Corona-Pandemie, Naturkatastrophen und Ukraine-Krieg: Die vergangenen 36 Monate mit den katastrophalen historischen Entwicklungen, den vermeintlichen Verwerfungen innerhalb der Versicherungswirtschaft und den außergewöhnlichen Schadenbelastungen aus unterschiedlichen Bereichen bewegt Alwin W. Gerlach, früher selbst unter anderem als Prokurist eines großen Rückversicherers tätig, zu einem Gastkommentar.
Das starke Wachstum der deutschen Wirtschaft haben Erst- und Rückversicherer in den letzten drei Dekaden im nationalen und internationalen Umfeld eng begleitet. Deutschland präsentierte sich durch die deutsche Industrielandschaft als Exportweltmeister, Erst-und Rückversicherer stellten die benötigten Versicherungsdeckungen zur Verfügung. Die Globalisierung und neue Märkte boten den nötigen Raum zum Absatz von in Deutschland gefertigten Produkten.
An erster Stelle stand die deutsche Automobilindustrie, deren Absätze kaum Grenzen kannte. Danach wurden Produktionsstätten anderer Fahrzeughersteller in Europa und USA übernommen. Produktionsstätten vor Ort folgten auch in Asien. Zulieferer und insbesondere Zuliefererketten etablierte die Industrie in einem weltweiten Verbundnetz. Für Transporte jeglicher Art und Güte waren Erst- und Rückversicherer bereit, Versicherungsschutz zu geben. Die technologische Entwicklung zog an, Risiken wandelten sich, Kapazitäten wurden höher nachgefragt. Die Wirtschaft wurde anspruchsvoller, die Versicherer folgten im Rahmen einer ausgewogenen partnerschaftlichen Beziehung.
Plötzlich eine neue Situation
In dieser rückblickend eher geruhsamen Zeit hatte kaum jemand mit harten Zeiten oder katastrophalen Umständen gerechnet. Nun befinden wir uns im Januar 2023 und können mit Befremden auf die vergangenen rund 1000 Tage voller negativer Einflüsse schauen. Die Pandemie hat sich zwar in eine Epidemie gewandelt - und wie es scheint, wird diese bald auslaufen. Die Ansprüche aus eingetretenen Schäden konnte die Versicherungswirtschaft recht gut absorbieren. Gleichwohl gab es Lerneffekte in Bezug auf interpretierbare Wordings zu Lasten der Versicherer, abweichend vom ursprünglich gewollten oder vermeintlich vereinbarten Deckungsschutz. Das zeigen zum Beispiel die Rechtsstreite um die Betriebsschließungs-Versicherung und die Frage, ob und in welchem Umfang Versicherer Ersatz leisten müssen, wenn eine Firma aufgrund von Corona-Allgemeinverfügungen vorübergehend schließen musste.
Das Wetterereignis im Ahrtal verursachte bis anhin eine der größten Belastungen im Elementarschadenbereich in Deutschland. Die Versicherbarkeit von Elementarschäden mündete danach in Forderungen nach einem Elementarschadenpool unter Beteiligung des Staates, zu dessen Gründung bis heute noch keine klaren Rahmenbedingungen behandelt wurden und eine Auflage fraglich ist. Die Schäden ziehen sich im Wege der Abwicklung noch heute durch die Bilanzen der Versicherer.
Wie sich der Krieg ausgehend von Russland gegen die Ukraine noch entwickelt, bleibt uns gegenwärtig verschlossen, aber es darf mit allem gerechnet werden. Die aufgelaufene Schadenbelastung aus versicherten Schäden dieses einseitigen Krieges ist noch nicht abschließend bekannt. Konkret geht es darum, ob Ansprüche für Schäden durch Krieg gedeckt sind. Liegt hier ein Krieg vor; und was ist zweifelsfrei im Sinne gerichtsfester Definition ein Krieg? Einwandfreie Wordings sind unerlässlich, eben eine Frage der Planungssicherheit und des Vertrauens. Reaktionen von Politikern können als kontrovers beschrieben werden, die Unternehmen und die gesamte Gesellschaft mit Unwohlsein oder Zustimmung aufgenommen haben. Endlose Debatten mündeten in der Beschreibung einer gespaltenen Gesellschaft. Ein weites Feld mit einem Gedankenkarussel, das in die Sackgasse führt.
