Im Streit um die Leistungspflicht aus Betriebsschließungsversicherungen hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung getroffen - nicht zugunsten des Versicherten.
Der Bundesgerichtshof (BGH) fällte heute erstmals ein Urteil (IV ZR 144/21) im sogenannten Betriebsschließungs-Komplex. Ähnlich wie in vielen anderen Fällen, in denen um die Leistungspflicht aus den Betriebsschließungsversicherungen gestritten wird, steht die Frage im Zentrum, ob der in den Versicherungsbedingungen zugrunde liegende Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern abschließend ist oder nicht. Im vorliegenden Fall fand sich dieser Katalog in den ‚Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008 (ZBSV 08)‘.
Der BGH zitiert die betreffende Klausel auszugsweise so: § 2 Versicherte Gefahren
Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
…
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
Krankheiten: …
Krankheitserreger: …
…
Der BGH führte nun dazu aus, dass keine Ansprüche gegenüber der Versicherung bestehen, weil Covid-19 bzw. Sars-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz erfasst sei. Denn der Versicherungsschutz würde sich laut Bedingungen nur auf Betriebsschließungen beziehen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden.
Diese meldepflichtigen Krankheiten und -erreger ergeben sich aus einem Katalog, der den Versicherungsbedingungen beigefügt ist. Nach Auffassung der Richter kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer diesen Katalog nur als abschließend verstehen. Um das zu zeigen, zeichnen die BGH-Richter den Gedankengang dieser juristischen Kunstfigur nach: „Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird sich zunächst am Wortlaut orientieren und in § 2 Nr. 1 ZBSV 08 dem Klammerzusatz "(siehe Nr. 2)" hinter den Worten "meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger" entnehmen, dass die vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 näher bestimmt werden. Sodann wird er diese Klausel in den Blick nehmen und an der Überschrift "2. Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger" und der anschließenden Formulierung "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind …" erkennen, dass insoweit eine eigenständige Definition in den Bedingungen erfolgt. Die anschließende umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern wird er als abschließend erachten.“
Dass die Versicherungsbedingungen auf die „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserreger abstellen, kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer laut BGH nicht anders denn als Klarstellung verstehen, dass sich die Versicherung beim Erstellen des Katalogs inhaltlich an den genannten Paragrafen „orientiert hat“, so der BGH wörtlich. „Ein anderes Verständnis folgt auch nicht aus dem Begriff ‚namentlich‘“, meinen die Karlsruher Richter.
Damit hoben sie sich deutlich u.a. vom Landgericht München ab; dort war noch moniert worden, dass diese Klausel hätte eindeutiger formuliert werden können. „Um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen, müsste der Versicherungsnehmer letztlich die Auflistung [...] Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei intransparent“, führte das LG München seinerzeit zu dieser Klausel aus.
Eine Rechtsauffassung, die der BGH nicht teilt. Denn er führt abschließend aus, dass die Klausel auch einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB standhalte und eben nicht gegen das Transparenzgebot verstößt. Laut BGH konnte gar offenbleiben, ob die im Katalog aufgeführten Krankheiten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses identisch mit denen im Infektionsschutzgesetz genannten sind. „Auch im Falle fehlender Deckungsgleichheit ergibt sich hieraus keine Intransparenz.“