Der Analyst Hermann Weinmann kritisiert in einem Interview die Kostentransparenz der Lebensversicherer: und fordert eine andere Aufsichtspraxis. Statt die Kunden mit Produktinformationen zu überhäufen, müsse schon bei Produktgestaltung und Kalkulation die Finanzaufsicht eingreifen.
Hermann Weinmann ist Versicherungsmathematiker und Professor an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein: bekannt für seine jährlich erscheinenden Bilanzanalysen deutscher Lebensversicherer. In einem Interview mit dem „Manager Magazin“ hat sich Weinmann nun zum Vorwurf an die Lebensversicherer geäußert, dass sich zu hohe Effektivkosten hätten - und damit die Lukrativität der Verträge zulasten der Sparer schmälern. Die Kritik kam nicht von irgendwem, sondern von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin): Sie hatte anlässlich einer Studie die hohen Kosten der Altersvorsorge-Verträge bemängelt.
BaFin-Studie ist „Hammer“: und Kampfansage an Branche?
Weinmann nennt die Ergebnisse der Studie einen „Hammer“: Er wertet sie als „Kampfansage an die Branche“. Schon deshalb, weil die BaFin bereits mit dem Titel einen vermeintlichen Missstand direkt ansprechen. „Wenn Lebensversicherungen zu viel kosten“, so lautet die Überschrift der BaFin-Analyse.
Doch einen direkten Imageschaden sieht der Analyst durch die BaFin-Studie nicht. „Es gibt viele Vorwürfe gegen die Lebensversicherung, aber betrachtet man die Geschäftsentwicklung im Zeitablauf, dann können wir nicht erkennen, dass diese das Geschäft nennenswert beeinträchtigen und die Kunden sich abwenden“, sagt er. So sei gerade der Erfolg des Geschäftsmodells ein Grund, weshalb zu dubiosen Praktiken wie überhöhten Kosten gegriffen werde. Direkte Zahlen nennt er nicht: aber rechnet man die Allianz als Platzhirsch der Branche heraus, die ihr Neugeschäft aus strategischen Gründen herunterfuhr, konnten die Lebensversicherer ihr Neugeschäft 2021 um durchschnittlich 6,0 Prozent steigern.
Aber: „Der Geschäftserfolg könnte deutlich größer sein, wenn Image und Reputation in der Öffentlichkeit zukünftig auf einen Stand gebracht würden, wie es sich für eine systemrelevante Anbieterbranche von Produkten der Daseinsvorsorge gehört“, gibt Weinmann zu bedenken. Er sieht das Imageproblem der Branche folglich zum Teil hausgemacht.
Die Sache mit den Effektivkosten
Besonders hohe Kosten hat die BaFin bei Fondspolicen identifiziert, die sich speziell im Neugeschäft der Versicherer großer Popularität erfreuen. 545.000 „reine“ fondsgebundene Lebensversicherungen wurden 2021 nach GDV-Zahlen abgesetzt, während den Großteil des Neuabsatzes Mischformen mit eingeschränkten Garantien ausmachen: auf sie entfielen 1,522 Millionen Verträge. Doch auch die beinhalten einen Fonds-Baustein. Bei fondsgebundenen Produkten hatte die BaFin gewichtete Effektivkosten zwischen 1,1 und 2,7 Prozent ausgemacht: abhängig von der Ansparphase. Je kürzer ein Vertrag läuft, desto höhere Effektivkosten werden in der Regel berechnet.
Stark vereinfacht geben Effektivkosten an, um welchen Prozentsatz sich die Rendite eines Vertrages aufgrund der Kosten voraussichtlich mindert: eine kalkulatorische Größe. „Ob eine Police teuer oder zu teuer ist, zeigt sich besser anhand der ausgewiesenen absoluten Euro-Beträge, die nach der Informationsverordnung ebenfalls dem Kunden offengelegt werden müssen“, erklärt Weinmann. Entscheidend für den späteren Erfolg seien die tatsächlich realisierten Kosten. „Und wenn dann Jahr für Jahr über alle Produkte hinweg bis zu fünfundzwanzig Prozent der Versichertenbeiträge für Kosten anfallen, wie bei einigen Lebensversicherern, dann ist das diskussionswürdig“.
