Droht eine schleichende Produktgenehmigung durch die BaFin ohne gesetzliche Grundlage? Diesen Eindruck gewinnen Dr. Kai Goretzky und Moritz Müller von der globalen Wirtschaftskanzlei Dentons. Im Gastbeitrag schildern sie, warum.
Die Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin wertet seit dem 15.01.2023 die Ergebnisse eines Konsultationsverfahrens aus, das die Kosten und den Kundennutzen bei kapitalbildenden Lebensversicherungen zum Gegenstand hatte. Ausweislich einer Kleinen Bundestagsanfrage sind konkrete Ansatzpunkte für ein Tätigwerden der BaFin ersichtlich. Aktuell befinden sich nach Recherche des „Versicherungsbote“ fünf Lebensversicherer im Visier der Finanzaufsicht.
Im Fokus des BaFin-Entwurfs stehen ein angemessener Kundennutzen von Lebensversicherungen sowie die Prüfung von Fehlanreizen in der Vertriebsvergütung. Beide Aspekte sollen Versicherer laufend und eigenverantwortlich prüfen. Weder die POG-VO noch die IDD selbst verwenden den Begriff des „Kundennutzens“. Dieser basiert auf einer Stellungnahme der EIOPA aus dem November 2021, in welcher EIOPA den Kundennutzen von Lebensversicherungsverträgen anhand diverser Kriterien wie etwa „Rendite“, „Nachhaltigkeit“, „Beratung“, „digitale Verwaltung“ und „Anlage-Optionen“ definiert. Ausweislich ihrer Thesen vom 05.01.2023 reduziert die BaFin den Kundennutzen eines Lebensversicherungsvertrages hingegen auf das Thema „Rendite“.
Auch wenn mit einer finalen BaFin-Position erst in einigen Monaten zu rechnen ist, kann bereits jetzt festgehalten werden, dass einige der geplanten „Wohlverhaltensregeln“ der BaFin einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten dürften. Eine rechtliche Bewertung der geplanten BaFin-Vorgaben lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Vorgaben der BaFin aus ihrem Entwurf sind insoweit sachgerecht, als sie generelle Prinzipien beschreiben. Dies gilt beispielsweise für die BaFin-Position, alle Vertriebskosten eines Versicherungstarifs den Versicherungsverträgen verursachungsgerecht und nicht einheitlich zuzuordnen. Wird ein Versicherungstarif über mehrere Vertriebspartner angeboten, benachteiligen einheitliche Kostensätze innerhalb des Tarifs Versicherungsnehmer insoweit, als die Möglichkeit besteht, dass Verträge mit Vertriebskosten belastet werden, denen nicht dieselbe Beratungsleistung gegenübersteht, die andere Versicherungsnehmer erhalten haben. Auch die BaFin-Position, den Zielmarkt eines komplexen Produktes in mehrere Zielmarktsegmente zu unterteilen, entspricht den prinzipienorientierten Anforderungen der POG-VO. Gleiches gilt für die Vorgabe, Kick-Back-Zahlungen an Fondsgesellschaften zu vermeiden. Insbesondere bei Zahlungen, die Fondsgesellschaften direkt an Vermittler leisten, kann es für den Lebensversicherer schwer sein, etwaige Interessenskonflikte im Vertrieb zu identifizieren.
Nicht nachvollziehbar ist zudem die BaFin-Position, wonach „hohe Provisionen“ Kundeninteressen grundsätzlich widersprächen. Außer Acht gelassen wird dabei, dass komplexe Produkte einen höheren Beratungsaufwand erfordern und eine bessere Beratung gerade durch eine höhere Vergütung gesteuert werden kann. So kann beispielsweise eine intensivere Beratung zu einer individuellen Anlagestrategie und damit im Einzelfall einer besseren Rendite führen. Die BaFin-Position trägt damit insgesamt dem Beratungserfordernis in der Lebensversicherung nicht hinreichend Rechnung.
Die BaFin-Vorgaben, die über allgemeine Prinzipien hinausgehen und zudem der Zielsetzung widersprechen, gemäß § 48 a Abs. 1 Satz 1 VAG im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, begegnen ferner verfassungsrechtlichen Bedenken, da sie einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit von Versicherern aus Art. 12 Abs. 1 GG darstellen.
Auch erscheint fraglich, ob die BaFin nach geltendem Recht Verstöße gegen ihre konkreten Vorgaben überhaupt sanktionieren könnte. Eine Durchsetzung im Wege der Missstandsaufsicht gemäß §§ 298 Abs. 1, 294 Abs. 2 VAG erscheint zweifelhaft, da das Bundesverwaltungsgericht für ein rechtmäßiges Einschreiten der BaFin konkrete Rechtsverstöße fordert. Da die Regelungen der POG-VO aber durchgängig prinzipienbasiert sind, dürften sich konkrete Rechtsverstöße im Rahmen der POG-VO schwerlich begründen lassen. Weder die POG-VO noch das sonstige Versicherungsaufsichtsgesetz ermächtigen die BaFin, gegen Versicherer Bußgeldbescheide oder andere Maßnahmen zu erlassen, sofern Versicherer quantitativen Vorgaben der BaFin mit sachgerechten Gründen entgegentreten, die sich begründet aus der POG-Analyse des Versicherers ergeben.
Da es insbesondere keine Rechtsgrundlage für die numerischen Vorgaben der BaFin zu Effektivkosten und Abschlussprovisionen gibt, sollte genauer beobachtet werden, inwieweit die BaFin nach Auswertung des Konsultationsverfahrens ohne gesetzliche Grundlage an konkreten Richtwerten zu bestimmten Kostenarten festhält. Seit dem Juli 1994 ist jede Vorabgenehmigung von Versicherungstarifen europaweit abgeschafft. Konkrete Vorgaben zu Kostenarten vermitteln den Eindruck einer schleichenden Produktgenehmigung durch die BaFin und haben den rechtlichen Beigeschmack eines deutschen Sonderwegs ohne gesetzliche Grundlage. Abzuwarten bleibt gleichzeitig, inwieweit sich durch Initiative der EU-Kommission ein europaweites Provisionsverbot für Anlageprodukte durchsetzen wird.
Autoren: Dr. Kai Goretzky, Partner und Leiter des Bereichs Versicherungsrecht bei der globalen Wirtschaftskanzlei Dentons, sowie Moritz Müller, Associate und Mitglied der Praxisgruppe Banking und Finance bei Dentons.