BaFin: Diese sechs Risiken bedrohen die deutsche Finanzbranche

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Die Aufsichtsbehörde BaFin hat sechs Hauptrisiken für das Jahr 2022 identifiziert, denen sie besondere Aufmerksamkeit widmen will: In der Annahme, dass diese das deutsche Finanzsystem destabilisieren können. Auch Lebensversicherer und Pensionskassen spielen hierbei eine Rolle: Der Niedrigzins wird als eines der größten finanziellen Risiken definiert, das im Zweifel die Existenz von Anbietern bedroht.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) will künftig in ihrer Arbeit Hauptrisiken für die deutsche Finanzbranche identifizieren, denen sie sich schwerpunktmäßig widmet. Risiken also, die den Finanzmarkt destabilisieren und Unternehmen in ihrer Existenz gefährden können. Sechs Stück sind es an der Zahl, die für das Jahr 2022 identifiziert wurden. Ein jährlich erscheinender Bericht soll Aufschluss darüber geben, wie die Behörde die aktuelle Risikolage einschätzt und was sie unternimmt, diese einzudämmen. Der erste Bericht ist unter „Risiken im Fokus der BaFin“ einzusehen.

“Risiken aus dem Niedrigzinsumfeld“ an erster Stelle

Dass auch die Lebensversicherer und Pensionskassen in dem Bericht eine wichtige Rolle spielen, hat gleich mit dem ersten identifizierten Problemfall zu tun. „Eines der größten finanziellen Risiken für die Finanzbranche ist das seit langem niedrige Zinsniveau, das mit einer sehr flachen Zinsstrukturkurve einhergeht“, schreibt das Institut. Flache Zinsstrukturkurve bedeutet stark vereinfacht: auch für lang laufende Anleihen sind die Zinsen im Keller, Besserung vorerst nicht in Sicht.

“Das niedrige Zinsniveau kann mittel- bis langfristig erhebliche negative Folgen für gewisse Institute und Unternehmen haben und sogar deren Existenz bedrohen“, schreibt die BaFin. Doch nicht nur das: Die Behörde sieht auch ein systemisches Risiko. Der Niedrigzins begünstige Marktübertreibungen und -Turbulenzen: stark vereinfacht Spekulationsblasen, die dann wiederum die Finanzmärkte erschüttern können. Siehe die Finanzkrise von 2008. Die BaFin spricht von „Klumpenrisiken“: stark vereinfacht, wenn sich Ausfallrisiken bei Finanzinstituten und -dienstleistern derart häufen, dass dies ihre Stabilität bedroht.

Betroffen vom dauerhaften Niedrigzins seien zunächst Unternehmen, die das Einlagen- und Kreditgeschäft betreiben: Banken, Sparkassen und Bausparkassen. „Der Zinsüberschuss macht nach wie vor einen wesentlichen Teil ihrer Erträge aus“, schreibt die Behörde. Das Auslaufen hochverzinster Aktiva treffe auf Kreditneugeschäft mit niedrigen Zinsmargen. Um also ertragreich zu wirtschaften, müssen die Banken zusätzliche Einkünfte erzielen. Sie vergeben mehr Kredite: auch solche mit hohem Ausfallrisiko und gehen insgesamt mehr Risiken ein, gibt die BaFin zu bedenken.

Lebensversicherer „stehen robust da“, aber…

“Auch Lebensversicherer stehen aufgrund des anhaltend niedrigen Zinsniveaus unter starkem Druck“, berichtet die BaFin weiter. So müssten vergleichsweise hohe Garantien, die Unternehmen in der Vergangenheit ihren Kundinnen und Kunden zugesagt haben, nun in Zeiten extrem niedriger Zinsen bedient werden. „Zwar steht die Lebensversicherungssparte aktuell überwiegend robust da. Seit geraumer Zeit werden neuartige Produkte mit reduziertem Garantieversprechen angeboten. Eine spürbare Entlastung tritt allerdings erst allmählich ein“, schreiben die Aufseher.

