Unternehmen können für ihre Beschäftigten eine betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung (bBU) abschließen: ein wirksames Instrument im Kampf um Fachkräfte. Über Vor- und Nachteile sprach Versicherungsbote mit Oliver Mest, Versicherungsmakler und Geschäftsführer der optimal-absichern GmbH.
Versicherungsbote: Eine selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) ist in Form einer betrieblichen Direktversicherung (bBU) möglich. Wie wird diese Option am Markt angenommen?
Oliver Mest: Aktuell ist die betriebliche BU ja weniger eine Option am Markt als eine innerbetriebliche Option. Denn die Möglichkeit der betrieblichen BU erschließt sich ja vor allem in einem Gespräch mit dem Arbeitgeber zu dessen Vorsorge-Leistungen. Sie wird aber in Zukunft sicherlich einen größeren Stellenwert bekommen. Denn derzeit hat gerade einmal ein Viertel aller Deutschen eine BU. Viele haben außerdem Probleme, aufgrund von Vorerkrankungen eine zu bekommen. Da wird dann die betriebliche BU ein Thema…
Wegen der einfacheren Gesundheitsfragen?
Genau! Je nach Arbeitgeber und Rahmenvereinbarung verzichten die Versicherer auf eine umfangreiche Gesundheitsprüfung und fragen im Rahmen einer Dienstobliegenheitserklärung lediglich nach einer aktuellen Arbeitsunfähigkeit (AU) oder einer längeren AU in den letzten Jahren. Das vereinfacht den Einstieg natürlich deutlich.
Gibt es auch Versicherer, die komplett auf Gesundheitsfragen verzichten?
Hier muss die Gegenfrage lauten: Ist es sinnvoll, solche Lösungen anzubieten? Die Hürden bei der betrieblichen BU sind schon sehr niedrig. Wer sie noch niedriger setzt, der kauft sich langfristig Probleme ein, wenn das Kollektiv zu “krank” ist.
Auf welche Fallstricke muss bei Angeboten mit verminderten Gesundheitsfragen geachtet werden?
Für diese Tarife gelten zunächst einmal die gleichen Qualitätskriterien wie für jede andere BU. Der Schutz muss in der individuellen Ausgestaltung zum Interessenten passen. Und natürlich sind die Fragen zur Risikoprüfung korrekt zu beantworten, auch wenn es nur wenige sind. Eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung kann es hier genauso geben wie bei einer klassischen BU.
Ist ein BU-Schutz über den Betrieb auch für Risikoberufe problemlos und zu einem guten Preis absicherbar – etwa für Handwerker und andere Berufe mit hohem Risiko?
Das hängt davon ab, wie der Rahmenvertrag zwischen Arbeitgeber und Produktgeber gestaltet wurde. Grundsätzlich ist das natürlich möglich, wenn attraktive Berufsgruppeneinstufungen gefunden werden. Aber eine teure Berufsgruppe – etwa bei handwerklichen und körperlichen Berufen – bleibt auch in der betrieblichen BU eher eine teure Berufsgruppe.
KMU: Potential für die Bindung von Fachkräften
Warum ist eine bBU gerade für kleine und mittlere Unternehmen eine gute Option?
Die betriebliche Vorsorge – angefangen bei der Altersvorsorge über eine betriebliche Krankenversicherung bis hin eben zu einer betrieblichen Arbeitskraftabsicherung – ist mittlerweile wichtiger Bestandteil der Suche nach Fachkräften. Eine betriebliche BU deckt dabei einen ganz existenziellen Bedarf der Mitarbeiter ab – die Absicherung der Arbeitskraft, die auf anderem Weg eventuell gar nicht möglich oder viel zu teuer ist. Der Arbeitgeber bietet also eine attraktive Zusatzleistung an, die der Mitarbeiter sucht. Das macht gerade kleinere und mittlere Unternehmen als Arbeitgeber interessant. Und die betriebliche BU ist ja nicht nur ein Gehaltsbestandteil - sie ist Ausdruck von Fürsorge und Wertschätzung.
Unter welchen Bedingungen kann eine betriebliche BU bei einem Arbeitgeberwechsel weitergeführt werden?
Hier hängt es natürlich sehr vom Durchführungsweg ab, an dem die betriebliche BU “hängt”. Bei der Direktversicherung ist eine Mitnahme zum nächsten Arbeitgeber in der Regel denkbar. Aber auch eine private Fortführung ist möglich.
Gibt es Nachteile gegenüber der Lösung, dass ein Versicherungsnehmer privat einen BU-Schutz abschließt?
Das herauszufinden ist Aufgabe des jeweiligen Vermittlers und Beraters, denn die Frage lässt sich nur individuell für jeden einzelnen Kunden beantworten. Es gibt ja recht viele Aspekte, die berücksichtigt werden müssen. Nehmen wir den steuerlichen Aspekt. Die Beiträge zu einer betrieblichen BU-Absicherung können ja aus dem unversteuerten Bruttogehalt bezahlt werden - das senkt die Kosten erheblich. Aber: Die Besteuerung im Leistungsfall ändert sich eben auch mit der Folge, dass die Rentenleistung höher angesetzt sein muss - das macht den finanziellen Vorteil ggf. zunichte oder reduziert ihn zumindest. Auch die Krankenkassenbeiträge bei der betrieblichen BU dürfen nicht vergessen werden!
Zudem fühlen sich viele Mitarbeiter nicht wohl bei dem Gedanken, dass gerade im Leistungsfall die BU über den Arbeitgeber “läuft” und dieser zum Beispiel Einsicht in den Gesundheitszustand erhält. Das sollte aber nach unserer Einschätzung nicht zu hoch gehängt werden, denn hier gilt natürlich der Datenschutz. Der Versicherer kann und wird sich also nicht mit dem Arbeitgeber zum BU-Status des Mitarbeiters austauschen können.
Problematisch wird es tatsächlich, wenn die Portabilität eingeschränkt ist und der Vertrag eben beim Wechsel des Arbeitgebers nicht mitgenommen werden kann – eventuell steht man dann ohne BU-Schutz da und bekommt diesen gegebenenfalls auch nicht mehr oder nicht zu akzeptablen Konditionen. Das spricht aus meiner Sicht am ehesten gegen die betriebliche BU und dafür, zumindest einen Teil der Arbeitskraftabsicherung privat vorzunehmen.
Wie hat das Betriebsrentenstärkungsgesetz den Vertrieb verändert?
Insgesamt ist Bewegung in den bAV-Markt gekommen, weil viele Arbeitgeber aktiv werden müssen. Im gleichen Maße ist auch das Thema betriebliche BU mehr im Gespräch. Aber einen Boom können wir da zumindest bei unseren Kunden nicht feststellen.
Die Fragen stellte Michael Fiedler