Vor zwei Jahren beklagte die Verbraucherzentrale Hamburg, dass Empfänger von Krankengeld Schikanen und Kontrollanrufen ausgesetzt seien: Die Bundesregierung reagierte mit einer Gesetzesänderung. Dennoch habe sich an der Praxis wenig geändert. Noch immer würden Erkrankte teils aggressive Kontrollanrufe erhalten, damit sie schnell in die Arbeit zurückkehren.
Gesetzliche Krankenkassen versuchen nach wie vor, sensible Informationen von Patientinnen und Patienten zu sammeln, die Krankengeld beziehen. Dabei schrecken sie auch vor teils aggressiven Kontrollanrufen nicht zurück. Das berichtet aktuell die Verbraucherzentrale Hamburg, die diese Praxis bereits im Januar 2020 scharf angeprangert hatte.
Kassen zahlten 2021 mehr als 16,6 Milliarden Euro für Krankengeld
Das Ziel der Krankenkassen: Geld sparen. Denn die Kassen müssen Langzeit-Erkrankten einen Teil des Einkommens als Krankengeld weiterzahlen, in der Regel ab der sechsten Woche. 70 Prozent des Bruttogehalts bis höchstens 90 Prozent des Nettoeinkommens muss der Versicherer dann übernehmen. Hierfür müssen die Betroffenen der Krankenkasse und dem Arbeitgeber lückenlos ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen.
16,612 Milliarden Euro gaben die gesetzlichen Versicherer 2021 für Krankengeld aus, so geht aus Daten des Bundesgesundheitsministeriums hervor. Es ist der viertteuerste Posten nach Krankenhaus-Behandlungen (85,128 Milliarden), Arzneimitteln (46,653 Milliarden) und ärztlichen Behandlungen (44,823 Milliarden). So besteht der Verdacht, dass die Krankenkassen die Betroffenen um das Krankengeld bringen wollen — mit juristischen Tricks und Feinheiten.
Hierbei machen sich die Krankenkassen die sogenannte Mitwirkungspflicht zunutze. Sind zum Beispiel Daten lückenhaft, müssen Erkrankte Informationen übermitteln, die dazu benötigt werden, den Krankengeld-Anspruch zu prüfen. Bei fehlenden Angaben kann das Geld entsprechend verweigert werden. So wird nach Wegen gesucht, das Krankengeld nicht zahlen zu müssen.
Gesetz setzt engere Grenzen
Die Verbraucherzentrale zeigt sich überrascht, dass die Praxis nach wie vor anhält. Denn seit dem 19. Juli 2021 gibt es für die Krankenkassen engere Grenzen, wenn sie Daten zum Krankenstatus abfragen wollen. Da trat das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ in Kraft. Krankenkassen dürfen laut Gesetz nun Informationen ausschließlich per Brief oder E-Mail einholen. Nur wenn Versicherte einer telefonischen Kontaktaufnahme zuvor schriftlich zugestimmt haben, sind auch Telefonate erlaubt.
„Nach unserer Wahrnehmung lassen die Kassen aber wenig unversucht, um Versicherte ans Telefon zu bekommen“, berichtet Jochen Sunken von der Verbraucherzentrale Hamburg. So würden Schreiben versendet, die Nachfragen geradezu provozierten. Manchmal seien die Fragen in den Briefen unverständlich, manchmal werde explizit der Medizinische Dienst erwähnt, der immer dann eingeschaltet wird, wenn von Seiten der Krankenkasse Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit oder am Behandlungserfolg bestehen. Wer einen solchen Brief von seiner Kasse erhält, wird nachvollziehbarerweise nervös und greift schnell zum Hörer. Schließlich ist man auf die Zahlung des Krankengeldes angewiesen“, so Sunken.
Telefonate müssen protokolliert werden
Die Verbraucherzentrale verweist auf weitere Gesetzverschärfungen, die den Krankengeld-Bezieher schützen sollen. So sind seither mit Zustimmung durchgeführte Telefonate für alle Beteiligten zu protokollieren, worauf die Kassen ihre Versicherten auch hinweisen müssen. Darüber hinaus dürfen gesetzliche Krankenkassen nur bereits rechtmäßig erhobene Informationen nutzen, wenn es darum geht, den Medizinischen Dienst zur Begutachtung der Arbeitsunfähigkeit einzuschalten. Nur bezüglich der Frage, ob der Medizinische Dienst nicht überflüssig sein könnte, darf der genaue Sachverhalt abgefragt werden: etwa, wenn es nicht notwendig ist die Arbeitsunfähigkeit zu begutachten, weil zeitnah die Arbeit wieder aufgenommen werden soll oder eine Reha ansteht.
Dass Patientinnen und Patienten teils aggressive Kontrollanrufe erhalten und zur Wiederaufnahme der Arbeit gedrängt werden sollen, berichtet nicht allein die Verbraucherzentrale Hamburg. Sie ist unter den Verbraucherzentralen für das Thema Gesundheit und Patientenschutz zuständig. Auch dem Sozialverband VDK und der Unabhängigen Patientenberatung (UPB) liegen ähnliche Fälle vor. Demnach klagen Versicherte am häufigsten über Ärger mit ihrer Krankenkasse bei der Zahlung des Krankengeldes, wie Frontal 21 berichtete. Die Konsequenzen für die Betroffenen sind oft bitter. Zu der eigentlichen Krankheit gesellen sich noch finanzielle Sorgen und Existenzängste, die den Heilungsprozess behindern können. Oder die Betroffenen quälen sich krank auf Arbeit, um ihr Einkommen zu sichern - wodurch sich der Gesundheitszustand weiter verschlechtern kann.