Die BaFin sieht aber auch ein Problem für die Verbraucher. Stark vereinfacht erhöhe der Wechsel auf ein Neugeschäft mit wenigen oder gar keinen Garantien die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen unpassende Altersvorsorge-Produkte verkauft werden: etwa solche, die unseriöse Rendite-Versprechen beinhalten oder ein hohes Ausfallrisiko haben. Hier sieht die BaFin auch den Vertrieb in der Verantwortung: „Die Vertriebsvergütung der Lebensversicherer darf dabei keine Fehlanreize setzen und die erwarteten Renditen der Kunden nicht zusätzlich schmälern“, schreibt sie.

Ein noch größeres Problem sieht die BaFin bei den Pensionskassen. Diese seien besonders vom Niedrigzins betroffen, da sie bisher ausschließlich lebenslange Renten anbieten würden: im Gegensatz zu den Lebensversicherern, die eine größere Produktpalette haben, etwa auch Berufsunfähigkeits-Policen offerieren. „Bleiben die Zinsen weiter auf dem jetzigen Niveau, werden voraussichtlich mehr Pensionskassen ihre Verpflichtungen den Versorgungsberechtigten gegenüber nur dann erfüllen können, wenn sie externe Unterstützung erhalten, etwa durch den Arbeitgeber als Träger“, warnt sie.

Immobilien: BaFin sieht systemische Risiken

Ein weiteres Risikofeld sieht die BaFin im überhitzten Immobilien-Markt, wobei hiervon sowohl Wohnimmobilien als auch Immobilien fürs Gewerbe betroffen sind. Diese stellen sogar ein systemisches Risiko dar. Bei Wohnimmobilien steigen seit 2010 die Preise stetig, daran habe auch die Corona-Pandemie nichts geändert. Die Preise hätten sich vom Einkommen der Mieter sowie anderen ökonomischen Parametern abgekoppelt. Das Wort „Immobilienblase“ verwendet die BaFin zwar nicht, warnt aber indirekt davor, wenn sie schreibt: „Nach Beobachtungen der Deutschen Bundesbank sind die Werte von Wohnimmobilien mittlerweile um 20 bis 35 Prozent überbewertet, und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern landesweit“.

Zugleich seien mit den hohen Preisen die Volumina der Wohnimmobilienkredite extrem angewachsen: bundesweit auf circa 1,6 Billionen Euro. Immer häufiger sei der Erwerb eines Hauses bzw. einer Wohnung nur mit Fremdkapital möglich. Können Schulden und Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden, etwa aufgrund einer schlechten Konjunktur, könnte das sowohl die Hausbauer und Banken, aber auch die Wohnungswirtschaft in Schwierigkeiten bringen, warnt die BaFin.

Ähnlich gestaltet sich die Situation bei Gewerbeimmobilien. Der Nachfrage sei hoch, das Angebot knapp, Mieten und Preise hätten sich auseinanderentwickelt: Was bedeute, dass die Renditen, die aus Mieten erzielt werden können, auf historische Niedrigwerte reduziert. Zwar könnte die Covid-Pandemie zu einem Sinken der Nachfrage führen: aber auch hier seien die Preise für das Gewerbe während Corona weiter gestiegen. Die BaFin sieht die Gefahr einer Marktverwerfung, wovon auch die Versicherer direkt betroffen wären. „Deutsche Banken, Versicherer und Kapitalanlagegesellschaften sind an den deutschen und internationalen Gewerbeimmobilienmärkten in verschiedenen Rollen aktiv: als Kreditgeber und als Investoren in direkte oder indirekte Immobilienanlagen“, schreibt die BaFin. Immobilien würden mittlerweile einen signifikanten Anteil an den Vermögenswerten einiger Finanzunternehmen ausmachen. Klumpenrisiken und internationale Abhängigkeiten könnten hier die Gefahr bergen, dass der gesamte Finanzsektor von Preisabschwüngen betroffen sei.

