Einsatzveteranen der Bundeswehr vermissen Rituale, Anerkennung und öffentliche Erinnerungskultur. Wie die Gesellschaft mit diesem Anliegen umgeht, ist Thema einer politischen Bildungsveranstaltung in Köln.
Wer eine militärische Laufbahn einschlägt, ist von Beginn an mit Ritualen konfrontiert. Neben dem Aufnahme-Ritual, dem feierlichen Gelöbnis, werden täglich Appelle und Übungen vollzogen; Verhaltensweisen einstudiert. Solche einstudierten Verhaltensweisen sollen helfen, dass die Soldatinnen und Soldaten auch im Ernstfall ‚funktionieren‘ und ihre Aufgaben erledigen.
Auch der Große Zapfenstreich, mit dem das Ende des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr begangen wurde, ist als ein solches Ritual zu verstehen. Damit sollten die rund 160.000 deutschen Streitkräfte, die am Hindukusch dienten, geehrt werden. Auch den 59 Gefallenen soll mit dem Großen Zapfenstreich gedacht werden.
Die Theologin Karen O’Donnell (Durham University) sieht in solchen Ritualen die Möglichkeit, sich besser von der erlebten Extremsituation zu lösen. Sie schreibt in einem Aufsatz: „Eine ritualisierte Heimkehr, die sich gegebenenfalls auf Glaubenspraktiken stützt, könnte helfen, die Heilung von PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) zu fördern.“ Der deutsche Einsatz-Veteran Johannes Clair dazu: „Es geht also letztendlich auch um seelische Gesundheit, wenn Soldaten über Symbole und Rituale emotional abgeholt und unterstützt werden.“
Doch ‚reicht‘ dazu der Große Zapfenstreich? Immerhin sahen etwa 1,9 Millionen Menschen in Deutschland die Live-Übertragung an. Soviel Aufmerksamkeit bekommt die Bundeswehr eher selten. Allerdings wurde die Live-Übertragung nicht nur positiv aufgenommen. Stellvertretend für die kritischen Stimmen sei Christian Ströbele, ehemaliger Bundestagsabgeordnete der Grünen, zitiert: „Was soll das militaristische Ritual aus Preußen und NS-Zeit. In dem Krieg starben über 175.000 Menschen - meist Zivilisten. Nichts ist gut in Afghanistan. Was gibts da zu feiern.“
Wie wirken solche Äußerungen auf Soldatinnen und Soldaten im Einsatz oder Veteranen? Und wie gelangt man von der Forderung nach Veteranenkultur zur Förderung einer solchen? Diesen Fragen will sich eine gemeinsame Veranstaltung vom Friedensbildungswerk Köln, der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner Gruppe Köln und Verein Veteranenkultur widmen.
Dafür ist u.a. der deutsche Afghanistan-Veteran Wolf Gregis eingeladen, um Auszüge aus seinem Roman ‚Sandseele‘ vorzulesen. Gregis absolvierte eine Offiziersausbildung bei der Bundeswehr und diente 2008/2009 im Auslandseinsatz in Mazar-e-Sharif und Kabul, Afghanistan. Er studierte Germanistik, Geschichte, Bildungswissenschaften und Sprachliche Kommunikation und Kommunikationsstörungen in Rostock. Außerdem ist er Redakteur der „Risse“, einer Zeitschrift für Literatur in Mecklenburg-Vorpommern. Für die Arbeit an seinem Debütroman erhielt er 2020 Literaturstipendium der Hanse- und Universitätsstadt Rostock.
Ergänzend trägt der Historiker Christoph Regulski aus seinen Arbeiten vor, die sich dem Umgang der Weimarer Republik mit Kriegsveteranen des 1. Weltkriegs widmen. Im Anschluss soll offen über den Umgang mit Veteranen in Deutschland diskutiert werden.
Die Veranstaltung findet am 06. April 2022 19 Uhr in der Luther Kirche der Kölner Südstadt statt. Der Eintritt ist frei; eine Anmeldung per Mail allerdings erforderlich.