitssucht ist in der Gesellschaft noch ein Tabuthema. Dabei fühlen sich viele Deutsche durch ihre Arbeit gestresst. Das kann unterschiedliche Hintergründe haben. Unter anderem können die Furcht vor Misserfolg und Existenzängste arbeitssüchtig machen. Welche Rolle Arbeitssucht in der Versicherungsbranche spielt, hat sich Versicherungsfachwirtin Daniela König genauer angeschaut. Die Wirtschaftspsychologin, die beim IT-Dienstleister adesso SE als Consultant tätig ist, wird das Thema Arbeitssucht bei Versicherungsvermittlern in drei Teilen durchleuchten.
Die Droge Arbeit kostet nichts, ist leicht zu bekommen und wird durch die Gesellschaft auch noch wertgeschätzt. Das exzessive Bedürfnis nach Arbeit sowie der dauerhafte Drang und Zwang ständig arbeiten zu müssen, nehmen ein solches Ausmaß an, dass sowohl Gesundheit als auch private Beziehungen beeinträchtigt werden. Arbeitssucht ist eine stoffungebundene Sucht und die Folgen ähneln jedoch jeder stoffgebundenen Sucht. Der Psychologe Wayne Edward Oates nennt sich 1968 Workaholic, als er sich als arbeitssüchtig einstuft. Die Auseinandersetzung mit der Arbeitssucht findet in Deutschland bisher wenig Anklang, rückt jedoch stärker in den Fokus, da es bereits zahlreiche Studien gibt, die auf Erkrankungen durch Arbeitssucht zurückzuführen sind, z. B. Herz-Kreislauf-Beschwerden, Blackouts, andauernde Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen, Geschwüre, Rückenschmerzen und sogar der Tod. (Meißner, 2006) Japan hat einen eigenen Namen für den Tod durch Überarbeitung: Karoshi. Dort gibt es bereits 350 klinische Zentren für die Behandlung der Folgen durch Arbeitssucht. Nach Meinung der Anonymen Arbeitssüchtigen sind nicht nur Zwang und Drang ständig arbeiten und daran denken zu müssen Indizien für Arbeitssucht. „Auch die Arbeitsvermeidung, die Angst vor Misserfolg und der Perfektionismus gehören dazu.“ (Anonyme Arbeitssüchtige, http://www.arbeitssucht.de/allgemein-info.html)
Der hohe Anspruch an sich selbst steigert die Gefährdung der eigenen Gesundheit. In Deutschland sowie Österreich sei jeder neunte Einwohner gefährdet, arbeitssüchtig zu werden. (Auer & Höller, 2015) Die Kosten pro Fall belaufen sich auf 200.000 Euro (Meissner, 2006). So schätze die Bundesanstalt für Arbeitsmedizin 2001 die Produktionsverluste jährlich auf 44 Milliarden Euro durch Arbeitssucht. Zudem gehöre die Arbeitssucht zur viertgrößten Problematik verschiedener Suchtformen, noch vor Cannabis, Extasy, Internet- und Esssucht. Sie findet sich auf der gleichen Stufe wie die Kaufsucht und Ess- und Brechsucht. Lediglich die Alkohol- und Heroinsucht sowie Mager-, Spiel-, Tabak-, Medikamenten- und Kokainsucht sind problematischer anzusehen. (Spinatsch, 2004) Eine Stepstone-Umfrage aus 2007 hat ergeben, dass ca. 25 Prozent der befragten 21.586 Fach- und Führungskräfte Erschöpfungs-Symptomatiken aufweisen und 56 Prozent der Teilnehmer das tägliche Arbeitspensum nicht schaffen. Sie führen ihre körperlichen und psychischen Belastungssymptome auf den Arbeitsstress zurück. Dies geschieht vor allem bei immensem Leistungsdruck, Überforderung durch zu viele Aufgaben und das Missverhältnis zwischen hoher Arbeitsbelastung und mangelnder Anerkennung. Durch dieses Missverhältnis wird zudem das Risiko erhöht an einem Burnout zu erkranken. (Theisen, 2007) Fast 90 Prozent der Deutschen sind durch ihre Arbeit gestresst. Ungefähr 50 Prozent der Angestellten klagen ab und zu über Rückenschmerzen, chronische Erschöpfung, innere Spannung, Unlust und Einschlafprobleme. Fast jeder Sechste in Deutschland leide unter Rückenschmerzen oder Erschöpfung, 23 Prozent von ihnen sogar oft. Knapp 54 Prozent der Teilnehmer der Stepstone-Umfrage grübeln über ihre Arbeit und leiden unter Einschlafproblemen. (Anonymus, 2018) Das japanische Arbeitsministerium bestätigt 1990, dass Arbeitssucht zum Tod führen kann. Karoshi tritt durch Herzversagen und -infarkte oder Hirnschläge ein. Pro Jahr erkennen die Behörden dort 150 Fälle vom Tod durch Überarbeitung an. Das Karoshi–Netzwerk schätzt diese jedoch auf 10.000 jährlich. In einer Studie über Arbeitsstress geben 2.300 Unternehmen an, dass ihre Mitarbeiter zum Teil mehr als 80 Überstunden pro Monat leisten. 2015 erkennt das Arbeitsministerium 93 Fälle durch „Karojisatsu“, dem Freitod durch Arbeitsstress an.