3. Risiken aus signifikanten Korrekturen an den internationalen Finanzmärkten

Auch das dritte identifizierte Risiko beträfe die Versicherer direkt: als Investoren ebenso wie die Rolle vieler Versicherer als Aktiengesellschaften. Stark vereinfacht fürchtet die BaFin Verwerfungen an den Finanzmärkten. „Die derzeitige Gemengelage an den internationalen Kapitalmärkten bietet das Potenzial für signifikante Korrekturen: Da wären einerseits die historisch niedrigen Zinsen und entsprechend günstige Refinanzierungsbedingungen und andererseits die wachsende Wahrscheinlichkeit von Zinserhöhungen“, schreibt sie. Ein Problem hierbei sei, dass viele Unternehmen hoch verschuldet seien. Steigende Zinsen, eine hohe Inflation sowie die unsichere geopolitische Lage aufgrund des Krieges in der Ukraine könnten hier zu Verwerfungen führen.

Zudem macht die BaFin darauf aufmerksam, dass viele institutionelle Anleger, aber auch private Akteure, weit mehr Risiko eingehen, um Rendite zu erzielen: auch deshalb, weil mit vermeintlich sicheren, zinsabhängigen Papieren wie Anleihen kaum noch Rendite erzielt werden kann. Insbesondere bei Schuldpapieren würden höhere Risiken in Kauf genommen, etwa in High-Yield-Anleihen investiert: stark vereinfacht sind das Kreditpapiere mit schlechter Bonität und hohem Ausfallrisiko. Auch wenn die BaFin das nicht direkt benennt, werden hier Parallelen zur Finanzkrise 2007/08 deutlich. Auch damals sah sich die Finanzbranche mit drastischen Zahlungsausfällen konfrontiert, weil schlechte Risiken gebündelt und weiterverkauft wurden.

Die mögliche Folge: Kursrückgänge und Ausfälle von Vermögenswerten an den internationalen Finanzmärkten, wovon auch die Versicherer als institutionelle Investoren direkt betroffen wären. „Sicherheiten, die im Rahmen von Kredit- und Derivatebeziehungen gestellt werden, verlören an Wert, es müssten Nachschüsse gefordert bzw. geleistet werden. Die Neubewertung von Risiken könnte auch in weiteren Assetklassen einen Verkaufsdruck auslösen“, schreibt die BaFin. Auch das Neugeschäft bei Finanzmarktprodukten dürfte leiden. Da sich die Kreditvergabe in letzter Zeit zudem weg von Banken bewege, verlagern sich die Risiken aus Krediten zudem auf einen Bereich, auf den die Finanzaufsicht keinen Zugriff habe.

Weitere von der BaFin identifizierte Risiken:

  • Risiken aus dem Ausfall von Unternehmenskrediten: Auch dank der Corona-Pandemie rechnet die BaFin vermehrt mit Kreditausfällen, weil Unternehmen ihre Schulden nicht mehr bezahlen können. Dies träfe vor allem die Kreditinstitute, die Kredite an Unternehmen aus Branchen vergeben haben, die sehr stark unter den Folgen der COVID-19-Pandemie leiden. Zwar sei eine Insolvenzwelle bisher ausgeblieben: aber Entwarnung will die BaFin nicht geben.
  • Cyberrisiken: Laut BaFin ist der Finanzsektor besonders stark von einer funktionierenden IT abhängig. Das mache ihn verwundbar: Die Unternehmen seien der Gefahr von externen und internen IT-Sicherheitsvorfällen ausgesetzt. Das Schadenpotential sei hoch und die Risiken könnten noch zunehmen.
  • Risiken aus unzureichender Geldwäscheprävention: Die Erste Nationale Risikoanalyse 2018/2019 der Bundesregierung habe die Bedrohung durch Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung für Deutschland als mittelhoch eingestuft, was der zweithöchsten Stufe der Bewertungsskala entspreche.