Auch wenn man nicht alle Versicherer über einen Kamm scheren könne, würden hier einige Versicherer die Wohlverhaltenspflichten verletzen, wonach bei Altersvorsorge-Produkten auf ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis zu achten sei. So stellte die BaFin bei einem Teil der Anbieter Effektivkosten von vier Prozent und mehr fest. Tatsächlich hat auch die Finanzaufsicht Zweifel an der Angemessenheit mancher Altersvorsorge-Produkte geäußert: und durch die Blume argumentiert, dass es einige der Angebote gar nicht geben dürfte, wenn man das Kundeninteresse im Blick hat. Eigentlich ist genau diese BaFin dafür zuständig, zu beaufsichtigen, dass Wohlverhaltensregeln eingehalten werden. Um solche Auswüchse bei den Kosten zu verhindern, fehle der Bafin offenbar die Handhabe, beobachtet Weinmann. Er rechnet nach der Studie mit einer strengeren Aufsicht.
Versicherer über Kickback-Zahlungen an Vermittler nur zum Teil im Bilde
Eine Ursache, weshalb gerade Fondspolicen höhere Kosten haben, könnten Kickback-Zahlungen sein: Sie werden von den Fondsgesellschaften an Versicherer und Vermittler gezahlt. Dahinter steckt also eine Art Provision, dass bestimmte Fonds vermittelt und gehalten werden. Lebensversicherer beteiligen ihre Kundinnen und Kunden zum Teil daran: „im Schnitt schreiben die Versicherer etwa die Hälfte dieser Kickbacks den Kunden gut“, so Weinmann.
Was ihn aber aus seinem Traum von der makellosen Lebensversicherung gerissen habe, sei die Tatsache, „dass diese Kickbacks laut Bafin zu einem Fünftel direkt bei den Vermittlern landen und der Lebensversicherer über die konkrete Höhe in vielen Fällen nicht Bescheid weiß“. Auch das sei ein „Hammer“, weil die Befürchtung auf der Hand liege, dass die Vermittler dann die Fonds mit den höchsten Rückvergütungen empfehlen, was die Rendite der Verträge weiter mindere. Die Produktgeber seien zu sehr auf ihr Eigeninteresse und ihr Absatzvolumen bedacht: Was einer Kostenbegrenzung entgehen stünde, zumal hohe Provisionen an Vermittler gezahlt werden müssten.
Einige "Gefälligkeitsrechner" in der Branche?
Weinmann sieht den Versuch gescheitert, Kundinnen und Kunden ausreichend mit Produkt- und Basisinformationsblättern zu informieren. Schon viele Vermittler seien mit diesem „Dschungel“ an Informationen überfordert. "Die traurige Erkenntnis lautet: Information schlägt Verständnis tot“, so sein Fazit. Er sagt: „Die Schimäre Informationsverpflichtung muss abgelöst werden durch eine neue einfachere Regulatorik, die bereits bei den Produkten und einer fairen Kalkulation der Policen ansetzt. Die Aktuare waren früher die "Rechenknechte". Heute fühlen sie sich als Bilanzherren, die nicht nur die Verpflichtungen der Versicherer berechnen, sondern sich auch als Meister der Kapitalanlage verstehen“. Einige unter ihnen seien aber mittlerweile "Gefälligkeitsrechner", die sich einer zweifelhaften Geschäftspolitik unterwerfen würden. „Nur Verbindlichkeit hilft, und diese liegt nicht in der Verantwortung der Bafin, sondern der Politik“.
Auch Vermittler seien bei der Betreuung von Fondspolicen in der Pflicht: indem er den Kunden mit einem regelmäßigen Monitoring seiner Fondsanlagen unterstützt. Aufgrund des höheren Aufwands sei es sinnvoll, die Abschlussprovision durch eine fortlaufende Betreuungsprovision zu ersetzen, empfiehlt der Mathematiker.