Die Wetterereignisse zeigten ihre Schlagkraft durch den Klimawandel endgültig am Orkan Ian in den USA, der Versicherern und Rückversicherern endgültig einen Schlag in den Bilanzen versetzte. Viele regionale Versicherer sind von der Insolvenz bedroht - der Bundesstaat Florida muss mit Steuergeldern von geschätzt eins bis drei Milliarden US-Dollar einspringen, um private Versicherer zu stützen.
Zudem hob die EZB im abgelaufenen Jahr die Niedrigzinsphase auf, um die dramatische Inflation von zehn Prozent eindämmen zu können. Ein Resultat des von Russland begonnenen Krieges, Sanktionen führender Staaten gegen Russland zur Lösung der Abhängigkeit aus russischen Gaslieferungen. Die Inflation löste Belastungen für private Haushalte und Unternehmen aufgrund höherer Kosten aus, bei Versicherern im Einzelfall eine Anpassung der Reserven nach oben.
Keine Zeit für Erholungen?
Die beschriebenen Ereignisse ließen über den genannten Zeitraum keine Erholungsphase zu, doch spätestens 2022 trafen die Rückversicherer neue Überlegungen mit Blick auf die zur Verfügung gestellten Kapazitäten, deren Produkte, Bedingungen und Konditionen. Etwa wurden Prämien angepasst, neue Ausschlüsse formuliert und Selbstbehalte vereinbart. Diese Maßnahmen trafen recht unvermittelt die Gemüter von Versicherungsnehmern aus der Wirtschaft sowie von Erstversicherern und Maklern. Offenbar war diesem Klientel die Welle der Schadenereignisse entgangen oder sie haben die Realität aus einem Blickwinkel betrachtet, der keinen der beteiligten Partner weiterbringt. Aber die Anpassungen waren notwendig, damit die Versicherer weiterhin Schutz gewähren können.
Versicherer haben zielführende Entscheidungen getroffen und die Chance der Krise genutzt, um Positionen zu besetzen, die vor 36 Monaten noch undenkbar gewesen wären. Zu lange währte die Übernahme von Verlusten aus diversen Versicherungssparten, um die aktuelle Situation ohne Aufwertung der eigenen Leistungsfähigkeit zu bestehen. Infolgedessen darf aktuell und vorsichtig von einem Wachstum im Versicherungsbereich ausgegangen werden und mit Gewinnen in ordentlicher Höhe, so man den Nachrichten aus München folgt. Ein Beleg dafür, auch begründete pessimistische Grundhaltungen mit Zuversicht anreichern zu dürfen, um historischen Problemen mit einer schleichenden Ausweitung und ungewissem Ausgang entgehen zu können.
Demnach sind Rückversicherer auch nicht die letzte Instanz zur Regulierung des Versicherungsmarktes. Jeder Marktteilnehmer ist frei in seinen Entscheidungen, doch bedarf es bei einem Erstversicherer um Rückversicherung, so wird dieser nach rein ökonomischen Gesichtspunkten Risken / Portfolien übernehmen oder ablehnen, Kapazitäten zur Verfügung stellen oder sich enthalten. Danach verbleibt jedem Erstversicherer die Möglichkeit, im Rahmen seines Selbstbehaltes zu zeichnen. Eben die einfachste Art, sich von konstruierten Abhängigkeiten zu entlasten.
Zusammenfassend und als vorsichtige Aussage sollten beidseitige Versuche einer Überforderung ausgeschlossen sein. Die letzten Dekaden oder Monate haben gezeigt, wo Abhängigkeiten bestehen und im Zweifel zu vermeiden sind. Die bestehende Gradwanderung, die auch oder wesentlich von politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig ist, muss von einer vernichtenden Wirkung abgehalten werden. Deshalb darf überlegt werden, wie die prominenten Eckpunkte Risikowahrnehmung, das frühzeitige Erkennen von Gefahren, die Prävention und Vorsorge noch stärker zu belegen sind, am besten solidarisch innerhalb der Versicherungs-/ Finanzbranche, quasi als übergeordnete wachsame Institution zur Erarbeitung von Zukunftsvisionen.