Das Karfreitagsgefecht 2010 stellt eine Zäsur für die Bundeswehr dar. Doch wie steht es um das öffentliche Gedenken an das Karfreitagsgefecht? Und wie gehen Veteranen damit um?
Afghanistan 2010: Am 02. April gerieten deutsche Fallschirmjäger in einen Hinterhalt als sie nach einer abgestürzten Drohne suchten und Sprengfallen aufklären sollten. Aus mehreren Richtungen wurden die Fallschirmjäger angegriffen - es kam zu einem Feuergefecht, das insgesamt etwa neun Stunden andauerte. In dessen Verlauf wurde ein gepanzertes Fahrzeug der Bundeswehr - ein ‚Dingo‘ - mit einer ferngezündeten Sprengfalle angegriffen und verletzte Soldaten mussten von amerikanischen Black-Hawk-Hubschraubern unter Beschuss evakuiert werden. Traurige Bilanz für Bundeswehr: Hauptfeldwebel Nils Bruns (35 Jahre), Stabsgefreiter Robert Hartert (25) und Hauptgefreiter Martin Augustyniak (28) fielen im Karfreitagsgefecht. Es gab mehrere Schwerverletzte und Verwundete.
Als die Bundeswehr 2013 Kundus verließ, sagte der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU): „Kundus, das ist für uns der Ort, an dem die Bundeswehr zum ersten Mal gekämpft hat, lernen musste, zu kämpfen. Das war eine Zäsur – nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für die deutsche Gesellschaft.“ Kaum ein anderer Ort hätte die Truppe mehr geprägt: „Hier wurde aufgebaut und gekämpft, geweint und getröstet, getötet und gefallen.“ Kundus werde für immer „Teil unseres gemeinsamen Gedächtnisses bleiben“, so der damalige Minister.
‚Gemeinsames Gedächtnis‘ mit Schwierigkeiten
Mit welchen Schwierigkeiten dieses ‚gemeinsame Gedächtnis‘ allerdings zu kämpfen hat, wird deutlich, wenn man sich die Ereignisse nach dem Karfreitagsgefecht vergegenwärtigt. Noch 2010 gelang es Kameraden der Gefallenen, das Wrack des angesprengten ‚Dingo‘ zu bergen und wieder in Besitz zu nehmen. Das ausgebrannte Fahrzeug wurde zwischenzeitlich von Taliban für Propaganda-Zwecke genutzt und war auch in einigen Videos zu sehen. Die Fallschirmjäger präsentierten gemeinsam mit dem Wrack ein Transparent, das die Namen der Gefallenen zeigte und den Spruch ‚Treue um Treue‘.
Doch 2014 verbot der damalige Heeresinspekteur Bruno Kasdorff der Bundeswehr, den Spruch ‚Treue um Treue‘ zu nutzen. Begründung: „Es ist davon auszugehen, dass seine Verwendung in der Bundeswehr und insbesondere bei den Fallschirmjägern in der öffentlichen Wahrnehmung auch als Bekenntnis zu einer Traditionslinie Wehrmacht – Bundeswehr aufgefasst wird.“
Bei nicht wenigen Veteranen sorgte das für Unverständnis. So schildert der ehemalige Fallschirmjäger und Afghanistan-Veteran Johannes Clair, dass ‚Treue um Treue‘ fester Bestandteil der Einsatz-Ansprachen in Afghanistan war. In einem Beitrag für das Magazin des Reservistenverbands der Bundeswehr schreibt Clair: „Weder die Bundeswehr, noch die politisch Verantwortlichen in Ministerium und Bundestag schaffen es im Moment, den Soldaten ein modernes Selbstbild zu vermitteln. Es müsste ein Selbstbild sein, das sowohl mit den Aufträgen der Bundeswehr als Instrument der Außenpolitik als auch unseren gesellschaftlichen Werten Schritt halten kann.“ Dass dieser Beitrag bereits zwei Jahre alt ist, merkt man ihm nicht an. Clair schreibt, dass ein gewisses Pathos beim Bewältigen schwieriger Situationen helfen könne. „Aber Pathos muss richtig dosiert und vor allem von einer klaren Verbundenheit zu bestimmten Werten getragen und durch Rituale verfestigt werden“, so Clair. Die Motive dafür müsse die Politik liefern, fordert er ein.
Ist also gar nichts geschehen, um das Andenken an die Gefallenen wach zu halten? Das lässt sich so auch nicht sagen: Familie, Freunde und Kameraden von Martin Augustyniak setzten sich dafür ein, dass ein Gedenkplatz in Bielefeld, der Heimatstadt von Augustyniak, entsteht. Unterstützung für das Vorhaben fanden die Initiatoren u.a. beim Reservistenverband der Bundeswehr und dem Verein 'Veteranenkultur'. Beide setzten sich auch für die Schaffung einer Erinnerungsstätte ein. Seit November 2014 gibt es offiziell den ‚Wald der Erinnerung‘. Auch die Idee zu diesem Ort stammt ursprünglich von Hinterbliebenen.
Doch trotz dieser Bemühungen gibt es keinen offiziellen Veteranengedenktag in Deutschland. Für Veteranen keine leichte Situation: „Jahrelang hatte ich das Gefühl, ich säße mit meinem Afghanistan-Thema alleine da. Wen interessierte das schon: Bundeswehr, Hindukusch, die ollen Kamellen von gestern? Wozu noch ewig nachfragen, nachlesen und nachdenken? Man will sich damit auch im Freundeskreis nicht aufdrängen. Die Zeit ist bei niemandem stehen geblieben, jeder hat seine eigenen Sorgen. Ich verstehe das und halte mich zurück.“ Diese Zeilen stammen vom Afghanistan-Veteran Wolf Gregis. Auch er hoffte auf einen offiziellen Veteranengedenktag - den es bis heute nicht gibt.
Gregis setzte so fort: „Seit Freitag bin ich mir nicht mehr sicher, ob es so einen offiziellen Tag wirklich braucht, wenn etwas wie 11K3 ‚von unten‘ und aus der Mitte heraus gestemmt werden kann. Ohne minutiöse Anleitung, ohne zentrale Führung, nur durch individuelles Handeln. Nicht einer hat‘s vollbracht, nur zusammen entsteht so etwas Kraftvolles. Der Gedanke gefällt mir fast noch besser.“ Mit ‚11K3‘ ist ein Spendenlauf gemeint, der von ehemaligen Bundeswehrangehörigen ins Leben gerufen wurde und speziell dem Andenken der Gefallenen vom Karfreitagsgefecht gewidmet ist. Der nächste Spendenlauf - 12K3 - findet am 02. April 2022 statt.
Lesetipp: Sonderdruck der Bundeswehr zum Karfreitagsgefecht; verfasst von Major Chris Helmecke M.A., Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Triggerwarnung: Der Text kann bei Betroffenen das Wiedererleben der traumatischen Ereignisse auslösen.)