Die deutschen Versicherer werben für ihr Konzept der Bürgerrente. Dabei sind sie zunehmend in Abwehrhaltung. Die private Altersvorsorge schwächelt, das Riester-Neugeschäft brach 2022 um 60 Prozent ein. Und ein Staatsfonds nach Schwedischem Vorbild könnte ihnen das Altersvorsorge-Geschäft zusätzlich den Hahn abdrehen.
Am gestrigen Donnerstag stellte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) seine vorläufigen Jahreszahlen für 2022 vor: doch nicht nur das. Einen Großteil der Pressekonferenz nahm das Konzept der Bürgerrente ein, die umfassend beworben und vorgestellt wurde. Es ist jenes Konzept, das die Versicherer als eigenen Alternativvorschlag für die Riester-Rente entwickelt haben. Denn die Branche ist zunehmend in Zugzwang.
Die Versicherer bewegen sich im Krisenmodus. Dass die private Altersvorsorge auch bei den deutschen Assekuranzen schwächelt, daraus machte GDV-Präsident Norbert Rollinger keinen Hehl. Um satte 60 Prozent brach das Neugeschäft der Lebensversicherer 2022 bei der staatlich geförderten Riester-Rente ein, wie bei der Präsentation der Zahlen für das letzte Jahr deutlich wurde. Das Geschäft mit Riester schwächelt ohnehin seit Jahren.
Auch die eingenommenen Beiträge der Lebensversicherer sanken um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das mag auch der aktuellen Krisensituation, speziell der hohen Inflation, geschuldet sein: die Bürger haben schlicht weniger Geld in der Tasche. Doch darüber hinaus denkt die Bundesregierung über einen öffentlich verwalteten Fonds nach dem Vorbild Schwedens nach. Je nach Ausgestaltung könnte dieser komplett ohne die deutschen Versicherer auskommen - und den Bürgern eine Alternative zur kapitalbildenden Lebensversicherung bieten. Weiteres potentielles Neugeschäft könnte wegbrechen.
“Bürgerrente“ - einfacher, unbürokratischer, kostengünstiger?
“Bürgerrente“ heißt nun das Konzept, das der Lobbyverband der deutschen Versicherer ausgetüftelt hat. Ein Namen, der sich deutlich erkennbar an das Konzept des Bürgergeldes anlehnt. Ob das ein kluges Framing ist, darüber lässt sich streiten. Zur Erinnerung: Das Bürgergeld ist eine aus Steuergeldern finanzierte Sozialleistung und ersetzt seit Anfang des Jahres das ungeliebte Arbeitslosengeld II, besser bekannt als „Hartz IV“. Viele Menschen in Deutschland dürften auch das neue Bürgergeld mit Sanktionen, finanzieller Not und Abstiegsängsten verbinden.
Die Bürgerrente soll nun vieles besser machen können als sein Vorgänger. „Im Vergleich zur Riester-Rente ist die Bürgerrente einfacher, verständlicher, nachhaltiger und renditestärker“, sagte Rollinger am Donnerstag. Und zumindest der Bezug zum Steuergeld ist der Name passend gewählt, denn natürlich soll auch die Bürgerrente steuerlich gefördert werden:
Das GDV-Konzept sieht im Kern vor, dass auf jeden in die Bürgerrente eingezahlten Euro zusätzlich eine Förderung von 50 Cent kommt. Die förderfähigen Beiträge sollen auf vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung begrenzt werden. Um den Beratungsaufwand gering zu halten, soll das Altersvorsorgeprodukt in hohem Maße standardisiert sein und auch digital vertrieben werden können.
Weniger Garantie, mehr Rendite
Auch eine höhere Rendite als mit Riester soll mit der Bürgerrente erzielt werden können - doch das ist nur durch einen Teilverzicht auf Garantien möglich. Bei Riester müssen die Versicherer gewährleisten, dass 100 Prozent der gezahlten Beiträge inklusive Zulagen zu Rentenbeginn zur Verfügung stehen. Diese 100%ige Beitragsgarantie soll künftig durch eine 80-Prozent-Garantie ersetzt werden. So könnten mehr Gelder lukrativ in Aktien und Fonds gesteckt werden statt -wie bisher- in Anleihen, werben die Versicherer. Der Hintergrund: Garantien müssen laut Gesetz mit festverzinslichen und lang laufenden Papieren abgesichert werden, in der Regel Staatsanleihen. Diese brachten speziell in Niedrigzins-Zeiten wenig bis nichts ein.
Um Argumente für das Modell der Bürgerrente zu sammeln, schlägt der GDV vor, dass das Geld der Sparenden bevorzugt in nachhaltige Geldanlagen fließen könnte. Ob dies freiwillig erfolgen soll oder der Staat hier entsprechende Vorgaben macht, wird nicht angesprochen. Zudem sollen auch Selbstständige, Beamte und Arbeitslose einbezogen werden. Allerdings spricht sich der Verband für eine freiwillige Altersvorsorge aus. Ein weiteres Argument der Versicherer: Mit dieser Rente sei auch das Langlebigkeits-Risiko abgesichert, denn die Rente soll bis zum Lebensende fließen.
„Nach über zwei Jahrzehnten ohne grundlegende Änderungen braucht die private Altersvorsorge einen Neuanfang“, sagte Rollinger. „Die Riester-Rente ist zu komplex und bürokratisch, um eine weitere Verbreitung geförderter Vorsorgeprodukte zu ermöglichen. Wir Versicherer bringen daher unserer Idee einer Bürgerrente in die nun begonnene Diskussion ein. Für eine private Rente, die die Menschen noch besser erreicht.“
Auf wichtige Kritikpunkte an Riester, etwa die hohen und intransparenten Kosten mancher Anbieter, ging der Verbandschef hingegen nicht ein. Mit ihrem Konzept wird die Versicherungswirtschaft, das ist absehbar, auf heftigen Gegenwind stoßen. In dieser Woche hat sich auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) positioniert - und fordert einen öffentlich verwalteten Vorsorgefonds. "Darüber, dass Riester gescheitert ist brauchen wir uns nicht mehr monatelang in einer Expertenkommission austauschen“, sagt vzbv-Vorständin Ramona Pop.