Arbeitssucht ähnelt der Alkoholsucht und durchläuft dieselben drei Phasen. Dazu gehören die Einleitungsphase, in der die Kontrolle verloren wird, die kritische Phase, in der Betroffene gegenüber der Arbeit nicht abstinent sein können und zuletzt die chronische Phase, in welcher die Arbeitsdosis regelmäßig gesteigert wird. (Mentzel ,1979) Häufig identifizieren sich Arbeitssüchtige mit einem besonders ehrgeizigen Elternteil, schließlich hat dieser eine Vorbildfunktion. (Mentzel, 1979) Nach Rohrlich (1984) werden elf unterschiedliche Typen der Arbeitssucht beschrieben.
- Der wütende, feindselige Arbeitssüchtige nutzt die Arbeit, um seiner Wut und Frustration Herr zu werden und Projekte so schnell wie möglich zu beenden.
- Der Arbeitssüchtige aus Scham stärkt sein geringes Selbstwertgefühl durch das Erringen von Zertifikaten, Gehaltserhöhungen und Anerkennung.
- Der wetteifernde Arbeitssüchtige will um jeden Preis gewinnen und erträgt es nicht auf Platz Zwei zu sein. Der abwehrende Arbeitssüchtige will unangenehmen Gefühlen entfliehen und die einsamen Arbeitssüchtigen benötigen die Arbeit, um ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu befriedigen.
- Die Arbeitssüchtigen mit Schuldgefühlen wollen sich mit der Arbeit bestrafen. Der latent homosexuelle Arbeitssüchtige spürt seine Befriedigung, wenn er auf der Arbeit von Männern beherrscht wird.
- Die zwangsneurotischen brauchen Ordnung mit einem definierten Start und einem konkreten Ende, Freizeit ist für sie daher weder entspannend noch zufriedenstellend.
- Die passiv-abhängigen Arbeitssüchtigen fühlen sich auf der Arbeit eher zu Hause, möchten aber nie namentlich erwähnt werden.
- Die prä- oder postpsychotischen Arbeitssüchtigen werden orientierungslos ängstlich und verwirrt, sobald sie ihren Arbeitsplatz verlassen.
- Narzisstische Arbeitssüchte verbinden Erotik mit ihrer Arbeit sowie ihren Produkten und Verkäufen. Hiermit ist kein erotisches Kundengespräch gemeint, sondern im Versicherungsgeschäft lediglich der Vertrag mit einem Kunden. Sie haben einen Drang danach, in jeder Lebenslage eine kognitive Arbeitshaltung einzunehmen. Ihm geht es lediglich um Erfolge. (Rohrlich,1984)
Erklärungsansätze
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze zur Entstehung von Arbeitssucht. Einige sind vergleichbar mit der der Entstehung von stoffgebundenen Süchten. Folgende Abbildung beschreibt das Suchtdreieck mit den drei Faktoren, die bei jeder Suchtentstehung vorhanden sind. (Soyka & Küfner, 2008)
Jedes Suchtverhalten sei über klassische und operante Konditionierung wie beim pawlowschen Hund durch die Reiz-Reaktionsketten erlernbar. (Poppelreuter, 2007) „Die Zwei-Prozess-Theorie erworbener Motivation eignet sich besonders zur Erklärung von süchtigem Verhalten, […]. Bei häufiger Wiederholung eines Verstärkers nach einer Reaktion in Gegenwart eines bestimmten Kontextes (Hinweisreize) kommt es zu suchtartigem Verhalten und auch zu Toleranz- und Entzugssymptomen (z. B. jeden Morgen über Jahre Kaffee).“ (Birbaumer & Schmidt, 2010, S. 693) Ausschlaggebend sei hierfür die hedonische Qualität, welche die Dimension an Wohlgefallen, die durch den Reiz auf einer Skala Werte von „extrem lustvoll“ bis zu „völliger Unlust“ ausweist. (Birbaumer & Schmidt, 2010) Hedonismus wird in der Psychologie häufig einzig als lustvolle und egoistische Lebenseinstellung definiert. Betroffene sehen kein Problem darin, Regeln zu brechen oder sich völlig würdelos und schockierend zu verhalten. Hedonismus sei am Vergnügen orientiert, nicht an der Einschränkung von Regeln. (Markgraf & Schneider, 2018) Vergleichbar ist dies mit der operanten Konditionierung, bei der es darum geht, ein bestimmtes Verhalten durch Belohnung (Arbeit) und Bestrafung (Urlaub) einer Person zu erzielen. (Decker, 2018) Dieses endet für Betroffene in einer Zwangsstörung, bei der die Einschränkung des psychosozialen Funktionsniveaus deutlich im Vordergrund steht. Sie haben ein dauerhaftes Verlangen nach einer Tätigkeit oder einer Substanz erlernt. (Zaudig, 2011)
Befragung von 339 Versicherungsvermittlern /-innen
Im Rahmen einer Studie von Daniela König zum Zusammenhang zwischen Arbeitssucht und Erfolgsorientierung sowie Furcht vor Misserfolg, wurden 339 Versicherungsvermittler befragt, indem sie einen Online-Fragebogen anonym beantworteten. Speziell wurde gemessen, ob die Variabilität des Einkommens einen Einfluss auf die Arbeitssucht hat. Lediglich 25 (7,37 %) der Teilnehmer erhielten ausschließlich ein Fixgehalt. 29 (8,55 %) Testpersonen erhielten ein Fixgehalt und zusätzlich eine Bonifikation. 94 (27,72 %) bekamen ein Fixgehalt, Provision und Bonifikation, 122 (35,99 %) arbeiteten ausschließlich auf Provisionsbasis und 69 (20,35 %) bekamen eine Provision sowie Bonifikation. 324 (95,58 %) führten den Beruf des Versicherungsvermittlers hauptberuflich aus und 15 (4,24 %) nebenberuflich. 69 (20,35 %) der Befragten gaben an, einem zusätzlichen Nebenjob nachzugehen.
