Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte am Dienstag eine umfassende Krankenhaus-Reform an. Geld soll unter anderem eingespart werden, indem Nachtdienste vermehrt wegfallen und Patienten nach Eingriffen -sofern dafür geeignet- in der Nachtzeit nachhause geschickt werden. Bei Twitter werden Zweifel laut, ob das umsetzbar ist - unter anderem von Pflegekräften.
Die Situation ist drastisch. Im kommenden Jahr droht den gesetzlichen Krankenkassen ein Milliarden-Loch von -je nach Schätzung- 17 bis 23 Milliarden Euro, viele Kliniken ächzen zudem unter der Inflation: 40 Prozent der Häuser sehen sich laut Blitzumfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) von der Insolvenz bedroht. Am Dienstag hat nun Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine umfassende Krankenhaus-Reform angekündigt, um Kosten im System einzusparen.
Konkret hat Karl Lauterbach ein sogenanntes Krankenhauspflegeentlastungsgesetz zur Pflege in Kliniken vorgelegt, Es sieht vor, den Personalbedarf bei einer repräsentativen Zahl von Krankenhäusern zu erfassen, um für die Krankenhäuser Rechtsverordnungen auszuarbeiten und Vorgaben zur Personalbemessung zu machen. Darüber hinaus sollen viele Eingriffe künftig ambulant durchgeführt werden statt im Rahmen einer Vollzeit-Betreuung in den Kliniken.
Mehr ambulante OPs, weniger Nachtschichten
Dies sei die "größte Krankenhausreform der letzten 20 Jahre", sagte der SPD-Politiker im ZDF. Es sei das Ziel, geeignete Behandlungen als Tagesbehandlung durchzuführen - und die Menschen folglich zuhause übernachten zu lassen statt in Kliniken. "Wir behandeln sehr viel stationär, was ambulant gemacht werden könnte“, hob Lauterbach hervor. Mit mehr Tagesbehandlungen würden Nachtdienste wegfallen und Pflegekräfte entlastet.
Wie das Ärzteblatt berichtet, sollen bereits ab Januar 2023 dafür geeignete Behandlungen als Tagesbehandlung durchgeführt werden - und so jede vierte vollstationäre Behandlung in Kliniken wegfallen. Dies sei ein Vorschlag, den die Krankenhauskommission erarbeitet habe - also jenes Gremium, das der Gesundheitsminister einsetzte, um entsprechende Reformen auszuarbeiten. Die ambulanten Eingriffe sollen sich über mehrere Tage erstrecken dürfen, wobei auch mehrere Pausen von maximal zwei Tagen am Stück erlaubt seien.
Patient muss vorher zustimmen
Ziel sei es, Pflegekräfte effizienter einzusetzen, da es mangels Fachkräften keine Kapazitäten mehr gebe. „Nacht- und Wochenenddienste gelten als die am meisten belastenden. Sie sind familienfeindlich und gegen den Biorhythmus“, wird Tom Bschor zitiert, Vorsitzender der Kommission. Das jetzige System sei schlicht ineffizient und erhöhe den Pflegebedarf. Hierbei sollen Krankenhäuser im Einzelfall entscheiden dürfen, ob sich eine Behandlung als Tagesbehandlung eignet. Der Patient muss vorher gefragt werden, ob er einem solchen ambulanten Zugriff zustimmt.
Auch über die geplanten Abrechnungs-Modalitäten kann das „Ärzteblatt“ bereits Angaben machen. So sollen die Behandlungen über das DRG-System (Diagnosis Related Groups) abgerechnet werden: stark vereinfacht das Fallpauschalen-System unter Berücksichtigung von der Schwere der Erkrankung und Haupt- sowie Nebendiagnosen. Brisant: Die Krankenhäuser sollen für diese Eingriffe auch weniger Geld bekommen. Für die nicht anfallenden Übernachtungskosten soll das Relativgewicht (Bewertungsrelation) der DRG pauschal um 0,04 pro entfallender Nacht gemindert werden. Bei einer viertägigen Behandlung würde die Vergütung um etwa 420 bis 450 Euro gemindert. Abgerechnet werden dürfen nur Tage, an dem der Patient mindestens sechs Stunden in der Klinik war und überwiegend medizinische und pflegerische Maßnahmen durchgeführt wurden.
Zweifel von Pflegenden
Ob Lauterbachs Reform tatsächlich funktionieren kann, daran äußern in sozialen Netzwerken ausgerechnet jene Zweifel, die es am ehesten betrifft - die Pflegekräfte. Über Nacht bleiben die Patientinnen und Patienten auch deshalb in der Klinik, damit sie bei Komplikationen schnell umsorgt werden können - wer erledigt dies, wenn dann die Operierten zuhause bei ihren Angehörigen sind? "Auf den ersten Blick sehe ich schreiende Patient*innen, die sich vor Schmerzen winden, sich einmachen, dehydriert sind, ohne Begleitung sterben“, schreibt etwa Userin Maroona bei Twitter.
Zwar ist laut „Ärzteblatt“ vorgesehen, dass die Patientinnen und Patienten im Notfall schnell in eine Klinik gebracht werden können: das müssen die Kliniken garantieren. Der Pferdefuß: Hierfür wären dann auch zusätzliche Kapazitäten nötig, etwa Rettungsfahrzeuge und entsprechendes Personal. Als problematisch könnte es sich zusätzlich gestalten, wenn bei nächtlichen Notfällen dann nicht ausreichend Pflegepersonal in den Kliniken vor Ort ist. Darüber hinaus wird bei "Twitter" mehrfach von Pflegekräften der Verdacht geäußert, dass Pflegetätigkeiten auf die Angehörigen abgewälzt werden sollen, um Kosten zu sparen: etwa die Reinigung des Patienten und des Bettes, die Überwachung des Patienten in der Nacht etc.
Auch die Bundesärztekammer (BÄK) äußert laut „Ärztezeitung“ Zweifel. Sie warnt davor, dass die Tagesbehandlung von Klinikbetreibern dazu missbraucht werden könnte, Personalengpässe auszugleichen oder den Profit zu steigern. „Hier darf es einzig und allein um das Wohl und die Sicherheit des Patienten gehen. Ebenso ist bei der Umsetzung darauf zu achten, dass kein Wettbewerb um medizinische Leistungen zwischen den Krankenhäusern und hochspezialisierten Fachärzten entsteht“, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt.