Die Insurtech-Branche traf sich London. Doch Entscheider aus Deutschland fehlten, fiel Dr. Robin Kiera (Digitalscouting) auf. Ist die Insurtech-Euphorie verflogen? Welche Lehren Kiera aus Europas größter Insurtech-Konferenz zieht, schildert er im Gastbeitrag.
Das hatte ich nicht erwartet. Deutlich über 5.000 Teilnehmer bei wahrscheinlich Europas größter Insurtech- und Innovationskonferenz Insurtech Insights in London diese Woche. Am ersten Tag schien das Intercontinental Hotel an der O2 Arena am östlichen Rand der Stadt aus allen Nähten zu platzen.
Hier sind meine 4 Learnings:
Insurtech nächste Evolutionsstufe - keine Renaissance
Während viele Insurtech Start- und Scale-Ups mit Problemen zu kämpfen haben - der Börsenkurs von Lemonade (-90% Höchststand zu jetzt) und Root (-98% Höchststand zu jetzt) spricht Bände - zeigte die Insurtech Insights jedoch, dass das Ökosystem an sich enorm stark ist. Vor allem Service- und Technologieprovider im Bereich Schaden-, Betrugsbekämpfung, Distribution und künstliche Intelligenz stellten ihre Lösungen vor. Dabei standen vor allem häufig die evolutionäre Weiterentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells und die Hilfe für traditionelle Versicherer im Fokus, etwa Guidwire, EIS - aber auch Zahlungsprovider wie Stripe oder Adyen. Es waren aber auch eine Reihe neuere Anbieter, wie Omnius, AirDoctor, Paperbox, Tigerlab, Calingo, Lightico etc. da.
Ich interpretiere hieraus vor allem, dass wir keine Renaissance von Insurtech - also eine Wiederbelebung eines alten Zustandes nach der Pandemie - erleben, sondern ein verändertes Ökosystem in das auch immer mehr Beratungshäuser wie BCG, EY und PWC und Technologie- und Lösungsanbieter drängen, in der Vermutung hier Geld zu verdienen. Das ist gut für die Versicherungsindustrie. Gleichzeitig sehen wir, wie ehemalige Start-Ups mittlerweile Unternehmen mit signifikanten Auftragsbüchern geworden sind.
Evolution statt Revolution
Vielen vorgestellten Lösungen war gemein, dass sie darauf zielen vor allem existierende Prozesse und Technologien inkrementell zu verbessern. Erdbebenartige Erschütterungen und tektonische Verschiebungen aufgrund neuer Technologie oder Versicherungsprodukte war kaum zu sehen. Florian Graillot, der wohl bekannteste französische VC und Influencer, meinte: “Das zeigt, Insurtech steht erst am Anfang.” Dem schließe ich mir - trotz der beeindruckenden Insurtech Insights - an. Die Modernisierung und Weiterentwicklung der Assekuranz wird noch Generationen an Entscheidern, Experten und Mitarbeitern beschäftigen - wobei man niemals einen Nokia- oder Uber-Moment ausschließen sollte.
Physische Vertriebe und Marketing kein Thema - noch nicht
Während sich Vertriebsvorstände, Agenturisten und Makler in Österreich, der Schweiz und in Deutschland den Kopf zerbrechen, wie sie ihre Vertriebe sowohl technisch als auch konzeptionell modernisieren, war dies auf der Insurtech Insights bisher kein Thema. Schade, denn auch hier gibt es Ansätze, wie Vermittler Teil der Lebenswelt ihrer Kunden werden und wie man die Kommunikation hin zum Makler und Vermittler deutlich digitaler, angenehmer und wertstiftender gestalten kann. Wer als Vermittler Teil der Lebenswelt der Kunden ist - und die Vermittler die regelmäßig die Vertriebslisten anführen leben dies seit langer Zeit, wird nicht nur Kunden besser beraten, sondern auch viel mehr Geschäft machen können.
Ich glaube, die großen Insurtech- und Innovationskonferenzen werden sich in Zukunft auch um diese Themen kümmern.
DACH glänzte mit Abwesenheit
Natürlich sah man vereinzelt Entscheider der positiven Ausnahmen, wie Munich Re, IptiQ/Swiss RE, der ERGO, der Helvetia, der RheinlandVersicherung, Merkur Versicherung sowie der Innovationszentren Insurtech Lab Germany und Insurtech Hub Munich oder neuer Anbeiter wie Legacy Portfolio Partners, Getsafe, Smile, aber es fiel schon auf, wie wenig Entscheider aber auch Experten aus Österreich, der Schweiz und Deutschland vor Ort waren.
Mein Eindruck nach hat sich die Insurtech-Euphorie etwas gelegt und die Reisebudgets werden geschont. Aber gerade bei der nächsten Evolutionsstufe von Insurtech halte ich es für wichtig, dass a) Entscheider sich selbst vor Ort zumindest bei den großen Konferenzen informieren und b) junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mitnehmen. So werden die guten und fleißigen belohnt und tragen den Aufbruchsgeist in die Häuser der Branche rein.
Fazit: Insurtech ist nicht tot. Insurtech ist nicht zurück. Insurtech ist weiter, neuer, schneller. Neben Inflation, ESG, Großschäden und geopolitischen Risiken sollte Insurtech, Innovation und Optimierung weiter ein Thema auf der Agenda der Entscheider sein.