Im Rahmen der Erhebung des Konstrukts Furcht vor Misserfolg wurde ein mittlerer Wert von M = 19,27 gemessen. Das erreichbare Maximum lag auf dieser Skala bei 33 und die kleinste Ausprägung bei 5. Die Ausprägung für Furcht vor Misserfolg liegt demnach auf einem hohen Niveau und bestätigt die Annahme, dass Versicherungsvermittler /-innen durch Ängste geprägt sind. Vor allem haben sie Angst davor, dass ihr Ansehen darunter leiden könnte, wenn ihnen eine Aufgabe misslingt. Gleichzeitig stimmte der überwiegende Teil zu, sich am Riemen zu reißen, wenn jemand mal nicht ganz fit sei, damit Kollegen und Vorgesetzte nichts bemerken. Die folgende Übersicht zeigt die zu beantwortenden Fragen mit den dazugehörigen Mittelwerten.
Testergebnisse Furcht vor Misserfolg von 339 Versicherungsvermittlern
Auswertung zur Arbeitssucht
Der maximal erreichbare Wert betrug auf der Arbeitssuchtskala 20. Ja–Antworten wurden mit einem Punkt bewertet und Nein-Antworten mit Null. Zum Schluss wurden die Werte addiert. Verglichen mit dem Mittelwert (M = 5,8) der Normstichprobe, ist der Mittelwert (M = 9,18) der Gruppe Versicherungsvermittler auf der Arbeitssuchtskala fast doppelt so hoch und erreicht knapp 50 Prozent des Maximums.
SEA- Skala zur Erfassung der Arbeitsbezogenheit: Mittelwerte und Standardabweichungen (Eigene Erhebung)
Die Forschungsfrage, ob ein Zusammenhang zwischen Furcht vor Misserfolg und Arbeitssucht besteht, wird durch die Untersuchung bejaht. Erfolgsorientierung hatte im Gegenzug keine nennenswerten Auswirkungen auf die Gefahr hin, arbeitssüchtig zu werden. Im folgenden Artikel wird vermehrt auf die Existenzängste von Versicherungsvermittlern /-innen eingegangen und darauffolgend auf die Risiken für Unternehmen. Die gesamte Studie kann hier erworben werden.
Im Artikel wurde die männliche Form verwendet, um die Lesbarkeit zu vereinfachen, keines der anderen Geschlechter soll damit benachteiligt werden.
Daniela König, Versicherungsfachwirtin, Wirtschaftspsychologin (B.Sc.) & Scrum Masterin ist bereits seit 17 Jahren erfolgreich im Versicherungsvertrieb tätig, zunächst in der Ausschließlichkeit und daraufhin als Maklerbetreuerin im Innendienst bei einem Assekuradeur. Im Rahmen ihrer Studie und der täglichen Arbeit als Maklerbetreuerin, erhielt sie von Seiten vieler Versicherungsvermittler das Feedback, dass diese aufgrund von zu vielen Verwaltungsaufgaben, keine Zeit mehr für den Vertrieb haben, gestresst sind, zu viele Portale bedienen sollen und damit überfordert sind. Aus diesem Grund entschied sie sich einen neuen Weg einzuschlagen, um Versicherungsmaklern den Versicherungsvertrieb wieder zu erleichtern. Aus dieser Berufsgruppe kommend, entschied sich die Autorin von einem Assekuradeur zu adesso SE, einem führenden IT-Dienstleister, in das Team Consulting Brokerservices zu wechseln, um die Digitalisierung für Versicherungsvermittler voranzutreiben. Ihr Ziel ist es, dass Versicherungsvermittler wieder mehr Zeit für den Point of Sale haben.
Literaturverzeichnis:
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Birbaumer, N. & Schmidt, R. (1990, 1991, 1996, 1999, 2003, 2006, 2010) Biologische Psychologie, 7. überarbeitete Auflage, abgerufen m 07.06.2020 von https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-540-95938-0.pdf
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