Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung werden nach Einschätzung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weiter steigen müssen. Einen Schuldigen hierfür hat er auch dafür ausgemacht: die Schuldenbremse, auf dessen Einhaltung vor allem die FDP pocht. Die Zahl an Hüft- und Kniegelenk-OPs will der Minister deutlich senken.
Die gesetzlich Krankenversicherten werden sich darauf einstellen müssen, dass die Zusatzbeiträge in den kommenden Jahren weiter ansteigen werden. Das ließ Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ durchblicken. Den schwarzen Peter hierfür schob er indirekt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zu. „Der Finanzminister legt seinen Schwerpunkt auf die Einhaltung der Schuldenbremse und auf Projekte wie die Aktienrente und die Bundeswehr. Dann lassen sich steigende Lohnzusatzkosten kaum vermeiden“, sagte Lauterbach dem Blatt.
Die gesetzlichen Krankenkassen erwarten für dieses Jahr ein Defizit von 17 Milliarden Euro, das sich bei schwacher Konjunktur sogar deutlich vergrößern könnte. Auch in den kommenden Jahren ist keine Besserung in Sicht. Uwe Klemens, Verbandschef der Ersatzkassen (vdek), warnte bei der Neujahrs-Pressekonferenz des Verbandes, den Krankenkassen drohe in den kommenden Jahren ein Defizit von „30 Milliarden Euro plus X“, sofern keine einschneidenden Reformen umgesetzt würden.
Einblicke in geplante Krankenhaus-Reform
Tatsächlich hat Karl Lauterbach eine Reform des Gesundheitssystems angekündigt, um die explodierenden Kosten im Kassensystem aufzufangen. Unter anderem sollen bei den Kliniken die Kosten gedrückt werden. Dem „Handelsblatt“ nannte er nun Details seiner Krankenhausreform. „Bei der Reform geht es nicht um Schließungen. Dafür braucht man keine Reform, die Welle der Schließungen hat sowieso schon begonnen“, sagte der SPD-Politiker. Ohne Reform stünden eine Menge Krankenhäuser vor dem schnellen Aus.
Stattdessen will Lauterbach mögliche Fehlanreize im Gesundheitssystem abbauen. Stichwort: unnötige Eingriffe. „Die Flut an Hüft- und Kniegelenk-Operationen muss ein Ende haben“, sagte der 60jährige. Im Fallpauschen-System sind derartige Eingriffe für die Häuser besonders lukrativ, da sie hoch vergütet werden und zudem gut planbar sind: etwa im Gegensatz zur Notfallmedizin, die es erfordert, viel Personal vorzuhalten. So nannte nun auch Lauterbach als Grund für die vielen Eingriffe, dass kleinere Kliniken zu solchen OPs gezwungen seien, um finanziell über die Runden zu kommen. „Das sind für viele Krankenhäuser Cash-Cow-Eingriffe mit einem positiven Deckungsbeitrag“, so Lauterbach.
Tatsächlich ist Deutschland im internationalen Vergleich eines der Länder mit den meisten Eingriffen dieser Art. Beispiel Hüft-OPs: Selbst im Coronajahr 2020, als viele OPs ausgesetzt oder verschoben werden mussten, fanden nach OECD-Zahlen noch 294 Eingriffe je 100.000 Einwohner in Deutschland statt. Nur in der Schweiz wurde mit 306 Eingriffen noch öfters operiert. Frankreich zählt knapp 221 Eingriffe je 100.000 Einwohner, Spanien 107,3. Für Aufsehen sorgte auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die festgestellt hat, dass in manchen Landkreisen fünfmal häufiger Knie operiert werden als in anderen: sogar bei einer ähnlichen Altersstruktur.
Von einer anderen Maßnahme will Lauterbach aber die Finger lassen: Honorarkürzungen bei Ärzten und Zahnärzten seien aktuell nicht geplant. „Hier haben wir in der Reform im vergangenen Jahr bereits die Effizienzreserven gehoben“, so der Politiker. „Deshalb dürften hier Honorarkürzungen auch im Sinne des Koalitionsfriedens obsolet sein“. Auch weitere harte Einschnitte bei Pharmafirmen seien nicht vertretbar, da diese sich gezwungen sehen könnten, Deutschland zu verlassen.