Die Verbraucherzentrale Hamburg sieht es kritisch, dass immer mehr Lebensversicherer ihre Altverträge an Run-off-Gesellschaften abstoßen. Die Verbraucherschützer fordern erneut ein Sonderkündigungsrecht für betroffene Sparerinnen und Sparer: Storno-, Vertriebs- und Abschlusskosten sollen die Versicherten dabei zurückerhalten.
Immer mehr Lebensversicherer gehen dazu über, hochverzinste Altverträge in der Lebensversicherung an externe Run-off-Spezialisten abzustoßen. Nachdem die Generali den Anfang machte und rund vier Millionen Leben-Verträge an Viridium verkaufte, zogen andere Versicherer nach. Zuletzt sorgte für Schlagzeilen, dass sich die Zurich Deutschland von rund 720.000 Verträgen trennen will. Auch hier gegen die Policen an den Abwicklungs-Spezialisten Viridium.
Das ruft nun die Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH) auf den Plan. „Lebensversicherungen auf der Resterampe“ ist ein Artikel beschrieben, der sich mit den jüngsten Vorgängen bei der Zurich beschäftigt. Und die Hansestädter lassen keinen Zweifel daran, dass sie es sehr kritisch bewerten, wenn Versicherer ihre Bestände an externe Versicherer abstoßen. Sie haben deshalb bereits 2019 einen Forderungskatalog vorgelegt. Prominenteste Forderung hierbei: Die Verbraucher sollen ein Sonderkündigungsrecht erhalten, wenn der Versicherer den eigenen Vertrag abstößt.
“Investoren wollen Geld verdienen“
Die Verbraucherzentrale erklärt in dem Beitrag, der auch an Kundinnen und Kunden der Leben-Verträge gerichtet ist, zunächst die Hintergründe. Stark vereinfacht: in Zeiten niedriger Zinsen können die Garantien klassischer Verträge kaum noch erwirtschaftet werden, zudem müssen sie mit hohen Rücklagen unterfüttert werden. Das bringt Bewegung in den Markt.
“Verkäufe, Fusionen und Übernahmen sind an der Tagesordnung. So lassen sich schnell Personal- und Verwaltungskosten sparen. Im Gegenzug leidet der Service und Arbeitsplätze gehen verloren. Die neuen Eigentümer der Versicherungssparten sind oft Finanzinvestoren, die auf eine schlanke Organisation und eine leistungsstarke IT im Hintergrund setzen – und Kostenvorteile durch den Wegfall des Neugeschäfts“, schreiben die Hamburger.
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher würden sich angesichts der Situation fragen, wie es um die Rendite ihrer Verträge steht und wie sicher ihr Geld überhaupt noch ist. Hier räumt die Verbraucherzentrale zunächst ein, dass die Kundinnen und Kunden zunächst Vorteile davon erfahren könnten. Werden durch weniger Personal und eine schlankere IT Kostenvorteile erzielt, sei auch mit höheren Überschüssen zu rechnen, an denen die Sparenden beteiligt werden müssen.
“Doch Investoren wollen vor allem eines: Geld verdienen. Und so befürchten wir, dass sie das Geld lieber in die eigene Tasche stecken und die Versicherten am Ende in die Röhre gucken. Es kann natürlich auch ganz anders kommen“, heißt es durchaus polemisch. Betroffene sollten daher ihre Standmitteilungen genau prüfen, so der Rat. Die garantierte Versicherungssumme bzw. Rente und bereits zugeteilte Überschüsse dürfen nicht reduziert werden.
Sonderkündigungsrecht: und andere Forderungen
Bereits, als die Generali Millionen Altverträge abstieß, hat die Verbraucherzentrale Hamburg 2019 einen Forderungskatalog vorgelegt. Die wichtigste Maßnahme: Sie tritt für ein Sonderkündigungsrecht ein, falls Versicherer ihre Leben-Altverträge abstoßen. Da den Kundinnen und Kunden daraus möglichst keine Nachteile entstehen sollen, ist dieses vorgeschlagene Sonderkündigungsrecht in seiner Ausgestaltung eher mit dem Rückabwicklungs-Joker vergleichbar.
Die Verbraucher sollen ein Sonderkündigungsrecht erhalten, „bei dem der Versicherer keinen Stornoabzug erheben darf und schon gezahlte Abschluss- und Vertriebskosten auf ausstehende Prämienzahlungen zurück erstattet“, schreibt der Verband. Eine weitere Forderung: bei den Kostenüberschüssen sollen mindestens 90 Prozent an die Versicherungsnehmer fließen.
weitere Forderung: längere Nachhaftung bei Gewinnabführungsverträgen
Ein Dorn im Auge sind der Verbraucherzentrale auch Gewinnabführungsverträge: zumindest in der derzeitigen Ausgestaltung. Viele Lebensversicherer geben einen Teil ihrer Gelder an die Konzernmutter ab: Gelder, die dann den Überschuss zum Nachteil der Sparenden mindern. Das ist den Lebensversicherern selbst dann erlaubt, wenn sie die Überschussbeteiligung nach dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) beschneiden, sofern sie eine Aktiengesellschaft sind. Im Gegenzug verpflichtet sich die Konzernmutter, etwaige Verluste des Lebensversicherers auszugleichen.
Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofes können Gläubiger jedoch nur Ansprüche geltend machen, die fünf Jahre nach Beendigung des Gewinnabführungsvertrages im Handelsregister anfällig werden, bemängelt die Verbraucherzentrale. Zu kurz aus Sicht der Verbraucherschützer. „Im Falle des Eigentümerwechsels eines im Run-off befindlichen Lebensversicherers müssen die an die Konzernmutter abgeflossenen Gewinne zeitlich unbegrenzt für die Nachhaftung zur Verfügung stehen“, fordern deshalb die Hanseaten.
Zudem solle in den ersten fünf bis zehn Jahren nach Eigentümerwechsel eine Interessenvertretung etabliert werden, die Interessen der Sparenden vertreten kann.
Auch Makler sehen externen Run-off kritisch
Dass ein externen Run-off auch innerhalb der Versicherungsbranche auf Kritik stößt, zeigt eine Umfrage unter rund 7.000 Versicherungsmaklerinnen und -maklern aus dem Jahr 2019. 75 Prozent der Makler vertrauen den Gesellschaften nicht, die sich auf die Abwicklung von Beständen spezialisiert haben. Sie seien in jedem Fall weniger leistungsfähig als aktiv gemanagte Lebensversicherer, so die Begründung. Auch befürchten die Befragten, dass zukünftige Zinsgewinne den Policen weniger aktiv zugeteilt werden. Mehr als jeder zweite Makler (54 Prozent) würde zu einem Wechsel des Versicherers raten, wenn die Mandanten über den vollen angesparten Vertragswert frei verfügen könnten.
Ob Kundinnen und Kunden durch den externen Run-off tatsächlich Nachteile entstehen, wird kontrovers diskutiert. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat wiederholt betont, dass sie die Transaktionen streng prüft - und auch überwacht, dass den Vertragsinhabern keine Nachteile entstehen. Und während die Beschwerdestatistik der BaFin durchweg von Run-off-Versicherern angeführt wird, sind es einige Branchenführer unter den Abwicklern, die mit Blick auf Beschwerden sogar unter dem Marktschnitt landen.